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Seitenwechsel. Von der größten deutschen Krankenkasse ging Birgit Fischer zum Pharmaverband.

© dpa

VFA-Chefin Birgit Fischer: "Die Pharmaindustrie will eine neue Rolle spielen"

Birgit Fischer, Chefin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller, spricht im Interview über ihren Lobbyistenjob und das schlechte Branchenimage.

Frau Fischer, warum sind Sie von den Guten zu den Bösen gewechselt?

Das bin ich nicht. Ich bin eine Verfechterin von Kooperation und Zusammenarbeit. Es ist notwendig, Brücken zu bauen. Unser Gesundheitswesen krankt am sektoralen Denken. Jeder macht sein eigenes Ding, ohne zu überlegen, wie kriegen wir etwas gemeinsam gestemmt.

Als Krankenkassenchefin war es Ihre Aufgabe, eine gute Patientenversorgung hinzubekommen. Bei der Pharmalobby geht es um anderes: Mit dem Verkauf von Medikamenten möglichst viel Geld zu verdienen.

Es wird nie tragfähig sein, nur auf schnellen Gewinn zu setzen und dabei außer Acht zu lassen, wie etwas langfristig funktionieren kann. Nur mit einer Gesamtsicht ist Fortschritt möglich.

Welcher Vergleich hat Ihnen denn besser gefallen? Der mit dem Papst, der zu den Atheisten geht? Oder der mit einem Grünen, der zur Atomlobby wechselt?

Den Vergleich mit der Atomlobby finde ich besonders deplatziert. Über Atomenergie und die Frage, ob man sie braucht, kann man trefflich streiten. Medizin ohne Arzneimittel ist nicht vorstellbar. Es war sehr kurzsichtig, mit solchen Vorwürfen zu reagieren, statt zu reflektieren über die Frage, was könnte hinter dem Wechsel stecken und welche Chancen liegen womöglich darin.

Man hat Ihnen Verrat an den Versicherten vorgeworfen.

Es gibt unterschiedliche Einschätzungen darüber, ob die Zeit reif dafür ist, aufeinander zuzugehen und ob die pharmazeutische Industrie daran ein Interesse hat. Es gibt von Seiten der Pharmaindustrie den wirklichen Willen, eine neue Rolle im Gesundheitswesen zu spielen. Gewinninteressen gibt es in allen Industriebereichen, das ist nicht das Problem. Es geht um die Frage, ob man sich als Teil des Ganzen versteht und konstruktiv versucht, an Lösungen mitzuwirken.

Apropos Gewinninteressen. Man hört, dass sie jetzt das Doppelte verdienen.

Mir ging es bei allem, was ich bisher gemacht habe, um die Aufgabe. Auch bei der Barmer GEK hat es nicht an Herausforderungen gemangelt. Aber die Problemlösung nun von der anderen Seite her zu suchen, das hat mich gereizt. Auch wenn es manche für eine „mission impossible“ halten.

Warum gibt sich die Branche plötzlich kooperationswillig?

Es gab immer Befürworter eines kooperativen Weges. Andere haben auf Konfrontation gesetzt. Das Arzneimittelneuordnungsgesetz hat sicher dazu beigetragen, deutlich zu machen, dass der Konfrontationskurs ein Irrweg ist.

Müssen Sie jetzt nicht auch mächtig umdenken? Als Kassenchefin hatten Sie doch sicher nichts gegen Zwangsrabatte für gut verdienende Arzneihersteller?

Ich sehe das nicht anders als damals. Die Zwangsrabatte sind aus der Not heraus geboren, sie eignen sich nicht, um ein Gesundheitswesen nachhaltig zu stabilisieren. Und für die Industrie sind sie eine enorme Belastung. Man muss auch im Blick haben, wie wichtig einem dieser Wirtschaftszweig ist und welche Rahmenbedingungen es braucht, um Arzneiforschung in Deutschland zu halten.

Dass die Industrie die Preise für neue Medizin nicht mehr nach Gusto festlegen darf, ist aus Kassensicht ein Riesenerfolg.

Die großen Preisunterschiede für Arznei in Europa sind für die Kassen natürlich ein Thema. Aber auch den Herstellern ist klar, dass man hier einen fairen Interessenausgleich finden muss, der die Grundlagen der Industrie nicht gefährdet. Wir müssen um den richtigen Weg ringen. Und diesbezüglich erlebe ich bei der Industrie eine rationalere Herangehensweise als manchmal auf der anderen Seite.

Hat sich Ihre Sicht auf die Arzneihersteller verändert?

Nein. Ich habe nie verstanden, warum ein Bereich, der für die medizinische Versorgung extrem wichtig ist, in ein derart negatives Image geraten konnte. Und ich war mir immer sicher: Da muss man wieder herauskommen, um vernünftig arbeiten zu können.

Die Pharmaindustrie gilt als knallhart. Fühlen Sie sich da richtig, als Sozialpolitikerin und Sozialdemokratin?

