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Wirtschaft: Weckruf für Dornröschen

In verschlafenen Kiezen werden Neubauten nach den Regeln von Ökologie und Feng-Shui geplant

Es sollte eine Bereicherung für den Florakiez in Pankow werden. Eine Architektengruppe plante zwölf Wohnungen in einem ökologischen Neubau und präsentierte ihr Vorhaben auf der Projektbörse der Experimentdays im September, um eine Baugruppe für ihren Entwurf zu finden. Aber dann wurde das Grundstück in der Brehmestraße 23 doch an einen Investor vergeben. Ob der auch nach den Prinzipien des Feng-Shui und nur mit ökologischen Baustoffen bauen wird, ist fraglich.

Besser ergeht es da der Baugruppe B 22 auf dem Nachbargrundstück. Geplant sind 17 Wohnungen auf fünf Geschossen, wobei auf den unteren beiden Etagen Maisonettes mit privaten Gärten vorgesehen sind, während darüber Etagenwohnungen mit großzügigen Balkonen entstehen sollen. Mittlerweile ist das Grundstück gekauft und die Baugruppe gegründet, aber es werden noch Mitstreiter gesucht. So wie beim Wohnpark B 102. Der Kaufvertrag für das Grundstück, das an der Berliner Straße, knapp einen Kilometer nördlich der gefühlten Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Pankow liegt, ist unterzeichnet und der Baubeginn für die 22 Wohnungen für Anfang kommenden Jahres geplant. Zwischen 69 und 140 Quadratmeter werden die Einheiten, mitten in einer Gartenanlage mit Bäumen, die je nach persönlichen Wünschen im Schnitt rund 2200 Euro pro Quadratmeter kosten.

Damit liegen sie zwar über dem aktuell vom IVD ermittelten Durchschnitt von 1950 Euro pro Quadratmeter für Eigentumswohnungen im Bezirk Pankow, aber noch weit unter den Preisen, die für Bauträgerprojekte am Schlosspark oder in den südlicheren Szenekiezen im Prenzlauer Berg fällig werden. Da sind Quadratmeterpreise bis 3750 Euro keine Seltenheit – ganz gleich ob im sanierten Altbau oder im Neubau. Kein Wunder also, dass sich kaufwillige Familien aus dem Prenzlauer Berg seit einigen Jahren auch in Pankow und neuerdings auch in Weißensee umsehen.

Eines der ersten Quartiere, das sich auf diese Weise entwickelt hat, liegt rund um den Eschengraben im südlichen Pankow. Die Baulücken, die hier noch vor zwei Jahren klafften, werden mittlerweile durch sieben Baugruppen mit modernen Mehrfamilienhäusern geschlossen. Darunter auch das ehrgeizige Projekt der Baugemeinschaft Sonne16, die hier ein Passivhaus für neun Parteien baut und deren Warmwasserversorgung zum größten Teil durch die hauseigene Solarthermieanlage gewährleistet wird. Akademiker, Kreative und Angestellte im Öffentlichen Dienst, denen die Mieten am Kollwitzplatz inzwischen zu hoch oder die Wohnungen am Helmholtzplatz schon zu klein geworden sind, ziehen mit ihren Familien hierher.

„Man kann sie als Pioniere betrachten“, sagt Ulf Maaßen, Baugruppenmoderator und Stadtplaner. „Denn sie erobern im Grunde dieses ruhige Quartier für kommende Familien aus ihrer alten Nachbarschaft.“ Von Verdrängung könne man nicht sprechen, eher von Bereicherung, denn die Baugruppen schaffen neuen Wohnraum und machen im alten Kiez Platz für Nachfolger. Im Gegensatz zu investitionsgetriebenen Bauprojekten bündeln Baugruppen nachhaltig Kapital im Quartier. Ihnen geht es schließlich nicht um Rendite, sondern um Lebensqualität, was am Ende der gesamten Nachbarschaft zugute kommt. So kann etwa die Einhaltung nachhaltiger Prinzipien im Bau und in der Energieversorgung Impulse für neue Projekte geben oder bei der Sanierung des Bestands als Inspiration dienen. Man kann die Baugruppen hier auch als Aufwertungskatalysatoren betrachten.

