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Wirtschaft: Wenn die Psyche streikt

Immer mehr Beschäftigte fehlen, weil sie ausgebrannt sind oder unter Depressionen leiden. Das kostet die Wirtschaft Milliarden

Herr S. ist Manager eines Konzerns. Eigentlich müsste es ihm gutgehen: Geld verdient er genug, er trägt Verantwortung und darf selbstständig entscheiden. Aber Abend für Abend leert er zu Hause eine ganze Flasche Wodka – aus Angst. Er fürchtet den nächsten Tag. Bewusst wird ihm das aber erst in einer Beratung.

Herr S. ist kein Einzelfall, im Gegenteil. Das belegt der jüngste Gesundheitsbericht des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen. Während die Zahl der Krankentage immer weiter sinke – 2005 sei mit 12,6 Tagen ein Rekordtief in 30 Jahren erreicht worden – und sich der Krankenstand insgesamt seit Beginn der Neunzigerjahre fast halbiert habe, nähmen die Fehltage aufgrund psychischer Störungen rasant zu: seit 1991 um 33 Prozent. Damit seien diese schon die vierthäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit.

Der Kölner Arbeitsforscher Winfried Panse kennt weitere, ähnliche Fälle wie den von Herrn S.Seiner Ansicht nach haben alle den gleichen Kern – „die Angst, deren Folge oft die innere Kündigung ist“, sagt Panse. Die Menschen hätten Angst, Wertschätzung und Anerkennung zu verlieren. Betroffene arbeiteten zwar weiter, aber erledigten nur noch „Dienst nach Vorschrift“. Innovative Ideen? Fehlanzeige. „Das kommt die Unternehmen teuer zu stehen.“ Insgesamt entstünden der deutschen Wirtschaft jährlich mehr als 100 Milliarden Euro Kosten, hat Panse ausgerechnet. „Tendenz steigend.“

Laut der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) fehlten Menschen mit psychischen Störungen 2006 im Schnitt 28,5 Tage im Job. „Psychische Erkrankungen sind meist Langzeiterkrankungen. Und die sind für Betriebe teuer“, sagt ein DAK-Sprecher.

Stark betroffen ist der Dienstleistungssektor, so etwa das gesamte Gesundheits- und Sozialwesen, aber auch die Banken. Das hat Dirk Windemuth, Arbeitspsychologe am Berufsgenossenschaftlichen Institut Arbeit und Gesundheit in Dresden, festgestellt. „Vor allem die Arbeit mit Kunden wird für die Beschäftigten anstrengender, da diese anspruchsvoller werden“, sagt er. Aber auch in anderen Branchen habe die Belastung deutlich zugenommen. Dafür verantwortlich ist für Windemuth die sich wandelnde Arbeitswelt: der immer größer werdende Zeitdruck, schlechtes Führungsverhalten und nicht zuletzt die Arbeitsplatzunsicherheit. Im zwischenmenschlichen Bereich fehlten oft die Unterstützung durch Kollegen sowie Rückhalt und Lob durch Vorgesetzte. Aber in die Statistik fließe auch mit ein, dass psychische Störungen kein Tabu mehr seien, sagt Windemuth. „Inzwischen ist das gesellschaftsfähig.“

In der Politik ist die Frage nach den Ursachen umstritten. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Klaus Brandner, macht für den Zuwachs der Erkrankten vor allem Versäumnisse in der Vergangenheit verantwortlich: „Die Arbeitsinhalte haben stark zugenommen, aber es gab keine systematische Weiterbildung in den Betrieben.“ So müsse manch ältere Sekretärin heute Power-Point-Präsentationen erstellen, ohne darin geschult worden zu sein. Das erzeuge enormen Druck. Brandner fordert die Arbeitgeber auf, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. „Gesundheitszirkel, in denen sich Mitarbeiter über ihre Ängste austauschen können, müssten flächendeckend eingeführt werden.“ Der SPD-Politiker sieht aber auch Betriebsräte und Arbeitnehmer selbst in der Pflicht. Sie müssten auf Missstände aufmerksam machen und Initiativen für bessere Bedingungen ergreifen. So könne viel Geld gespart werden. „Die Aufwendungen für Vorsorgemaßnahmen und Weiterbildungen sind geringer als die gesellschaftlichen Folgekosten durch psychische Erkrankungen“, sagt Brandner.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel weist die Verantwortung dagegen der Politik zu. „Die größte psychische Belastung geht von der Sorge um den Arbeitsplatz und vor dem damit einhergehenden sozialen Abstieg aus“, sagt Niebel. Eine Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitsplätze sicherer macht und Arbeitslosigkeit „energisch bekämpft“, sei die wichtigste Aufgabe des Gesetzgebers.

Der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Ralf Brauksiepe, wiederum sieht keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. „Wir haben die Rahmenbedingungen, etwa im Bereich der Weiterbildung, sehr verbessert.“ Es gebe genug Vorschriften, die den Betrieben auch gesundheitsfördernde Maßnahmen vorgeben.

Den Firmen bleibe nichts anderes übrig, als ins Wohlbefinden der Mitarbeiter zu investieren, glaubt der Herdecker Organisationspsychologe Michael Kastner. „Lange Zeit waren Rückenleiden der teuerste Posten.“ Doch die seien nun durch psychische Erkrankungen überholt. Besonders Frühverrentungen, für die zu einem Drittel seelische Probleme der Anlass seien, kämen die Volkswirtschaft teuer zu stehen. „86 Prozent der Lehrer erreichen die normale Altersgrenze nicht.“ Ähnlich sehe es bei Brokern oder in der Softwarebranche aus. Keine gesunde Entwicklung für ein Land, in dem Rente mit 67 zur Regel werden soll.

Umdenken tut not. Teils habe das auch schon begonnen. Das wirtschaftliche Argument überzeuge, findet Kastner. „Es gibt Rechnungen, nach denen in Deutschland 44 Milliarden Euro gespart werden könnten, würde nur in effiziente Vorsorge investiert.“

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