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Wirtschaft: Volles Risiko

Jährlich ziehen mehr als eine Million Bürger vor den Kadi - und es wären wahrscheinlich noch viel mehr, wenn eine Prozessführung nicht finanzielle Risiken mit sich bringen würde. Denn eine Rechtsschutzversicherung hat längst nicht jeder und die Prozesskostenhilfe ist einkommensabhängig.

Jährlich ziehen mehr als eine Million Bürger vor den Kadi - und es wären wahrscheinlich noch viel mehr, wenn eine Prozessführung nicht finanzielle Risiken mit sich bringen würde. Denn eine Rechtsschutzversicherung hat längst nicht jeder und die Prozesskostenhilfe ist einkommensabhängig. Auch wer sich da im Recht fühlt, überlegt sich den Gang vor Gericht gut. Auf diese Klientel zielt eine neue Branche im Rechtsmarkt: Die Prozessfinanzierer. Die Unternehmen bieten die vollständige Kostenübernahme bei zivilen Rechtsstreitigkeiten an - vorausgesetzt, der Fall ist überwiegend Erfolg versprechend. Der Verbraucher kann dann einen Prozess mit einem Anwalt seiner Wahl führen, ohne dafür auch nur einen Euro zu zahlen. Unter Umständen ist dabei sogar der Einstieg in ein laufendes Verfahren möglich.

Dafür verlangen die Unternehmen am Schluss eine Beteiligung, die derzeit zwischen 20 und 30 Prozent des Betrages liegt, der letztendlich vor Gericht durchgesetzt werden kann. "Die Besonderheit liegt darin, dass hier also das Finanzierungsunternehmen das Risiko eines negativen Prozessausgangs voll trägt und anders als bei Rechtsschutzversicherungen dieses Unternehmen erst dann beauftragt wird, wenn der Prozess ansteht", erläutert Rechtsanwalt Hubert van Bühren, Vorsitzender des Ausschusses Versicherungsrecht im Deutschen Anwalt Verein, das Geschäftsmodell.

Anders als die Rechtsschutzversicherungen verlangen die Prozessfinanzierer keine monatlichen Prämienzahlungen. Sie partizipieren am Erfolg des Prozessausgangs, wenn er denn eintritt. Zwar gibt es für einkommensschwache Verbraucher nach wie vor die Möglichkeit, staatliche Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen. Doch die trägt im Fall des Unterliegens vor Gericht lediglich die eigenen Anwaltskosten. Die Anwaltskosten des Gegners muss der finanziell ohnehin schon schwache Kläger dann doch aus eigener Tasche zahlen.

Unbekannte Unternehmen

Etwa ein Dutzend neuer Unternehmen decken diese Dienstleistung heute ab. Aber es gibt auch Gefahrenpunkte bei dieser Art der Prozessfinanzierung. Lutz Wilde, Rechtsredakteur der Zeitschrift Finanztest meint: "Das Problem bei den Prozessfinanzierern ist häufig, dass man die Unternehmen einfach noch nicht kennt. Es gibt keine Berufs- beziehungsweise Branchenaufsicht und der heikle Punkt, ob die Unternehmen selbst über eine ausreichende Finanzdecke verfügen, wird von niemandem überprüft. Man ist hier auf die Angaben der Finanzierer angewiesen." Wenn der Prozessfinanzierer vor Prozessende kollabiert, bleibt der Mandant auf den Kosten sitzen und trägt allein das Risiko. Die Zeitschrift Finanztest hat deshalb im Internet die derzeit auf dem Markt agierenden Unternehmen zusammengetragen und über die Finanzierer Informationen gesammelt.

Dass für die Prozessfinanzierer ein Markt vorhanden ist, liegt an der lückenhaften Rechtsschutzversicherung. Im Bau-, Familien- und Erbrecht sind Deckungszusagen der Rechtsschutzversicherer zumeist ausgeschlossen. Häufig erheben diese auch den Einwand der so genannten Vorvertraglichkeit. Ist der Rechtsstreit nämlich zu einem Zeitpunkt entstanden, als die Rechtsschutzpolice noch nicht bestand, lehnt die Rechtsschutzversicherung eine Kostendeckungszusage ab. Im übrigen ist ein Vertragsrechtsschutz im gewerblichen Bereich ausgeschlossen. Unternehmen und Selbstständige können sich also nicht gegen das Risiko fehlerhaft abgeschlossener Verträge absichern.

Die Finanzierungs-Unternehmen kommunizieren nur mit den Anwälten der Mandanten. Die Vorarbeiten muss der Anwalt leisten, indem er zunächst den Entwurf einer Klageschrift fertigt und an den Prozessfinanzierer schickt. Dieser prüft dann den Fall und übersendet bei Interesse einen entsprechenden Finanzierungsvertrag. Diesen widerum muss der Mandant zunächst unterschreiben. Die Unterschrift gilt als Angebot, an die der mögliche Kläger drei Wochen lang gebunden ist.

Jetzt beginnt für die Prozessfinanzierer erst die intensive Prüfung des Falles. Die dreiwöchige Bindung des Mandanten hat den wirtschaftlichen Hintergrund, dass der Finanzierer anderenfalls vom Anspruchsinhaber an der Nase herumgeführt werden könnte: Bei einer Erfolg versprechenden Einschätzung durch den Finanzierer könnte der Prozess vom Mandanten immerhin auch auf eigenes Risiko geführt werden.

Für Anwälte ist diese Möglichkeit der Kostenübernahme ein willkommenes Geschenk. Denn über die Prozessfinanzierer wird ihr Gebührenaufkommen erhöht: Schließlich würden diese Mandanten meist wohl nicht klagen, gäbe es keine Prozessfinanzierungsunternehmen.

Marcus Creutz

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