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Wirtschaft: Versicherungskunden verschenken Millionen

Verbraucherfreundliches Grundsatzurteil wird kaum genutzt / Streit um Verjährung

Berlin - Das neue verbraucherfreundliche Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Kündigung von Lebensversicherungen droht zu verpuffen. Nur vereinzelt stellen Kunden Rückzahlungsforderungen, heißt es bei Versicherungsunternehmen und Verbraucherschützern. „Die Verbraucher verschenken bares Geld“, warnte Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten (BdV). Zudem bahnt sich ein Streit darüber an, ob die Rückzahlungsansprüche vieler Kunden bereits verjährt sind. In der Branche ist das weitere Vorgehen nach Informationen des Tagesspiegels umstritten.

Der Bundesgerichtshof hatte vor knapp zwei Wochen entschieden, dass die Versicherungen Kunden, die ihren Vertrag vorzeitig kündigen, auf jeden Fall einen Teil der eingezahlten Prämien zurückzahlen müssen (Az.: IV ZR 162/03, IV ZR 177/03, IV ZR 245/03). Bisher gingen viele Verbraucher bei einer Kündigung in den ersten Versicherungsjahren komplett leer aus, weil zahlreiche Gesellschaften mit den Prämien der ersten Jahre zunächst die Abschlusskosten, sprich die Vertreterprovision bezahlt haben. Das gilt vor allem für Unternehmen, die mit eigenen Vertretern oder Finanzvertrieben zusammenarbeiten. Eine solche Abrechnungspraxis ist aber unzulässig, entschied jetzt das höchste deutsche Zivilgericht.

„Die Versicherung muss die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals auszahlen“, betont Versicherungsberater Rudnik. Im Klartext: Hat ein Versicherter pro Jahr 1000 Euro an Beiträgen gezahlt, kann die Versicherung davon die Kosten des Risiko-/Todesfallschutzes sowie die allgemeinen Verwaltungskosten abziehen. Angenommen diese betragen 20 Prozent, dann bleiben von der ersten Jahresprämie noch 800 Euro übrig. Die Hälfte davon – 400 Euro – kann der Kunde, der den Vertrag kündigt, ersetzt verlangen. „Angenommen, jemand hat drei Jahre lang insgesamt 3000 Euro eingezahlt, kann er nach dem neuen Urteil 1200 Euro zurückverlangen“, berichtet Rudnik.

In der Vergangenheit hatten die Kunden entweder überhaupt keine Rückzahlung erhalten oder nur wenige hundert Euro. Betroffen sind von dem neuen Urteil jedoch nur Verträge, die zwischen Ende Juli 1994 und Mitte 2001 abgeschlossen worden sind. Das sind zehn bis 15 Millionen Policen. Ob auch neuere Versicherungen berührt sind, will der BdV in weiteren Gerichtsverfahren klären.

Das neue BGH-Urteil gibt Versicherungskunden die Möglichkeit, jetzt auch nachträglich eine Rückerstattung zu verlangen. Umstritten ist jedoch, ob sich die Versicherungsgesellschaften auf die Verjährung der Ansprüche berufen können. Nach dem Versicherungsvertragsgesetz verjähren Ansprüche innerhalb von fünf Jahren. Sollte die Verjährung bereits mit der Kündigung des Vertrags oder mit der Rückabwicklung beginnen, wären die meisten Ansprüche verjährt und das BGH-Urteil liefe ins Leere. Wenn jedoch erst die Gerichtsentscheidung die Verjährung in Gang setzt, könnten alle Betroffenen, die seinerzeit mit Minirückzahlungen abgespeist worden sind, Nachforderungen stellen.

Die Versicherungsbranche hält sich bedeckt. Sowohl die Aachen-Münchener-Versicherung als auch die Hamburg Mannheimer wollen zunächst die Abschrift des Urteils, die für die kommende Woche erwartet wird, abwarten, hieß es auf Anfrage. In Versicherungskreisen heißt es jedoch, dass einige andere große Unternehmen dazu neigen, die Verjährungsfrage kundenfreundlich zu entscheiden. Sollten sie das nicht tun, drohen neue Prozesse: „Notfalls lassen wir auch das gerichtlich klären“, sagte Verbraucherschützer Rudnik dem Tagesspiegel.

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