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Wirtschaft: Warten auf das Wunder

"Es ist die Rückkehr des weißen Ritters", wurde an der Wall Street geschwärmt, als Domingo Cavallo im März diesen Jahres erneut in die Regierung berufe wurde. In der Tat: Dieser Mann hatte einen Ruf zu verlieren.

"Es ist die Rückkehr des weißen Ritters", wurde an der Wall Street geschwärmt, als Domingo Cavallo im März diesen Jahres erneut in die Regierung berufe wurde. In der Tat: Dieser Mann hatte einen Ruf zu verlieren. Vor zehn Jahren war Cavallo schon einmal für die Wirtschaft des Landes zuständig. Damals rettete er das Land vor einer üblen Inflation, indem er den argentinischen Peso im Kurs eins zu eins an den US-amerikanischen Dollar band. Doch jetzt sieht es so aus, als ob er und das Land Opfer gerade dieser - damals als genial gefeierten - Maßnahme würden.

Seit 41 Monaten schrumpft die Wirtschaft Argentiniens ununterbrochen, einer von sechs Arbeitern ist ohne Job, und das Land hat 132 Milliarden Dollar Schulden im Ausland. Fast ein Fünftel aller Spareinlagen wurde in diesem Jahr aufgelöst und steckt jetzt unter Matratzen und auf ausländischen Konten. Um einen Kollaps des Bankensys-tems zu verhindern, fror der Minister am Montag vor einer Woche die Bankguthaben teilweise ein: Maximal 250 Dollar dürfen die Argentinier pro Woche noch abheben. Kritiker fürchten, dass dieser Schritt das Vertrauen gegenüber den Banken noch stärker untergräbt.

Was ist in den vergangenen zehn Jahren passiert? 1991 betrug die Inflation 2000 Prozent jährlich; Menschen plünderten die Supermärkte, und es gab nur wenige Stunden am Tag Strom. Dies änderte sich schlagartig, als der Peso an den US-Dollar gebunden wurde. Die Wirtschaft stabilisierte sich und boomte während eines großen Teils der 90er Jahre. Doch dann, zwischen 1998 und 1999, kam der Einbruch. Die Preise für die wichtigsten Exportgüter wie Getreide fielen, und Investoren zogen sich wegen der Russland-Krise aus Entwicklungsländern zurück. Der Dollar - und damit der Peso - wurde immer stärker. Gleichzeitig schafften die Nachbarn in der Region ihre festen Wechselkurse ab, um im Welthandel konkurrenzfähig zu bleiben. In der Folge geriet Argentinien im Wettbewerb beispielsweise gegenüber Mexiko und Brasilien immer stärker ins Hintertreffen.

Viele Fachleute sind der Meinung, das Land habe jetzt keine andere Wahl, als das Wechselkurs-System von Cavallo abzuschaffen und den Peso abzuwerten. Am vergangenen Montag verfügte Cavallo jedoch neben den Grenzen für Barabhebungen, dass alle neuen Bankkredite nur noch in Dollar vergeben werden. Das zeigt klar, dass er eher vor hat, den Dollar komplett als Landeswährung einzuführen als den Peso dras-tisch abzuwerten.

Domingo Cavallo - Sohn italienischer Einwanderer, Harvard-Absolvent, Held der Wall Street - hatte sich ursprünglich Hoffnungen auf die Präsidentschaft gemacht. Dann aber kandidierte Carlos Menem, sein politischer Mentor, zum dritten Mal für dieses Amt, und Cavallo schied damals aus der Regierung aus. Dabei hatte er sein politisches Image so sorgfältig poliert, zum Beispiel mit Arbeitsessen am Wochenende im schicken Club Hindu in Buenos Aires. Damit stellte er sicher, dass er am Montag in den Zeitungen erwähnt wurde.

