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Wirtschaft: "Verwerfung wie bei der Ölkrise"

MÜNCHEN .Wenn die Apokalyptiker nicht irren, geht die Welt, so wie wir sie kennen, mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend unter.

MÜNCHEN .Wenn die Apokalyptiker nicht irren, geht die Welt, so wie wir sie kennen, mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend unter.Davon kann man sich im Internet unter dem Suchwort "teotwawki" überzeugen.Das ist die Abkürzung für "The End of the World as We Know It".Schuld daran seien Computer, deren datumssensible Software den Sprung ins Jahr 2000 nicht verkrafte.

Doch das viel gehörte Horrorszenario ist ausgeschlossen, beruhigt Lutz Cleemann.Er ist Geschäftsführer des Zentrums für Technik der Allianz AG, München.Der Versicherer fühlt sich zu einer Einschätzung berufen: Er hat Tausende von Industriekunden, die sich um das Milleniumproblem sorgen.Kein Wunder: Tests mit Rechnern und chipgesteuerten Maschinen hätten ergeben, daß das Jahr-2000-Problem keine Erfindung geldhungriger Programmierer, sondern eine echte Gefahr sei.Heimische Großkonzerne hätten sie erkannt - gefährlich sei es im Mittelstand und bei Kleinfirmen.Manches Management habe das Problem zu lange ignoriert, so daß jetzt nur noch ein Notfallplan helfe.

Die Industrie stehe zudem vor weit mehr als einem reinen EDV-Problem mit fehlerhaften Rechnungen.Viele Maschinen und Produktionsstraßen werden nämlich von Chips gesteuert, die Datumskomponenten beinhalten.Weltweit sind schätzungsweise 25 Mrd.solcher Steuerchips im Einsatz, die Silvester auf Doppelnull stellen.Vom unkontrollierten Ein- oder Ausschalten bis zu Fehlfunktionen sei alles möglich, urteilen Experten.Gerade in Altmaschinen sei oft sehr schwer abschätzbar, ob und wie ein Steuerchip 2000-sensibel reagiert.Davon kann auch Axel Schib ein Lied singen, der Jahr-2000-Experte der Siemens AG, Berlin/ München.Der Elektrokonzern arbeite mit Hochdruck daran, verkaufte Produkte und eigene Anlagen auf ihre Sicherheit für das Milennium hin zu prüfen.Für erkannte Problemprodukte würden betroffenen Kunden Lösungen angeboten.Nicht alle reagieren jedoch auf Warnungen."Hundertprozentig bekommen wir das nicht in den Griff," urteilt Schib.Mit Störungen im Produktionsablauf sei zu rechnen.Wenn aber in verflochtenen Industrien irgendwo die Produktion zum Erliegen kommt, kann das Domino-Effekte auslösen.Ein Paradebeispiel dafür sind die KfZ-Hersteller mit ihrem "Just-in-Time-Konzept", das auf minimale Lagerhaltung und zeitgenaue Anlieferung von Komponenten baut.

Für die ganze deutsche Wirtschaft werden die Umstellungskosten auf 45 Mrd.DM geschätzt.Ein vernichtendes Urteil hat dagegen Arnd Baur von der Unternehmensberatung Roland Berger parat.Er beruft sich auf eine eigene Studie unter Kfz-Zulieferern."Teils sind sie völlig unfähig, das Jahr 2000 zu überleben," schimpft Baur.Etwa 30 Prozent aller untersuchten Firmen sei mit Beginn des Jahres 2000 "weit davon entfernt, liefern zu können".Die Sorgen hinsichtlich Lieferanten kennt auch Siemens.Angeschrieben habe man viele - oft ohne Antwort, ärgert sich Schib.Es gebe deshalb Notfallpläne für Silvester, etwa größere Lagerhaltung oder Urlaubsstop für EDV-Experten.

Ein verlässliches Szenario für den Zustand der deutschen Wirtschaft traut sich kein Fachmann zu.Auch nicht Sven Jäger von der Initiative 2000, einem Zusammenschluß von zwölf Informationstechnikkonzernen wie Siemens und IBM.Einen GAU schließt Jäger zwar kategorisch aus.Davon abgesehen gebe es aber viele Nadelöhre, die wirtschaftliche Störungen auslösen können.Neben Zulieferern im Ausland und Kleinfirmen seien das die Stromversorgung, das Transportwesen und chipgesteuerte Lagerhaltungssysteme, zählt Jäger auf.Große Energieversorger wie die Bayernwerk AG, München, glauben dagegen nicht an Probleme.Jäger dagegen hält auch im Luftverkehr Verspätungen und andere Unannehmlichkeiten für wahrscheinlich.

Bereits zur Jahr-2000-Falle geworden sind vereinzelt automatisierte Lagerhaltungssysteme.Sie haben beispielsweise Produkte mit Haltbarkeitsjahr 2001 vernichtet, weil ihre auf zwei Stellen geeichten Chips "01" als 1901 lesen."Es wird zu Warenverlusten kommen", vermutet Allianz-Experte Cleemann.Volkswirtschaftlich bedeutend dürften die Auswirkungen in der Industrie sein."Wenn einer steht, müssen andere bremsen", warnt Jäger von der Initiative 2000.Er fürchtet, einzelne Firmen würden sogar in Konkurs gehen.Ein Zehntel der heimischen Unternehmen scheitere an der Umstellung, was ganze Industriezweige lahmlege und neun Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts gefährde, schätzt die Unternehmensberatung Cap Gemini.

Siemens-Experte Schib rechnet gar mit "Verwerfungen wie bei der Ölkrise".Wenigstens hat Deutschland für die schlimmsten Fälle Vorwarnzeit: Im Fernen Osten beginnt das Millennium einige Stunden früher als in Europa.

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