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Absturzgefährdet: Welche Folgen wird das verschlechterte US-Rating haben?

Börsen und Politiker in der ganzen Welt zittern vor der Kursentwicklung an den Aktienmärkten am Montag.

Im Schutz des Wochenendes hat die Ratingagentur Standard & Poor’s den USA die Bestnote bei der Bonität aberkannt. Genau das wollten die USA mit ihrer Einigung vergangene Woche, die Schuldengrenze weiter anzuheben, eigentlich unbedingt verhindern. Die Regierung wird nun für die Finanzierung ihrer Schulden, die sich insgesamt auf umgerechnet zehn Billionen Euro und damit auf die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung des Landes belaufen, höhere Zinsen zahlen müssen. Damit schrumpft der Handlungsspielraum der US-Regierung, der durch den Sparkompromiss zwischen Präsident Barack Obama und den Republikanern ohnehin schon eingeschränkt ist, mutmaßlich in den kommenden Monaten und Jahren weiter. Wenn aber die Staatsausgaben in der größten Volkswirtschaft sinken, hat das Folgen für die ganze Welt.

BÖRSEN

Am heutigen Montag wird an den großen Börsen der Welt wieder gehandelt. Während der deutsche Finanzplatz Frankfurt am Main noch schläft, geben die asiatischen Börsen den Takt vor, dann folgt Europa und am Nachmittag deutscher Zeit die Wall Street. Überall schwingt die Angst mit, es könne zu einem Schwarzen Montag kommen, also einem Börsencrash, bei dem die Kurse auf breiter Front und binnen kürzester Zeit rapide sinken. Beschleunigt würde ein solcher Kursverfall durch zwei Effekte: Zum einen werden viele Verkaufsorders beim Erreichen bestimmter Schwellen automatisch ausgelöst, zum anderen sind viele große Fonds und Versicherungen zu einer konservativen Anlagepolitik verpflichtet. Sie dürfen nur in Anleihen mit höchster Bonität investieren.

Eigentlich hatte die Finanzwelt gehofft, dass sich die Kursstürze der vergangenen Woche vorerst nicht fortsetzen. Binnen weniger Tage hatte der Dax – der Index der 30 größten deutschen börsennotierten Unternehmen – rund 1000 Punkte verloren. Doch nach dem schlechteren Rating für die USA sieht es nun nach einer weiteren Talfahrt der Kurse aus. „Es könnte Verluste geben“, sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, der „Bild am Sonntag“. Denn schlechte Nachrichten seien immer unangenehm für Märkte. Er rechne aber nicht mit einem weltweiten Börsencrash.

Denn es gibt auch eine Gegenbewegung: Viele Händler dürften sich am Wochenende eine Strategie für Montag zurechtlegen, um von den vermutlich sinkenden Kursen zu profitieren. Das heißt, gezielt nach Kaufgelegenheiten zu suchen. Am vergangenen Freitag sank zum Beispiel der Kurs des Chipherstellers Infineon zunächst um gut zehn Prozent, um dann am Ende nahezu unverändert zu schließen. Wer also am Morgen kaufte, dessen Infineon-Aktien waren am Abend ein Zehntel mehr wert – riskant, aber deswegen auch so besonders lukrativ.

Vermutlich werden vor allem die Aktienkurse der Unternehmen am Montag sinken, die stark in den USA engagiert sind, mindestens zunächst und erst recht, wenn sie von Infrastrukturaufträgen leben. Das trifft zum Beispiel auf Siemens zu, und Vorstandschef Peter Löscher zeigt sich ohnehin derzeit skeptisch. „Unsere Märkte sind zwar weiter robust, aber die Risiken des weltwirtschaftlichen Umfelds nehmen derzeit eher zu“, hat er bereits Ende Juli gewarnt.

