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Wirtschaft: Vom Sorgenkind zur Boomregion

Rumänien tritt 2007 der EU bei / Die Wirtschaft wächst trotz Korruption

Berlin - Transsilvanien – der Name lässt das Blut in den Adern gefrieren. Doch heulende Wölfe trifft man in Städten wie Hermannstadt (Sibiu) oder Kronstadt (Brasov) nicht an. Eher erinnern sie an das Allgäu. Und wirtschaftlich boomt die rumänische Provinz rund 800 Kilometer südöstlich von Deutschland; Unternehmen haben Transsilvanien als attraktiven Standort entdeckt.

„Wir haben gut ausgebildete Ingenieure, niedrige Lohnkosten und bringen Deutschkenntnisse mit“, sagt Ian Codrut Seres. Der rumänische Minister für Wirtschaft und Industrie wirbt während seines Berlin-Besuchs in diesen Tagen für sein Land. Nach einem verpassten Beitritt 2004 soll das einstige „Sorgenkind“ nun doch am ersten Januar 2007 der EU beitreten. Seres wehrt sich gegen das schlechte Rumänien-Image und hofft auf weitere Investoren. Die wichtigsten Wirtschaftszweige seien die Textil- und die Automobilbranche. Momentan verhandele das Land mit den Energiekonzernen Eon und Enel über Investitionsprojekte, unter anderem gehe es um Beteiligungen an Atomkraftwerken.

Aber nicht nur große, auch mittelständische Unternehmen aus Deutschland gibt es in Rumänien. Die Außenhandelskammer (AHK) spricht insgesamt von 13 400 Betrieben und Produktionsstätten. Allein in den vergangenen 15 Jahren hätten deutsche Firmen rund fünf Milliarden Euro investiert. Nach Italien, Frankreich und Holland stehen die Deutschen an vierter Stelle bei Investitionen.

Doch eine gewisse Skepsis ist geblieben. Ein diktatorisches Erbe, Korruption, eine miserable Infrastruktur – in den vergangenen Jahren galt Rumänien als das Armenhaus Europas. Nur unter strengen Auflagen will die EU-Kommission dem Beitritt Rumäniens im Januar 2007 zustimmen. Der Reformeifer der letzten drei Jahre müsse unbedingt beibehalten werden. Tatsächlich bescheinigten jüngste Studien von Transparency International und der Weltbank dem Land eine steigende Investitionsfreundlichkeit. Elf Tage benötigt man demnach, um in Rumänien ein Unternehmen zu gründen. Beim Schutz von Investoren schneide das Land sogar besser ab als Frankreich, Griechenland oder Deutschland.

Derzeit nutzen neben der Textilindustrie vor allem Zulieferer der Automobilbranche den Standort. Ein Beispiel ist der Reifenhersteller Continental. Rund 2000 rumänische Fachkräfte arbeiten an den Standorten Temeswar und Hermannstadt. „Wir schätzen neben den günstigen Produktionskosten auch die Anbindung an gute Universitäten“, sagt Unternehmenssprecher Hannes Boeckhoff. Siemens und Infineon nutzen das Potenzial an Software-Ingenieuren.

„Wir erhoffen uns natürlich auch, neue Absatzmärkte zu erschließen“, sagt Boeckhoff. Mit 22 Millionen Einwohnern ist Rumänien nach Polen der zweitgrößte Absatzmarkt in Osteuropa. Allein der bilaterale Handel zwischen Rumänien und Deutschland hat sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Der Wert der aus Deutschland nach Rumänien exportierten Waren ist seit 2003 von 3,5 Milliarden auf 7,3 Milliarden Euro gestiegen.

Doch nicht alle profitieren von der Liberalisierung des rumänischen Marktes. „Wenn Rumänien der EU beitritt, dann muss es sich einem ohnehin schon harten Wettbewerb stellen, und das wird auf Kosten der kleinen rumänischen Betriebe gehen“, mahnt Anton Wirth, Osteuropa-Experte der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Die staatliche Institution unterstützt die wirtschaftliche Entwicklung in Rumänien vor Ort und beobachtet einen zunehmenden Verdrängungswettbewerb durch große Handels- und Bekleidungsketten wie beispielsweise Metro. „Die Leidtragenden sind kleine Bauern, deren rumänischer Hartkäse künftig mit französischem Camembert konkurriert“, sagte Wirth.

Schon jetzt sei die Schere zwischen Arm und Reich weit geöffnet. Rund 30 Prozent der rumänischen Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. „Das sieht man vor allem, wenn man die boomenden Städte verlässt und aufs Land fährt.“

Ina Brzoska

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