Aber er ist ein Technokrat und kam bei den breiten Massen nie gut an. "Er sah unbeholfen aus, wenn er ein Baby auf dem Arm hielt", sagt Martita Carballo, die Chefin des Meinungsforschungsinstituts Gallup in Argentinien. Magere 15 Prozent erzielte Cavallo bei der Präsidentschaftswahl von 1999. Als er 2000 die Wahl zum Bürgermeister von Buenos Aires verlor, war er völlig frustriert: Vor laufenden Kameras beschuldigte er seine Gegner, Teil einer Mafia-Verschwörung zu sein. Am Tag darauf entschuldigte er sich betreten.

Cavallos Temperament macht ihm auch beim Umgang mit Investoren zu schaffen. Bei einem Treffen hinter verschlossenen Türen in diesem Mai bekam er einen Wutanfall, als ein Fondsmanager von Manipulation an der Peso-Dollar-Parität sprach. Tatsächlich entsprach die von Cavallo veranlasste Änderung effektiv einer Abwertung des Peso um sieben Prozent. Als Cavallo aufhörte zu schreien und eisiges Schweigen im Raum einkehrte, blieb nichts anderes übrig, als die Fondsmanager rasch aus dem Raum zu bitten. Auch beim Internationalen Währungsfonds hat sich Cavallo Sympathien verscherzt, weil er eigenmächtig Entscheidungen fällt. "Cavallo fragt den Währungsfonds nicht, er informiert ihn", sagt ein Mitglied des IWF-Vorstandes.

Dabei hat es Cavallo alles andere als einfach. Belässt er es bei der festen Währungsparität zwischen Peso und Dollar, ist die Stabilität des Geldwertes gesichert. Investoren sind zufrieden. Womöglich gewährt der Währungsfonds Argentinien wieder Kredit. Auch viele Argentinier fürchten um den festen Wechselkurs. Julia Palomar beispielsweise, die 36-jährige Angestellte eines Internet-Unternehmens, besitzt wie sieben von zehn ihrer Landsleute ein Konto in Dollar und stottert so auch ihre Hypothek ab. Den Peso freizugeben wäre für sie ein Des-aster; über Nacht könnte sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen.

Andererseits ist die hohe Bewertung des Peso Gift für den Export und macht die Arbeit in Argentinien für ausländische Firmen zu teuer. Auch der Autohändler Tomas Torrico in Buenos Aires leidet darunter, dass der Peso so stark ist. Im vergangenen Monat hat er den Preis für einen Ford Fiesta LX5 aus Brasilien um ein Viertel gesenkt, auf etwas über 10 000 Dollar. Mehr verkauft hat er deswegen nicht. "Inflation war sicher schlecht. Aber die Leute hatten wenigstens Geld", sagt er.

Die normalen Argentinier, die an die starken Schwankungen der Wirtschaft gewöhnt sind, haben mittlerweile eine ungewöhnliche Methode entwickelt, die Leistung Cavallos zu messen: einen geheimnisvollen Wirtschaftsindikator, der angibt, wie viel mehr Argentinien für einen Kredit bezahlen muss als die US-amerikanische Regierung. Täglich berichten die abendlichen Nachrichtensendungen und die Zeitungen über dieses so genannte "Länderrisiko". Auf roten Grafiken wird der unaufhaltsame Anstieg des Aufschlags gezeigt, den Geldgeber von Argentinien verlangen. Unter Domingo Cavallo ist er von sechs Prozent auf mittlerweile über 30 Prozent gestiegen - und liegt damit höher als der für Nigeria.

Seit seinen Jahren in Harvard gilt Cavallo als einer der kreativsten reformorientierten Wirtschaftswissenschaftler seiner Generation in Lateinamerika. Im Augenblick ist davon jedoch nicht viel zu bemerken. Er hat eine Reihe von Einzelmaßnahmen angeordnet, unter anderem die Steuersätze gesenkt, um die Wirtschaft wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Noch aber fehlt ihm die zündende Idee - wie damals, als er zum ersten Mal in der Regierung war. Daher verbringt er seine Wochenenden zurzeit lieber im Ministerium und nicht wie früher medienwirksam im Club Hindu.

David Luhnow, Pamela Druckermann

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