EUROPA UND DEUTSCHLAND

Die Lage war schon vertrackt genug. Die vergangene Woche hatte gezeigt, dass die Geduld der Finanzmärkte mit den Protagonisten der europäischen Politik begrenzt ist. Gerade mal zwei Wochen dauerte es, bis infrage stand, ob die Beschlüsse der 17 Euro-Staaten ausreichend sind. Ein Brief des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso reichte dafür schon. Dabei erhob er darin eigentlich nur seine hinlänglich bekannte Position, dass der Rettungsschirm mit einem Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro nicht ausreiche und erhöht werden müsse. Trotzdem reichte dieser neuerliche Ausdruck von Skepsis, um an den Börsen und auch in den Regierungszentralen für Besorgnis zu sorgen. Richtig ist: Kein Mensch weiß, ob der Schirm reichen wird – und ganz sicher reicht er nicht, wenn auch noch die große Industrienation Italien abgesichert werden müsste. Die Bundesregierung hat sich entschieden, angesichts dieser Gemengelage alle öffentlichen Äußerungen zu unterlassen. „Einfach mal die Klappe halten“, wurde als Devise ausgegeben. Eigentlich wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an ihren Urlaub in Südtirol noch eine Ferienwoche in Deutschland dranhängen. Aber an Ausspannen ist nicht zu denken: Telefonisch hat sich Merkel bereits mit zahlreichen Amtskollegen in und außerhalb Europas abgestimmt. Nur: Eine Botschaft, die über die Bekräftigung bisheriger Beschlüsse hinausgeht, ist bisher nicht gefunden worden. Mehr enthielt die gemeinsame Erklärung von Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy vom Sonntag auch nicht. Damit bleibt die Skepsis der Finanzmärkte vorerst bestehen.

ZENTRALBANKEN

Besonderes Augenmerk gilt der Europäischen Zentralbank (EZB). Noch am Sonntag wollte sich deren Rat, in dem die Notenbanken der Euro-Zone vertreten sind, in einer Videokonferenz abstimmen. Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, Merkels früherer Berater, gehört dazu. Viele erwarten, dass die EZB ihren eigentlichen Auftrag weiter aufweicht. „Die Zentralbanken werden eine höhere Inflation nicht nur tolerieren, sondern sogar im Namen der Finanzstabilität herbeiführen“, sagte Thomas Mayer von der Deutschen Bank. Im Klartext bedeutet das, dass die Zinsen wohl vorerst nicht weiter steigen und die EZB Staatsanleihen von Schuldenstaaten kauft.

G 7 UND G 20

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat seit Tagen davon gesprochen, doch noch immer ist unklar, ob die Finanzminister der G 7 ein für Mitte September geplantes Treffen vorziehen. Der Zusammenschluss umfasst sieben große Industrienationen, zu denen Italien immer noch gehört, ferner die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada und Japan. Für Sonntag war offenbar eine Telefonkonferenz der Finanzminister und Notenbankchefs der G 7 geplant. Im Anschluss werde es möglicherweise eine Erklärung geben, verlautete aus japanischen Regierungskreisen.

Aber da in diesem Gremium China als Gläubiger der USA und der meisten Euro-Staaten nicht vertreten ist, formierten sich am Wochenende auch die G 20, in denen neben den G 7 die großen Schwellenländer vertreten sind. Nach Angaben aus Seoul konferierten die stellvertretenden Finanzminister der G 20 ebenfalls telefonisch. Bis zum nächsten Gipfeltreffen ist jedoch noch viel Zeit: Eigentlich wollen die Staats- und Regierungschefs erst Anfang November in Cannes zusammenkommen. Allerdings haben sie schon einmal bewiesen, dass es im Notfall schneller geht. Nach der Pleite der New Yorker Lehman-Bank im Herbst 2008 bildete sich das neue Gipfelformat binnen Wochen und traf sich dann innerhalb eines Jahres drei Mal in Washington, London und Pittsburgh.

Das schlechtere Rating für die USA wird das Gewicht Chinas in diesem Gremium nochmals verstärken. Zum einen dringt Peking auf „die Sicherheit chinesischer Dollar-Anlagen“, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua mitteilte. Zum anderen aber gewinnt die Debatte über das globale Währungssystem wieder an Fahrt. Xinhua brachte „eine neue, stabile und global abgesicherte“ Leitwährung ins Gespräch, „um eine durch ein einzelnes Land bedingte Katastrophe abzuwenden“.

Diese Position vertritt China seit längerem, und sie stößt durchaus auf Resonanz. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der derzeit den G 20-Vorsitz hat, zeigte sich bereits aufgeschlossen. Seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems vor 40 Jahren gebe es keine Ordnung mehr, beklagte er im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos. „Niemand will feste Wechselkurse, aber wir brauchen Stabilität.“ Die Lösung müsse eine andere sein als 1944, als das Bretton-Woods-System geschaffen wurde, denn der Dollar sei nicht mehr die einzige Leitwährung. „Ich weiß, dass wir nicht in einem Jahr ein neues Weltwährungssystem schaffen können“, sagte Sarkozy aber auch. Im Gespräch ist, die sogenannten Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IWF) – eine Art Währungskorb – zur Referenzgröße zu machen.

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