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Fleischtheke. Regionalität wird den Kunden wichtiger.

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Vion-Interview: „Wir müssen uns von Werkverträgen verabschieden“

Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie gelten als miserabel. Bernd Stange, Geschäftsführer beim Fleischunternehmen Vion Food Deutschland, sagt im Tagesspiegel-Interview, warum er für Mindestlöhne ist - und vergeblich nach Fachkräften suchte.

Herr Stange, gerade hat sich die Schlachtbranche geeinigt, über einen Mindestlohn zu verhandeln. Wann kommt die Lohnuntergrenze?

Wir gehen davon aus, dass die Verhandlungen spätestens im Oktober aufgenommen werden und zum Jahresende abgeschlossen sind. Das wollen alle Beteiligten, die Unternehmen, die Gewerkschaften und die Bundesregierung.

Dabei waren Sie im August schon mal fast so weit. Warum hat der Wettbewerber Tönnies blockiert?

Tönnies hatte versucht, uns von Alternativen zum Mindestlohn zu überzeugen, die wir aber für unverbindlich hielten. Wir haben am vergangenen Dienstag noch einmal klargemacht, dass wir den Mindestlohn für die rund 80 000 Beschäftigten der Branche wollen. Schließlich hat Tönnies eingelenkt und nun sind alle bereit, sich mit der Gewerkschaft NGG an den Verhandlungstisch zu setzen.

Derzeit ist von einem Branchenmindestlohn in Höhe von 8,19 Euro die Rede, aus Sicht der Gewerkschaften ein Niedriglohn.

Das ist der Mindestlohn, der in der Zeitarbeitsbranche gilt, und der zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelt wurde. Wie die Höhe hinterher ausfällt, ob es Unterschiede zwischen Ost und West geben wird, werden die Verhandlungen mit der NGG zeigen.

Was bedeutet das für die Beschäftigten, die mit Werkverträgen arbeiten?

Wenn die Branche ins Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen wird, gilt der Mindestlohn auch für die Mitarbeiter der Werkvertragsunternehmen. Daher werden wir den Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit stellen, und das Bundesarbeitsministerium sieht sehr gute Chancen, dass das klappt.

Was zahlt Vion in den Schlachtbetrieben?

Fest angestellten Mitarbeitern hat Vion schon immer mindestens den Tariflohn und mehr gezahlt. Zur konkreten Lohnhöhe geben wir öffentlich aber keine Auskunft. Zudem ist Vion unter den vier Großen der Branche das Unternehmen mit dem höchsten Anteil an Festangestellten: 5000 unserer 9000 Mitarbeiter gehören zur Stammbelegschaft.

In Ihrem Werk in Hilden etwa sind 60 Prozent der Mitarbeiter Werkvertragler, in Emstek soll der Subunternehmer nur fünf Euro pro Stunde gezahlt haben.

Das Verhältnis der eigenen Mitarbeiter zu den Beschäftigten externer Dienstleister ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. An manchen Standorten beschäftigen wir keine Subunternehmer. Die Mitarbeiter der Werkvertragsfirmen, das haben unsere Stichproben ergeben, verdienen mehr als 1000 Euro netto im Monat.

Warum geht es nicht ohne Werkverträge?

Als ich vor zehn Jahren am Standort Buchloe im Allgäu gearbeitet habe, wollte ich dort die Werkvertragsquote auf null bringen. Dort produzieren wir hochwertiges Rindfleisch. Ich bat damals das Arbeitsamt, 35 Metzger oder anlernfähige Kräfte ausfindig zu machen. Nach mehreren Wochen haben die aufgegeben, weil es keine entsprechenden Arbeitskräfte gab. Wir, wie auch alle anderen Wettbewerber, sind also gezwungen, mit Werkvertragsunternehmen zu arbeiten, die Fachkräfte aus dem Ausland beschäftigen.

Finden Sie genug Azubis?

Heute ist es äußerst schwierig, junge Menschen für den Beruf des Fleischers zu begeistern. Wir haben in Perleberg in Brandenburg viele Jahre lang bis zu 15 Azubis gehabt. Nun mussten wir die Ausbildung ein Jahr lang aussetzen, weil wir keine Jugendlichen gefunden haben.

Wegen des schlechten Branchen-Images?

Bernd Stange (53), Geschäftsführer bei Vion Food Deutschland, kümmert sich um alles, was im Unternehmen mit Schlachtung zu tun hat. Vion Food Deutschland, Tochter des niederländischen Konzerns, gehört zu den vier größten Schlachtbetrieben im Land mit 42 Standorten und 9000 Mitarbeitern. 2012 wurden dort neun Millionen Schweine und 890000 Rinder geschlachtet.
Bernd Stange (53), Geschäftsführer bei Vion Food Deutschland, kümmert sich um alles, was im Unternehmen mit Schlachtung zu tun hat. Vion Food Deutschland, Tochter des niederländischen Konzerns, gehört zu den vier größten Schlachtbetrieben im Land mit 42 Standorten und 9000 Mitarbeitern. 2012 wurden dort neun Millionen Schweine und 890000 Rinder geschlachtet.

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Früher war man stolz, in der Schule zu erzählen, dass der Vater Fleischer ist. Heute steht man damit in der Schmuddelecke. Hinzu kommt, dass das Schlachten harte Arbeit ist, für die man sehr früh aufstehen muss. Die Betriebe fangen gegen vier Uhr morgens an.

Was tut Vion, um sicherzustellen, dass die Subunternehmer ordentlich mit den Mitarbeitern umgehen?