„Noch vor ein paar Jahren haben viele über das Quartier nördlich der Wisbyer Straße die Nase gerümpft, heute ist die Akzeptanz da“, sagt Maaßen. Er hatte daher keine Probleme, für die Projekte am Eschengraben Bauherren zu finden. „Zwar entsteht hier nicht die Art kleinteilige Infrastruktur wie am Kollwitzplatz. Aber das will man vielleicht auch gar nicht. Am Eschengraben ist es eben ruhiger als in den Szenekiezen.“ Schulen und Kitas sind vorhanden, ebenso wie Einkaufsmöglichkeiten und die U 2. Einzig das Umspannwerk hinter der Trelleborg Schule und fehlende Spielplätze können als Manko für das Quartier gelten.

Aktuell betreut Maaßens Büro drei Baugruppen im Florakiez. Zum einen die in die Kritik geratene „Himmel und Erde“ auf einem Grundstück, das noch von der Kleingartenkolonie Famos genutzt wird und deren Pächter sich gerichtlich gegen die Kündigung durch den bisherigen Eigentümer, die Deutsche Bahn, wehren. Zum anderen zwei Bauvorhaben in der Gaillardstraße 13 und 14, im Herzen des Florakiezes. Baumalleen auf dem benachbarten ehemaligen Friedhof prägen die Nachbarschaft, ebenso wie die begrünten Vorgärten der Gründerzeithäuser im direkten Umfeld. Ruhig und idyllisch wirkt das Quartier, das bei Familien beliebt ist. Für durchschnittlich 2300 Euro pro Quadratmeter entstehen hier fast 50 neue Wohnungen. Geplant ist der Baubeginn für Dezember, wobei für das Projekt „StadtGartenPark“ in der Nummer 14 noch Mitstreiter gesucht werden.

Aber in Pankow sind nicht nur Baugruppen aktiv. Auch Investoren und Bauträger haben diesen teilweise verschlafenen Ortsteil entdeckt. Denn zwischen Mehr- und Einfamilienhäusern aus verschiedenen Epochen, den Villen der einstigen SED-Führung am Majakowskiring und dem Schloss Schönhausen gibt es immer noch Lücken und Brachen. Darunter ein Filetstück entlang der Flora- und Gaillardstraße, das von Kondor Wessels mit 240 Stadtwohnungen bebaut wird. „Flora Pankow“ heißt das 60 Millionen Euro teure Projekt und soll ein Mix aus Lofts, Townhouses und Etagenwohnungen werden. Auch das lange vergessene Industriedenkmal „Alte Mälzerei“ zwischen Mühlenstraße und Neuer Schönholzer Straße wurde nach der Sanierung als Markenimmobilie unter so blumigen Namen wie „Hesperidenhöfe“, „Minervasuiten“ oder „Floratürme“ von der Terraplan als Kapitalanlage mit hohen Renditechancen vermarktet. Für eine dunkle Erdgeschosswohnung zahlt man hier glatt 18 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete.

Aber damit nicht genug. Im einst so beschaulichen Pankow tummelt sich aktuell ein gutes halbes Dutzend Bauträger, die zwischen Rosenthal und der Thulestraße Stadtvillen, Townhouses, Mehr- und auch Einfamilienhäuser ab 2400 Euro pro Quadratmeter zum Kauf anbieten. Einzig die Reihenhäuser der NCC liegen darunter. Ein regelrechter Bauboom hat den alten Bezirk erfasst. Sehr zur Freude von Baustadtrat Michail Nelken, der die Investoren als Segen betrachtet und in der regen Bautätigkeit keinen Anlass zur Sorge um Gentrifizierung sieht. Alt-Pankow sei ja schon zu DDR-Zeiten eher bürgerlich gewesen.

Außerdem plant die Gesobau 2012 den Neubau von 270 Mietwohnungen in der Mendelstraße. „Die Kernidee ist, differenzierte Wohnangebote und Standards in einer Siedlung zur Verfügung zu stellen, in der Wohnungen zu unterschiedlichen Mieten in einer Spanne von zirka acht Euro pro Quadratmeter bis 13 Euro pro Quadratmeter ihre Mieter finden“, sagt Gesobau-Vorstand Jörg Franzen, „wir versprechen uns hierdurch auch Sickerungseffekte: Bisherige Mieter ziehen in den komfortabel ausgestatteten Neubau und machen günstigere Wohnungen für andere Zielgruppen frei.“ Alles gut, oder?

 Tong-Jin Smith

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