Gerade für Sozialpolitiker ist es wichtig, darüber nachzudenken, wo es Ressourcen und Potenziale gibt und wie man sie hebt. Die beste Forschung nützt nichts, wenn wir sie nicht anwenden. Ich sehe darin ein großes Problem. Im Übrigen ist es keineswegs so, dass etwa US-Firmen besonderen Druck ausüben. Dort ist man genauso an tragfähigen Lösungen interessiert. Man wundert sich eher, wie komisch hier in Deutschland manches läuft.

Wo sind Ihre ethischen Grenzen?

Ich mache meine Arbeit aus ethischer Überzeugung heraus. Für mich steht im Vordergrund die Frage, welches Ziel verfolgt man und wie versucht man, die Möglichkeiten zur Zielerreichung zu nutzen. Dazu gehört, bestimmte Bereiche nicht auszuschließen. Es geht darum, Wege zu ebnen, damit es zusammen funktioniert.

Müssten die Arzneihersteller nicht viel mehr Geld in die Forschung stecken und viel weniger in ihr aggressives Marketing?

Dahinter steckt eine Behauptung, die ich so nicht teile. Die Industrie investiert viel in die Forschung. Aber es gibt auch eine staatliche Verantwortung dafür – gerade in Bereichen, wo die Firmen kein ausgeprägtes Interesse haben.

Sie meinen Arznei für seltene Krankheiten, mit der sich nicht so viel verdienen lässt?

Zum Beispiel. Und wir müssen mehr in Versorgungsforschung investieren. Da ist auch der Staat deutlich stärker gefragt.

Der BGH urteilt demnächst über die Frage, ob Praxisärzte wegen Korruption belangt werden können. Am Pranger stehen dabei auch Pharmahersteller, die mit Gefälligkeiten neue Arznei auf den Markt zu drücken versuchen. Reisen, Computer, Geldzahlungen: Läuft da alles richtig aus Ihrer Sicht?

Es ist sehr zu begrüßen, wenn es hier mehr Rechtssicherheit und Transparenz gibt. Bestechlichkeit und Korruption darf es nicht geben. Beim VFA haben wir eine entsprechende Selbstverpflichtung. Mitgliedern, die sich daran nicht halten, drohen Sanktionen.

Es gibt auch Grauzonen. Pharmafirmen bezahlen Ärzte großzügig dafür, dass sie ihren Patienten neue Medikamente verordnen und ein paar Fragebögen ausfüllen.

Anwendungsbeobachtungen sind unseren Mitgliedern nur erlaubt, wenn sie nicht über die Marketing-, sondern die Forschungsabteilung laufen. Die Vergütung für Ärzte muss angemessen , die Ergebnisse spätestens nach zwölf Monaten veröffentlicht sein. Von daher tun wir einiges, um dieses aus Forschersicht wichtige Instrument zu erhalten.

Nun kämpfen Sie um die Erlaubnis, Patienten über Arznei „informieren“ zu dürfen. Darf man Werbung und Information bei einer derart sensiblen Ware vermischen?

Man kann nicht aufs Informieren verzichten, weil man den Verdacht hat, dass die Information nicht neutral, sondern einseitig ausfallen könnte. Andersherum wird ein Schuh daraus: Ich finde diese komischen Beipackzettel für Patienten eine Zumutung. Aber sie sind uns so vorgeschrieben. Es ist zwingend notwendig, zu besserer Patienteninformation zu kommen – für die wir als Pharmaindustrie dann natürlich auch Regeln akzeptieren müssen.

Wann geht es denn los mit den Preisverhandlungen für neue Medikamente, die Sie nun mit den Kassen führen müssen?

Anfang nächsten Jahres. Im Moment sind wir dabei, die Rahmenbedingungen zu entwickeln. Das geht nur miteinander und ist gar nicht so einfach. Es handelt sich um Neuland, man muss gemeinsam kreativ sein. Gleichzeitig hat man mit Vorbehalten und Vorurteilen aus der Vergangenheit zu kämpfen. Was wir zuallererst brauchen, ist ein Klima des Vertrauens.

Ist es für die Atmosphäre von Vorteil, dass Sie die Gegenseite so gut kennen?

Der Erfahrungshintergrund erleichtert es mir, mich in die Köpfe der anderen zu versetzen. Das ist, denke ich, eine gute Voraussetzung für erfolgreiche Verhandlungen – im Sinne aller Beteiligten.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

ZUR PERSON

KARRIERE

Birgit Fischer (57) ist seit Mai Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Vorher war die Bochumerin Gesundheitsministerin in NRW und Chefin der größten gesetzlichen Krankenkasse, der Barmer GEK. Der Wechsel zur Pharmalobby hat der SPD-Politikerin, die auch im Präsidium des Evangelischen Kirchentages saß, Kritik beschert.

VERBAND

Der VFA ist hierzulande einer der mächtigsten Lobbyverbände. Er vertritt die Interessen von 43 weltweit führenden Pharmaunternehmen. In Deutschland repräsentieren die Mitglieder mehr als zwei Drittel des deutschen Arzneimittelmarktes. Sie beschäftigen rund 90.000 Mitarbeiter.

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