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Therapeut auf Samtpfoten. Katzen können Kindern mit ADHS helfen, sich auf das Verhalten von anderen Lebewesen einzustellen.

© picture alliance / dpa

Weiterbildung: Miau!

Immer häufiger werden Tiere in Kitas, Schulen, Ergotherapiezentren, Pflegeheimen und Hospizen eingesetzt. Wer mit Vierbeinern Kranke therapieren will, braucht eine doppelte Qualifikation.

Die eine Katze ist scheu, zwei andere kommen dafür ganz schnell zu ihm, um ihn zu begrüßen. Aber wenn er sich zu ruckartig bewegt, sind alle weg. Mit der Hilfe von vier britischen Kurz- und Langhaarkatzen zeigt die Hortleiterin Katrin Jenter von Hort Eins der Pankower Früchtchen in Wilhelmsruh seit letztem November einem ihrer Schüler ein Mal pro Woche wie unterschiedlich auch Tiere sich verhalten und wie seine eigenes Verhalten, seine Bewegung und Körperanspannung, unterschiedlich auf Tiere wirkt. Der Junge hat das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) und tut sich im Alltag oft schwer, das Verhalten seiner Mitschüler, vor allem deren Körpersprache, richtig zu verstehen und darauf zu reagieren.

Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, Pferde – die entspannende und motivierende Wirkung von Tieren in der sozialpädagogischen und therapeutischen Arbeit ist wissenschaftlich belegt. Immer mehr Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen, aber auch Ergotherapiezentren und Horte in Berlin öffnen sich für tiergestützte Ansätze. Doch für den professionellen Einsatz und den gewünschten Erfolg bei dem Klienten, braucht man doppeltes Fachwissen. Die bekommt man in entsprechenden tiertherapeutischen Weiterbildungen für Mensch und für das Tier.

„Reine Tierliebe befähigt nicht“, sagt Viola Freidel, Diplompädagogin vom Verein Leben mit Tieren, die gemeinsam mit der Alice Salomon Hochschule einen Zertifikatskurs für tiergestützte Therapie, Pädagogik und Fördermaßnahmen im Sozial- und Gesundheitswesen konzipiert hat (siehe Kasten). Der Kurs richtet sich an diplomierte Pädagogen, Therapeuten, Sozialarbeiter. Schwerpunkt der Weiterbildung ist die Arbeit mit Hunden, aber auch wie sie Katzen, Pferde und Nagetiere einsetzen können, lernen die Teilnehmer. Diese müssen kein eigenes Tier besitzen, wenn sie mit der Weiterbildung beginnen – aber ein bisschen Erfahrung mit Tieren sollten sie schon mitbringen. Für die tiertherapeutische Arbeit muss dann aber ein eigenes Tier angeschafft werden – mit dem Wissen aus der Weiterbildung, denn nicht jedes Tier ist für jede Art der Therapie geeignet.

Ohne entsprechende Qualifikation der Menschen droht die Überlastung der Tiere. Diese macht sich negativ in der Therapie bemerkbar – bis hin zu Verletzungen wie Bissen. Die Schuld wird dann häufig den vermeintlich aggressiven Tieren zugeschoben. „Ich beobachte jetzt anders“, sagt Katrin Jenter über ihren professionelleren Zugang zur tiergestützten Arbeit. Sie hatte zuvor an ihrer Schule schon Tier-AGs mit Nagetieren angeboten. Nachdem sie die Weiterbildung besucht hat, achte sie unter anderem stärker auf körperliche Stress- und Entspannungsanzeichen. Sowohl bei ihrem Schüler, als auch bei ihren Tieren.

Im Kurs lernen die Teilnehmer in 15 zweitägigen Modulen die tiertherapeutische Arbeit nicht nur mit Blick auf den Klienten und die jeweiligen Einrichtungen kennen – etwa wie sich Arbeit mit Hunden rein organisatorisch in den Arbeitsablauf eines Hospizes einbauen lässt. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Wissen über das Tier: Wie lassen sich Tiere insbesondere in einer Großstadt wie Berlin artgerecht halten? Wie muss die Arbeit organisiert sein, damit sie dem jeweiligen Tier entspricht? Hunde eignen sich prinzipiell als Besuchstiere etwa in Schulen, Katzen hingegen sind stark an ihre vertraute Umgebung gebunden und werden deswegen häufiger in Praxen eingesetzt. Für die Arbeit mit allen Tieren braucht es klare Regeln und Rückzugsmöglichkeiten.

