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Fahnen im Wind. Die 27 EU-Staaten sind gefordert, gemeinsam einen Weg aus der Krise zu finden.

© AFP

Währungsunion wächst zusammen: Europa plant radikale Reformen

In Brüssel braut sich was zusammen: Getrieben von der Euro-Krise arbeitet die EU an weitreichenden inneren Reformen. Kanzlerin Merkel will keine Denkverbote.

Erste Konturen hatte das Bild schon in den vergangenen Wochen bekommen: Erst war da der Auftritt des EU-Währungskommissars Olli Rehn im Europaparlament, der einen Zeitplan zur Einführung von Euro-Bonds forderte. Dann wurde Ratspräsident Herman Van Rompuy beim EU-Gipfel von den Staats- und Regierungschefs vor rund zehn Tagen mit Vorarbeiten beauftragt, um – wie er selbst sagte – „die Währungsunion auf die nächste Stufe zu heben“.

In den vergangenen Tagen verdichtete sich das Bild: EZB-Chef Mario Draghi, der zusammen mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker zu Van Rompuys Arbeitsgruppe gehört, sagte am Donnerstag vor dem Wirtschaftsausschuss des Parlaments, die Ausgestaltung der Euro-Zone sei „nicht mehr nachhaltig, wenn nicht weitere Schritte unternommen würden“. Die Staats- und Regierungschefs müssten endlich sagen, wie sie sich den Währungsraum in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren vorstellten: „Vertreiben Sie diesen Nebel!“ Bundeskanzlerin Angela Merkel antwortete am selben Tag: „Es ist natürlich möglich, darüber nachzudenken, wie wir uns in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiterentwickeln“, sagte sie. „Wenn wir uns unentwegt Denkverbote auferlegen, wird das nicht klappen.“

EU-Diplomaten in Brüssel bestätigen, dass „sich gerade etwas zusammenbraut“. Der Grund dafür liegt auf der Hand. „Die Krise verschärft sich, der Status quo ist einfach nicht mehr haltbar“, sagt ein Vertreter eines Mitgliedslandes ohne Schuldenproblem. Viele Investoren wollen den Euro-Ländern vor allem deshalb kaum mehr Geld leihen, weil sie nicht wissen, ob der betreffende Staat bei Fälligwerden des Kredits noch der Gemeinschaftswährung angehört und seine Schulden auch in Euro zurückzahlt. Nach dem inhaltlich knappen Fiskalpakt soll nun also der zweite, umfassendere Teil der politischen Antwort auf die Krise folgen. Ein EU-Diplomat hält es für „sehr wahrscheinlich, dass es in dieser Sache am Monatsende einen eigenen Gipfel der Euro-Staaten geben wird“.

Über die „wichtigsten Bausteine“ eines runderneuerten Europa, über die der Belgier Van Rompuy derzeit mit allen wichtigen europäischen Akteuren spricht, gibt es bisher kaum detaillierte Angaben. Die wichtigsten Elemente zeichnen sich aber sehr wohl ab: Kommissionschef Barroso hat vergangene Woche bereits eine „Bankenunion“ ins Spiel gebracht, um von der Pleite bedrohte Geldhäuser wie derzeit in Spanien gemeinschaftlich regulieren und retten zu können. Als Bestandteile einer solchen Zusammenarbeit nannte der Portugiese eine einheitliche Aufsicht und gemeinsame Systeme zur Sicherung aller Spareinlagen, die sich in der EU auf rund elf Billionen Euro belaufen, sowie zur Abwicklung von Pleitebanken, wozu der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier in dieser Woche Vorschläge unterbreitet.

Deutschlands Nein zu den Euro-Bonds wird immer schwerer zu halten.

Die zweite Säule der Euro-Reform wird erneut die fiskalische Seite betreffen. Und gerade im Streit um Euro-Bonds, bei dem sich Deutschland nach der Wahl von François Hollande in Frankreich zunehmend in der Defensive sieht, bietet sich ein langfristiger Zeitplan zusammen mit weiteren Integrationsschritten wie einer strengen Budgetkontrolle aus Brüssel als Ausweg an: Die Bundesregierung könnte ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären, in Zukunft auch für die Schulden anderer Euro-Staaten mitzuhaften, wenn die europäische Ebene direkte Durchgriffsrechte etwa in Gestalt eines EU-Finanzministers auf die nationalen Haushalte bekäme. Merkel hat am Wochenende wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland dazu bereit sei.

Der dritte Aspekt, der in Brüssel und den anderen europäischen Hauptstädten derzeit intensiv diskutiert wird, betrifft im weitesten Sinne das politische Geschäft: Wie können die Kompetenzen im komplizierten europäischen Institutionengeflecht auch für die Bürger klarer werden? Wird der EU-Kommissionschef möglicherweise direkt gewählt und dann eine echte europäische Regierung führen? Wie stellt sich Europa besser in Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf? An diesen Fragen arbeitet schon seit mehreren Monaten eine sogenannte Reflexionsgruppe von zehn Außenministern, die der deutsche Amtsinhaber Guido Westerwelle ins Leben gerufen hat. Die Veröffentlichung eines Berichts ist für den Herbst geplant. Gut möglich, dass dann – wenn die Ratifizierungsprozesse von Fiskalpakt und Krisenfonds ESM abgeschlossen sind – die Debatte über das neue Europa so richtig beginnt.

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