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Schattenmann. Der frühere Top-Manager Martin Winterkorn soll im Bundestag Licht ins Dunkel der Abgasaffäre bringen.

© Julian Stratenschulte/dpa

VW-Abgasskandal im Bundestag: Was wusste Winterkorn - und was die Regierung?

Der frühere Volkswagen-Chef Martin Winterkorn stellt sich am Donnerstag den Fragen im Untersuchungsausschuss. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt seit anderthalb Jahren. Ein Überblick.

Martin Winterkorn spricht wieder. An diesem Donnerstag, ab 10 Uhr, soll der frühere Volkswagen-Chef vom Abgas-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags vernommen werden. Das letzte öffentlich gesprochene Wort von Winterkorn liegt anderthalb Jahre zurück.

Am 22. September 2015 entschuldigte sich der damals noch amtierende Vorstandsvorsitzende in einem kurzen Video für den vier Tage zuvor bekannt gewordenen Dieselskandal. Die Softwaremanipulationen bei mehr als elf Millionen Fahrzeugen des VW-Konzerns seien „schlimme Fehler einiger Weniger“ gewesen, sagte der sichtlich angegriffene Winterkorn. Am nächsten Tag trat er zurück – und verschwand aus der Öffentlichkeit. Bis zu diesem Donnerstag.

Warum hat der Untersuchungsausschuss Winterkorn vorgeladen?

Der im Juli 2016 eingesetzte Ausschuss soll generell klären, inwieweit die Bundesregierung wusste, dass die Abgas- und Verbrauchswerte von Fahrzeugen auf der Straße deutlich höher sind, als von den Herstellern angegeben. Winterkorn soll dabei die Frage beantworten, wann die Regierung über die Manipulationen an Millionen Fahrzeugen des VW-Konzerns erfahren hat und wie groß der Einfluss der Autolobby auf die gesetzliche Abgasregulierung war.

An diesen Untersuchungsauftrag müssen sich die acht Mitglieder des Gremiums unter Leitung des Linken-Politikers Herbert Behrens halten. Fragen sollen am Donnerstag auch der Präsident des Autoverbands VDA, Matthias Wissmann, sowie Vertreter von Audi und Opel beantworten. Auch Eckart von Klaeden, Ex-Staatssekretär im Kanzleramt und seit drei Jahren Leiter der Abteilung Politik und Außenbeziehungen von Daimler, ist geladen.

Welche Erkenntnisse sind aus der Befragung Winterkorns zu erwarten?

Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, warnt vor allzu großen Erwartungen: „Für uns ist nicht entscheidend, was Herr Winterkorn wann wusste und wie groß der Kreis der Verantwortlichen für den Dieselskandal ist – das müssen Gerichte klären“, sagt Lühmann. In die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig werde sich das Parlament nicht einmischen. Winterkorn, der mit seinen Anwälten erscheinen wird, sei auch nicht gezwungen, alle Fragen zu beantworten. „Er würde sich sonst womöglich selbst belasten.“

Dennoch könnte eine Antwort des Ex-VW-Chefs, wann er die Regierung informierte, Aufschluss über seine Verwicklung in den Skandal geben. In den vergangenen Tagen waren neue Hinweise dafür aufgetaucht, dass Winterkorn früher als behauptet von den millionenfachen Manipulationen wusste. Die bei Dieselmotoren des Typs EA 189 eingebaute „Schummelsoftware“ hatte dazu geführt, dass weltweit 11,8 Millionen Fahrzeuge (neben VWs auch Audi, Porsche, Seat und Skoda) auf der Straße deutlich mehr Stickoxide ausstießen, als im Labor ermittelt worden war.

„Wenn Herr Winterkorn die Aussage verweigert, kommt dies einem Schuldeingeständnis gleich“, hatte der Ausschussvorsitzende Behrens dem „Handelsblatt“ gesagt. Er kritisierte zugleich, dass nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte deutsche Autoindustrie ein zu enges Verhältnis zum Bundesverkehrsministerium und den daran angeschlossenen Aufsichtsbehörden pflege. „Es gab eine organisierte Verantwortungslosigkeit“, ergänzte der Linken-Abgeordnete. Bei den überhöhten Abgaswerten sei einfach weggesehen worden.

Wie ist der Stand der Ermittlungen gegen Winterkorn und andere?

Winterkorn, der sich nach eigener Aussage „keines Fehlverhaltens bewusst ist“, steht zunächst unter dem Verdacht der Marktmanipulation. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft ihm – und anderen VW-Managern – vor, den Kapitalmarkt zu spät über die Dieselaffäre und mögliche Folgen für den Konzern informiert zu haben. Anleger, die mit ihren VW-Aktien nach Bekanntgabe des Skandals hohe Verluste erlitten haben, klagen auf Schadenersatz in Höhe von acht Milliarden Euro.

Möglicherweise nahm Winterkorn schon im Mai 2014 Notiz von Untersuchungen der US-Behörden, nach denen VW-Fahrzeuge auffällig hohe Stickoxidemissionen im Alltagsbetrieb aufwiesen. Konkreter werden die Vorwürfe, die sich um ein Treffen am 27. Juli 2015 am sogenannten „Schadenstisch“ in Wolfsburg drehen. Dort wurden und werden aktuelle Qualitätsprobleme des Autokonzerns besprochen.