Alle Tiere müssen erst mal selbst lernen, um mit Menschen gemeinsam zu lernen und zu üben. Bei Hunden geschieht das etwa durch das sogenannte Klickern, durch positiv besetzte akustische Signale. Auch Entspannungstechniken, etwa durch gezielt angebrachte Bandagen und Hygienestandards werden vermittelt. Die Techniken werden im Kurs vorgestellt, müssen dann aber im Training mit dem eigenen Tier eingeübt und vertieft werden. Für Hunde und Pferde empfehlen sich eigene Zusatzkurse speziell dafür. Der Weg bis zur tiertherapeutischen Arbeit ist deshalb „sehr zeitaufwändig“, gibt Viola Freidel Interessierten zu bedenken.

Auch Marion Kläschen, die das Reit- und Ausbildungsinstitut für pferdegestützte Therapie Centro Hipico im brandenburgischen Oberkrämer leitet, sieht bei der Ausbildung der Tiere großen Nachholbedarf. „Noch immer besteht die Annahme, dass kranke, lahme Tiere noch eingesetzt werden können,“ sagt Kläschen. „Wenn ein Tier aber nicht entsprechend ausgebildet ist, artgerecht gehalten wird und auch Ausgleich zur Arbeit bekommt, wird die Therapie nicht zum Erfolg führen“, sagt Kläschen. „Es muss dem Tier gut gehen, damit der Mensch überhaupt profitieren kann." Ihre Weiterbildungsangebote beinhalten Übungen zur Arbeit mit den verschiedenen Menschengruppen. Also zum Beispiel, was es speziell bei Autismus, Depression oder ADHS im Umgang mit einem Pferd zu beachten gilt. Dazu kommt das Wissen über die Anforderungen an Therapiepferde und die eigentlichen Reittechniken, die jeder Teilnehmer bis zum Ende der Weiterbildung beherrschen soll.

Wer sich für tiergestützte Arbeit interessiert, sollte sich möglichst schon vor dem Kauf eines Tieres entsprechend weiterbilden. Ein wichtiger Inhalt der Ausbildung ist auch zu wissen und zu erkennen, welche Tiere sich überhaupt für den Einsatz in Schulen oder bei der Therapie eignen. Bei Hunden bringen zum Beispiel Golden Retriever gute Voraussetzungen mit, weil sie als sehr geduldig und den Menschen zugewandt gelten. Jedes einzelne Tier weist aber nochmals eigenes Verhalten auf. Man kann lernen, entsprechende ruhige und geduldige Tiere schon im Welpenalter zu erkennen und sie dann kontinuierlich auf die Arbeit mit Menschen vorzubereiten. Bei der Weiterbildung gibt es auch häufig die Möglichkeit ein Tier entsprechend auf Eignung testen zu lassen.

Dass nicht alle Tiere für tiergestützte Arbeit geeignet sind, hat Ergotherapeutin Sabine Becker aus Friedrichshain während ihrer Ausbildung festgestellt. Eigentlich wollte sie ihre Eurasia-Hündin für motorische Entwicklungsübungen auf Rutschen und Klettern in einem sozialpädagogischen Zentrum einsetzen. Es stellte sich heraus: Für diese Art von Übungen ist der Hund nicht geeignet. Nun arbeitet sie zwar trotzdem mit dem Hund mit ADHS-Jugendlichen – aber anders als geplant. Sie üben nun mithilfe des Hundes Körperwahrnehmung und Verhalten zu reflektieren. „Im Umgang mit Hunden bin ich viel achtsamer geworden“, sagt Becker. Die Arbeit sollte 1,5 Stunden pro Woche auch nicht überschreiten. Tiere seien eben kein „Therapiemittel“, sondern müssten als Partner betrachtet werden.

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