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Schauplatz des Wolves Summit: der Kulturpalast in Warschau.

© BerlinBalticNordic.net

Delegationsbesuch: Warschau hofiert Berlins Gründer

Die polnische Gründerszene ist hochdynamisch. Nun will das Land noch mehr Start-ups anlocken – mit Konferenzen im Kulturpalast und Geld vom Immobilienkonzern.

Der Kulturpalast ist ein imposantes Bauwerk. Direkt neben dem Hauptbahnhof in Wahrschau ragt der Wolkenkratzer in die Höhe. 1955 fertiggestellt, war der Palast ein Geschenk der Sowjetunion an Polen. Dass dort irgendwann einmal privatwirtschaftliche Jungunternehmen ihre Geschäftsmodelle bewerben würden, haben sich die Sowjets aber wohl nicht träumen lassen. Und doch tagte dort jetzt der Wolves Summit, eine der größten Start-up-Konferenzen Mittel- und Osteuropas. Dass die Veranstaltung in Warschau stattfindet, ist kein Zufall. Denn die polnische Start-up-Szene ist dynamisch, die Motivation der Gründer groß. Laut dem „Polish Start-ups Report 2017“ gibt es im Land bereits 3000 Jungunternehmen.

Schon jetzt kann die polnische Start-up-Szene einige Erfolgsgeschichten vorweisen. Der Krakauer Spezialist für Werbetechnologie Codewise wurde 2011 gegründet und zählt heute zu den am schnellsten wachsenden Jungunternehmen Europas. Polnische „Einhörner“ – also Firmen mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar – sind beispielsweise das Online-Auktionshaus Allegro und das Spielestudio CD Projekt Red, bekannt für die Abenteuerreihe „The Witcher“. Als „Einhorn“-Kandidaten sieht der Finanzspezialist Tomasz Swieboda vom Investor Inovo die Firma LiveChat Software und Brainly, eine Firma für eLearning- Technologien. Seiner Ansicht nach sprechen die vielen Ingenieurs- und Programmiertalente, der starke Unternehmergeist und auch die vergleichsweise geringen Unternehmenskosten für Polen als Start-up-Standort. So verdiene ein höherrangiger Frontend-Programmierer hier nur 2500 Dollar pro Monat.

„Unser Ziel sind mehr und größere Start-ups in Polen“, sagt Julia Krysztofiak-Szopa, Geschäftsführerin der Start- up Poland Foundation. Deshalb macht die Stiftung Lobbyarbeit für Start-up- freundliche Gesetze, zum Beispiel Steuernachlässe oder Visa-Erleichterungen für Arbeitskräfte aus Russland und der Ukraine. „Außerdem betreiben wir systemische Start-up-Förderung, zum Beispiel durch spezielle Events“, sagt Krysztofiak-Szopa. Die Stiftung ist auf Branchenkongressen wie dem Slush in Finnland vertreten und veranstaltet einen Unternehmens-Pitch im polnischen Präsidentenpalast.

Von der Dynamik der polnischen Gründerszene konnte sich letzte Woche auch eine Delegation aus Berlin und Brandenburg überzeugen. Bei „48h Warschau“ besuchten die Teilnehmer mehrere Start- up-Zentren und trafen sich mit polnischen Gründern. Organisiert wurde die Reise von Medianet Berlin Brandenburg, einem Netzwerk der Medien- und Digitalwirtschaft.

Bei ihrem zweitägigen Warschau-Aufenthalt besuchte die Delegation auch den Coworking Space HubHub im Stadtbezirk Mokotów, einem der wichtigsten Geschäftsviertel Warschaus. Er wurde erst im September eröffnet, Start-ups sollen sich hier vernetzen. Außerdem sollen Gründer auf etablierte Firmen wie Samsung oder Ericsson treffen, die ihre Büros in unmittelbarer Nähe haben. Die Anfangsinvestition in den HubHub hat der slowakische Investor HB Reavis getätigt, der auch gerade neben dem Hauptbahnhof das höchste Gebäude Europas baut. „Wir wollen in drei Jahren finanziell unabhängig sein“, sagt HubHub-Leiter Pjotr Grabowski. Das Interesse des Investors erklärt er so: „HB Reavis will, dass Start- ups wachsen, denn sie sind potenzielle Mieter seiner Immobilien.“ Der erste HubHub entstand 2016 in Bratislava; weitere Zentren sind in Berlin, London, Budapest und Prag geplant.

