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Wall Street: Der Staat dankt ab - die Banker danken

Auf den ersten Blick ist es ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für den US-Steuerzahler: US-Banken begleichen ihre Schulden beim Staat - um hohe Boni zu zahlen. So schwächen sie ihre Geschäftsbasis. Das Risiko trägt der Bürger.

Die Bank of America hat 45 Milliarden Dollar an Staatshilfen zurückgezahlt:  Hilfsgelder, die sie während der Finanzkrise aus dem Bankenrettungsfonds der Regierung (Troubled Assets Relief Program, Tarp) erhalten hatte. Auch Konkurrent Citigroup bemüht sich derzeit eifrig, die für eine Rückzahlung nötigen Mittel zusammenzukratzen.

JP Morgan, Goldman Sachs und Morgan Stanley hatten schon im Sommer ihre Schulden beim Staat beglichen. Schafft die Citibank das ebenfalls, hätten die letzten der großen Tarp-Empfänger die Staatsgelder zurückgezahlt. Die Bank of America hat sogar Aktien ausgegeben, um die für die Rückzahlung nötige Summe zu bekommen. Citi-Chef Vikram Pandit plant angeblich dasselbe. Zusätzlich sollen "interne Mittel" lockergemacht werden, teilt sein Institut mit.

Zwar ziert sich die Regierung noch, ihm die Genehmigung zu erteilen. Dennoch: Dass die Staatsmilliarden so schnell zurückgegeben werden, sind gute Nachrichten für die beiden Institute, die an der Wall Street bis vor kurzem als "Zombiebank" verspottet wurden, gute Nachrichten für die Finanzbranche und die gesamte Wirtschaft – oder?

Es kommt auf den Blickwinkel an. Tarp kam unter dramatischen Umständen zustande. Nach der Pleite von Lehman Brothers und dem Beinahe-Kollaps des Versicherungsgiganten AIG fürchtete die Regierung – damals noch unter Präsident Bush – einen Dominoeffekt unter den Banken. Um die Institute davor zu bewahren, forderte Bushs Finanzminister Hank Paulson die enorme Summe von 700 Milliarden Dollar.

Das galt damals als absoluter Rekord. Um seine Forderung durchzusetzen soll Paulson, so wird berichtet, sogar vor Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses, auf die Knie gefallen sein. Ziel war es, die Banken mit mehr Kapital auszustatten und sie so zu stabilisieren. Nur so, so Paulsons Begründung, könnten sie weiterhin ihre entscheidende Funktion für die restliche Wirtschaft gewährleisten.

Ist das Ziel 14 Monate später also erreicht? Die Bank of America hat im zweiten Quartal einen Gewinn von 3,2 Milliarden Dollar ausgewiesen. Allerdings verdankt das Institut das Plus zum großen Teil dem Verkauf von Vermögenswerten – das ist nichts, was sich künftig wiederholen ließe. Im dritten Quartal meldete die Bank einen Verlust von einer Milliarde Dollar. Es hätte noch schlimmer ausgesehen, wenn es nicht gelungen wäre, mit Wertpapierhandel und Investmentbanking Nettoerlöse in Höhe von 2,1 Milliarden Dollar einzufahren. Genau jenes Geschäft aber, das Paulson stützen wollte, weil es die Wirtschaft in Schwung hält, schrumpfte. Die Bank gab weniger Kredite aus, als erhofft.

Mit ihrer Zurückhaltung ist die Bank of America keineswegs allein. Präsident Obama hat die Chefs der großen Institute deswegen bereits ins Weiße Haus einbestellt. Am Montag soll das Treffen stattfinden.

Die Banker jedoch haben Argumente, die sie der Kritik des Präsidenten entgegenhalten können. So verschlechtert sich das Umfeld für Kredite zusehends, und damit steigt das Risiko der Darlehensgeber. Jamie Dimon, der Vorstandschef von JP Morgan Chase, der Nummer zwei hinter Bank of America, warnte diese Woche vor weiteren Kreditausfällen und dem zusätzlichen Risiko durch eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die derzeit für die USA dramatisch hoch bei zehn Prozent liegt. Fast täglich gibt es neue Alarmmeldungen aus dem Markt für Geschäftsimmobilien. Die Preise könnten bald genauso abstürzen wie vor zwei Jahren die Preise der Wohnimmobilien.

Angesichts solcher düsteren Aussichten sollte man denken, dass zusätzliche Mittel – wie etwa aus dem Tarp-Topf – unter den Finanzinstituten hochwillkommen wären. Doch das trifft offenbar nicht zu. Denn es gibt ein wichtiges Motiv für die Rückzahlung der Gelder: Die Banken wollen das Joch staatlicher Aufsicht abschütteln. Zum Beispiel die Bank of America. Ihr Chef Ken Lewis muss gehen, weil die von ihm vorangetriebene Hochzeit seines Instituts mit der Investmentbank Merrill Lynch sich als Milliardengrab erwies. Der Aufsichtsrat der Bank fürchtete, keinen passenden Ersatz für Lewis zu finden, solange Obamas Gehaltsaufseher die Vergütungspakete beschränken durfte. Jetzt haben die Banker wieder freie Hand, um über die Höhe der Gehälter zu entscheiden. 

Citi-Boss Vikram Pandit fühlt sich jetzt noch mehr in der Klemme. Seit Monaten bittet er in Washington, ihm ebenfalls die Rückzahlung der Schuld zu erlauben. Insider erzählen, das sei zu seiner "Mission" geworden. Pandit fürchtet, seine Investmentbanker zu verlieren, die angeblich schon jetzt zum Absprung bereit auf ihren Stuhlrändern sitzen. Die Sorge ist verständlich, betrachtet man etwa Goldman Sachs. Die Bank hat das Tarp-Geld im Sommer zurückgezahlt und wird zum Jahresende knapp 17 Milliarden Dollar an ihre Mitarbeiter ausschütten – für das Wall Street Institut ist das ein neuer Rekord.

Über die Folgen ihrer Entscheidung müssen sich die Bankmanager nicht den Kopf zerbrechen: Das Risiko, dass die Institute durch die überstürzte Rückzahlung schwächer und anfälliger für Krisen werden könnten, trägt die Allgemeinheit. Die Ratingagentur Standard & Poor´s kam in einer Studie jüngst zu dem Schluss, dass "Bank of America in höchstem Masse systemrelevant" sei. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Regierung im Notfall außergewöhnlich weit gehen werde, um der Bank zu helfen.

Quelle: ZEIT ONLINE

Heike Buchter[New York]

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