Der frühere Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer, der in den USA inzwischen wegen Betrugsverdachts angeklagt ist, soll Winterkorn und VW-Markenvorstand Herbert Diess an diesem Tag Auskunft zur Situation in den USA gegeben haben. Mitarbeiter sollen dabei auch darüber gesprochen haben, dass „etwas Illegales in unsere Autos installiert wurde“. Beweise dafür gibt es nicht, die Informationen stammen von Kronzeugen, die von der US-Justiz vernommen wurden und die ihre Schuld womöglich auf andere abschieben wollen.

Volkswagen hat sich bislang nur zwei Mal explizit zu den Vorwürfen geäußert, zuletzt in einem „Statement of facts“ im Zusammenhang mit dem Vergleich mit dem US-Justizministerium. Danach erreichten den Konzernvorstand konkrete Informationen über den Dieselbetrug und illegale Abschalteinrichtungen („defeat devices“) erst am 3. September 2015.

Träfen die Vorwürfe zu und hätten Winterkorn und VW-Vorstandsmitglieder tatsächlich so frühzeitig von den Manipulationen erfahren, bekäme der Dieselskandal eine neue Dimension. Ausschussmitglied Kirsten Lühmann spricht von einer möglichen „Schadensvertiefung“: „Man müsste sich fragen, wie eine solche Führungs- und Fehlerkultur zustande kommen konnte“, sagt die SPD-Abgeordnete.

Möglicherweise kommt auf Winterkorn auch eine Schadenersatzklage des Unternehmens zu. Grundlage ist die Organhaftung des Vorstands. Der Aufsichtsrat hat die gesetzliche Pflicht, Ansprüche zu prüfen. Derzeit erstellt ein Gesellschaftsrechtler ein entsprechendes Gutachten. Aus dem Aufsichtsrat ist zu hören, dass eine Klage möglich ist – zumal sich das Gremium bei Versäumnissen selbst juristisch angreifbar machen würde.

Wie groß ist der Kreis der Verdächtigen?

Ermittelt wird an vielen Stellen – in Amerika, wo der VW-Manager Oliver S. in Haft sitzt und sechs weitere VW-Mitarbeiter angeklagt wurden; in Braunschweig, wo die Staatsanwaltschaft 31 Verdächtige im Visier hat, darunter 21 Beschuldigte wegen Verdachts auf Betrug, sechs wegen Steuerdelikten bei unregelmäßigen CO2-Werten und einer wegen Datenvernichtung. Zu den prominentesten Verdächtigen gehört Hans Dieter Pötsch, seit Oktober 2015 Aufsichtsratsvorsitzender und davor langjähriger Finanzvorstand von Volkswagen.

Am deutlichsten formuliert die US-Justiz ihre Vorwürfe: Aus den Gerichtsdokumenten zur Strafanzeige gegen Oliver S. geht hervor, dass die Juristen der Konzernspitze nicht nur vorwerfen, seit Juli 2015 in die Manipulationen eingeweiht gewesen zu sein. Die US-Justiz stützt sich dabei auf die eidesstattliche Erklärung eines FBI-Agenten und Aussagen gleich mehrerer Konzerninsider. Einer der Zeugen behauptet, er habe sich über die Vorgaben seiner Vorgesetzten hinweggesetzt, als er die Tricksereien letztlich gegenüber den US- Behörden zugab.

Wie aussichtsreich sind die Klagen von Volkswagen-Kunden?

Bundesweit gibt es mehrere hundert Zivilverfahren an Landgerichten, die Käufer gegen Autohäuser oder den VW-Konzern angestrengt haben. Die rechtlichen Begründungen sind so unterschiedlich wie die Richtersprüche. Entscheidungen höherer Instanzen gibt es bisher noch nicht, VW hat in den meisten Fällen Berufung eingelegt. Der Konzern muss sich gegen den Vorwurf wehren, Kunden unterschiedlich zu behandeln. In den USA willigte man auf Druck der Behörden in ein automatisches Entschädigungsprogramm für Käufer ein. In Deutschland ist die Rechtslage jedoch anders. Hier müssen Kunden Ansprüche einklagen.

Ein interessantes Urteil erging am Dienstag vor dem Landgericht in Hildesheim: Die Richter verurteilten Volkswagen wegen „sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung“ und „Verbrauchertäuschung“ zur Rückzahlung des Neuwagenpreises an einen Skoda-Kunden. Die illegale Software sei eine „gesetzeswidrige Manipulation der Motorsteuerung, die gegen europäische Vorgaben zur Typgenehmigung bei Kraftfahrzeugen verstößt“. VW nannte das Urteil „rechtlich verfehlt“. Kundenanwälte jubelten: „Das Urteil ist der Beweis, dass wir uns mit unserem deutschen Recht nicht verstecken brauchen oder gar neidisch in die USA schauen müssen“, sagte Jan-Eike Andresen von der Plattform My-Right. Jeder VW-Fahrer habe ein Recht auf Entschädigung.

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