Die Teilnehmer von „48h Warschau“ hatten unterschiedliche Beweggründe: Manche wollten nur fremde Gründerluft schnuppern, andere suchten mögliche Geschäftspartner. Michael Land und Wolfgang Mauer waren für das Berliner Start-up POSPulse vor Ort. „POS“ steht für „Point of Sale“, also den „Verkaufsort“ im Einzelhandel. Michael Land beschreibt die Geschäftsidee so: „Der Kunde hat ein neues Produkt auf den Markt gebracht. Er befürchtet aber, dass es nicht gut im Laden platziert ist.“ POSPulse erarbeitet dann eine Reihe von Indikatoren, etwa die Höhe, in der eine Milchschokolade im Handelsregal stehen soll. Anschließend aktiviert das Start-up ein ganzes Heer von Scouts, die Anspruch und Wirklichkeit in den Läden überprüfen. POSPulse ist bereits in neun Ländern präsent und beschäftigt rund 155 000 Scouts, die hauptsächlich via Facebook rekrutiert werden und sich durch ihre Prüftätigkeit etwas hinzuverdienen. „Wir haben unser deutsches Produkt 1:1 auf Polen übertragen“, sagt Land, „irgendwie klappt das aber noch nicht.“ POSPulse nahm an der Delegationsreise teil, um mit anderen Start-ups aus dem B2B-Bereich zu sprechen: vor allem darüber, wie sich in Polen am besten Kunden gewinnen lassen.

Auch unter den polnischen Teilnehmern des 48-Stunden-Programms finden sich Start-ups mit originellen Geschäftsideen. Etwa die Firma Viking Garage, die eine Internet-Plattform zum Leihen von Motorrädern betreibt. Viking Garage steht noch am Anfang, „momentan haben wir 70 Motorräder in Polen und fünf in Indonesien“, sagt Mitbegründer Michal Mikolajczyk. Ihm zufolge gibt es weltweit nur zwei vergleichbare Anbieter, mit denen man sich aber austausche. „Südostasien und die Mittelmeerländer sind unsere Zielmärkte.“ Weil Motorradfahren so gefährlich sei, lege Viking Garage großen Wert auf passende Versicherungen für die Mieter und Vermieter der Motorräder, aber auch für Transport und Instandhaltung. Mikolajczyk ist auch auf dem Wolves Summit unterwegs, um Erfahrungen und Kontakte zu sammeln. Genauso wie Ewelina Robaczek vom Start-up Vouchery, das B2B-Marketing- Software für Einkaufscoupons produziert. Bevor sie selbst gründete, arbeitete Robaczek vier Jahre bei Rocket Internet in Berlin; auch die Vouchery-Zentrale befindet sich in der Factory Berlin.

Ursprünglich hatte Robaczek den Plan, ihr Start-up in Polen zu gründen. „Ich glaube aber, dass die derzeitige politische Situation – nämlich eine rechtsgerichtete Partei an der Regierung – Polen nicht zu einem attraktiven Geschäftsstandort macht.“ Als Unternehmerin wolle sie die besten Leute an Bord holen, unabhängig von Abstammung oder Religion. Zuletzt habe die Zahl rassistisch motivierter Attacken in Polen zugenommen, beklagt Robaczek: „Würde ich internationale Experten anheuern, wäre ich etwas besorgt um mein Team.“ Berlin sei diesbezüglich toleranter, sagt sie – und hat sich deshalb für die deutsche Hauptstadt entschieden.

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