Wir haben konzerninterne Regeln für die Belegung von Räumen, für sanitäre Einrichtungen, Verpflegungssätze. Bei uns gab es noch keine Beanstandungen. Auch über die Löhne informieren wir uns stichprobenartig. Dabei müssen wir allerdings sehr vorsichtig sein. Denn wenn wir unsere Subunternehmer zu stark überwachen, verstoßen wir gegen Gesetze. Theoretisch könnte der Zoll dann sagen: Das ist unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, ihr müsst jetzt die Beschäftigten einstellen. Trotzdem auditieren wir unsere Werkvertragsfirmen und lassen uns Bescheinigungen vorlegen. Aber umfängliche Kontrollen sind uns nicht erlaubt.

Das scheint nicht zu reichen.

Wir haben gerade einen Brief an Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen geschickt, in dem wir darum bitten, umfangreiche Lohnkontrollen durchführen zu dürfen, ohne dass der Werkvertrag infrage gestellt wird.

Und bei den Arbeitsbedingungen?

Im Rahmen der Mindestlohn-Verhandlungen wollen wir für die Branche eine freiwillige Selbstverpflichtung ausarbeiten, in der die Mindeststandards für Arbeiten und Wohnen festgelegt sind. In sechs Monaten soll das stehen.

Wollen Sie die Quote der Werkverträgler bei Vion senken?

Unser Ziel ist es, mittel- bis langfristig keine Werkvertragsarbeitnehmer mehr zu beschäftigen. Von diesem Modell müssen wir uns verabschieden. Die Erkenntnis setzt sich jetzt auch bei vielen Wettbewerbern durch.

Politiker wie Renate Künast und manche Ernährungsexperten fordern, weniger Fleisch zu essen. Spüren Sie das?

Den sinkenden Fleischkonsum spüren wir, der ja vielfältige Gründe hat – von Klimabedenken über Gesundheitsaspekte bis hin zum Tierwohl. Insbesondere der Absatz von Schweinefleischprodukten geht zurück. Der Rindfleischkonsum hat sich seit der BSE-Krise aber stabilisiert.

Welchen Anteil haben Lebensmittel-Skandale am Rückgang?

Kurzfristig ist das sicherlich spürbar, etwa bei Dioxin oder BSE. Aber die Kontrollen in Deutschland sind so gut, dass hierzulande schwarze Schafe auf Dauer keine Chance haben. Vor Leuten, die gegen Gesetzte verstoßen, wie etwa beim Dioxin-Skandal, kann man sich aber nicht hundertprozentig schützen.

Verkaufen Sie mehr Bio-Produkte?

Der Markt für Biofleisch ist verschwindend klein im Vergleich zur konventionellen Ware. Wir sehen hier auch in den nächsten Jahren nicht die großen Zuwachsraten. Der Bio-Anteil beim Schweinefleisch liegt seit über zehn Jahren unverändert bei unter einem Prozent.

Was kann der Verbraucher tun, um das Risiko zu minimieren?

Grundsätzlich sind Fleischprodukte in Deutschland hochwertig. Den Verbrauchern ist aber zunehmend Regionalität wichtig. Nicht nur, weil dadurch Arbeitsplätze vor Ort gesichert werden, auch für Tiere und Umwelt ist das schonender, vor allem wegen kürzerer Transportwege.

Auf vielen Verpackungen steht gar nicht drauf, wo das Fleisch herkommt.

Bei bestimmten Rindfleischprodukten aus unserem Haus können wir bis zum einzelnen Tier nachweisen, woher es stammt.

Warum nicht bei allen?

Das ist ein hoher finanzieller und logistischer Aufwand. Aber langfristig ist das ein Ziel, das von der Fleischwirtschaft und dem Handel umgesetzt werden kann, wenn der Verbraucher bereit ist, dafür die Mehrkosten beim Fleischeinkauf auch zu tragen.

Wie will Vion trotz sinkenden Konsums seinen Absatz sichern?

Wir versuchen, mit höherwertigeren Produkten zu reagieren, etwa durch das Tierschutz-Label, das wir mit dem Deutschen Tierschutzbund entwickelt haben. Die Schweine haben 30 Prozent mehr Platz in ihren Ställen, Stroheinstreu, die Tiere haben wieder Ringelschwänzchen. Die Eber dürfen nicht mehr betäubungslos kastriert werden. In Berlin läuft gerade in 150 Kaiser’s-Märkten und 50 Edeka-Reichelt-Filialen die Testphase für diese Schweinefleischprodukte.

Ist das Fleisch teurer?

Die Verbraucher müssen dafür bis zu 15 Prozent mehr auf den Tisch legen.

Soll das Siegel ausgeweitet werden?

Jetzt schauen wir erst mal, ob die Verbraucher das Produkt zu den höheren Preisen annehmen. Wenn ja, wollen wir das auf Rindfleisch ausweiten. Letztendlich entscheidet der Kunde im Laden, welche Tierhaltung wir in Deutschland haben.

Das Kartellamt will Bußgelder gegen etliche Wursthersteller verhängen. Ist Vion betroffen?

Wir kennen den Fall und arbeiten in der Sache eng mit dem Kartellamt zusammen. Zu einem nicht abgeschlossenen Verfahren können wir uns aber nicht äußern.

Wie viel Fleisch essen Sie selbst?

Ich esse fast täglich Fleisch, sonst kriege ich schlechte Laune. Meine Mitarbeiter schicken mich schon mal in die Kantine, und empfehlen mir das Schnitzel. Ich lebe nach der Devise: Fleisch gehört auf den Teller, Kartoffeln bleiben im Keller.

Das Gespräch führte Jahel Mielke

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