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Wunsch und Wirklichkeit. Frauen studieren eher geisteswissenschaftliche Fächer, die nicht direkt auf Stellenprofile abzielen. An der Uni werden sie so oft nicht genügend auf das Berufsleben vorbereitet. So kann es sein, dass sie nicht in ihrem Traumjob landen, sondern auf einer befristeten Projektstelle oder im Café als Kellnerin. Foto: dpa

© dpa/dpaweb

Wirtschaft: Wenn die Psychologin im Café jobbt

Frauen landen oft in Stellen, die ihnen keine Perspektive bieten – obwohl sie einen guten Abschluss haben Spezielle Beratungszentren und Weiterbildungen können ihnen dabei helfen, im Arbeitsleben dauerhaft Fuß zu fassen

Wenn sie zu Karin Gaulke kommen, ist die Energie fast aufgebraucht. „Ich bin ausgebrannt und frustriert. Hätte ich doch nur etwas anderes studiert!“ Diese Sätze hört die 56-Jährige häufig. Und das von Frauen, die die besten Universitätsabschlüsse haben, etliche Sprachen fließend sprechen, jahrelang im Ausland gelebt haben. Gaulke ist Projektleiterin im Frauenzentrum Marie in Berlin-Ahrensfelde. Seit fast 20 Jahren berät sie arbeitslose Frauen mit und ohne Hochschulabschluss oder Arbeitnehmerinnen, die Hilfe suchen, weil sie dringend eine Alternative für ihren aktuellen Job brauchen.

Die meisten Frauen, die Karin Gaulke betreut, sind zwischen 30 und 45 Jahre alt. Ihre Lebensläufe sind ganz unterschiedlich: So hat etwa die Diplompädagogin über 50 Bewerbungen geschrieben und wartet auf ihr erstes Vorstellungsgespräch, die promovierte Politologin hofft auf eine Projektstelle, die Psychologin jobbt im Café. Das Geld ist bei allen knapp, kaum eine hat Aussichten auf eine feste Stelle. Was sie zu Gaulke führt, ist die Gewissheit: So kann es nicht weitergehen.

Unter den arbeitslosen Akademikern hält sich der Anteil von Männern und Frauen nach Ende des Studiums ungefähr die Waage. Nach einer aktuellen Absolventenstudie des Instituts für Hochschulforschung HIS liegt die Arbeitslosenquote bei den 10 000 befragten Absolventen bei gerade mal vier Prozent. Dennoch: Über die Jahre hinweg sind qualifizierte Frauen häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen oder hangeln sich von einem Projektjob zum nächsten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Familienphase spielt eine große Rolle aber auch die Wahl des Studienfachs. Viele Frauen qualifizieren sich für Jobs im Bereich Kultur, Kommunikation, Geistes- und Sozialwissenschaft. Stellen in diesen Bereichen sind rar, befristet auf bestimmte Projekte oder nur auf freiberuflicher Basis.

In der Beratung will Gaulke die Frauen vor allem entlasten. „Sie müssen wissen, dass sie nicht allein sind“, sagt sie. „Viele müssen erst lernen, dass sie ein Recht darauf haben, sich neu zu orientieren.“ Gaulke will erreichen, dass die Frauen wieder einen klaren Blick für ihre Fähigkeiten bekommen. Die Schuldgefühle, der Frust, die Unsicherheit dürfen in der Beratung ausgesprochen werden. „Dann müssen die Wünsche und die aktuelle Lebenssituation der Frauen im Vordergrund stehen.“ Systematisch klopft Gaulke die einzelnen Stationen ab. Manchmal hilft es bereits gemeinsam die Bewerbungsunterlagen zu überarbeiten. In anderen Fällen rät Gaulke zu einer Weiterbildung passend zu den Wünschen der Frauen oder zu einem Zweitstudium.

Die Angst die traditionelle Versorgerrolle nicht erfüllen zu können, lässt Männer im Gegensatz zu Frauen deutlich selbstbewusster erscheinen. Sie brüsten sich mit ihrem Lebenslauf, kaschieren die Lücken. Bei vielen Männern hat gerade diese Strategie Erfolg und sie finden einen Job. „Bei arbeitslosen Akademikerinnen fehlt oft dieses Selbstbewusstsein“, sagt Andrea Simon, Projektleiterin und Mitgründerin der Bildungsorganisation Life. Immer wieder beobachtet sie, dass Frauen sich auf Stellenanzeigen nicht bewerben, nur weil sie einen Punkt des geforderten Profils nicht erfüllen. „Es fehlt häufig die realistische Selbsteinschätzung“, sagt Simon. „Wir schauen auf die Kompetenzen der Frauen, auf das was sie bereits können und bauen darauf auf.“

Die konkreten Angebote bei Life sind vielfältig. In Rollenspielen werden etwa Bewerbungssituationen durchgespielt. Andere Workshops oder Seminare haben Kommunikationsfähigkeiten oder Projektmanagement als Schwerpunkt. Dort werden Kundengespräche geübt und wie man in schwierigen Situationen mit dem Chef umgeht. Zurzeit bietet Life eine Fortbildung im Bereich Projektmanagement an. Teilnehmen können Frauen mit Hochschulabschluss aus allen Kulturen. Das Angebot ist eine Mischung aus Online-Seminar, Theorie-Bausteinen im Haus und Praxisübungen. Die Frauen sollen die wichtigsten Phasen bei der Organisation und Umsetzung von Projekten kennenlernen. Hinzu kommen Kommunikationstechniken und Tipps und Tricks zum Erstellen von Power-Point-Präsentationen.

„Der Lehrgang vermittelt Schlüsselkompetenzen, die vielen qualifizierten Kräften häufig fehlen“, sagt Projektleiterin Simon. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Weiterbildung ist die Anleitung von Mitarbeitern. Wer ein Projekt organisiert, muss mit unterschiedlichen Menschen zusammen arbeiten. Je nach Hintergrund und beruflicher Expertise ist häufig ein anderer Umgang notwendig. In Rollenspielen werden die Frauen auf solche Situationen vorbereitet.

Karin Gaulke hätte vor 20 Jahren ihr eigener „Fall“ sein können. Aufgewachsen ist sie in Mecklenburg-Vorpommern, hat 34 Jahre DDR-Zeit erlebt. Sie studierte Geschichte, arbeitete an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften in Berlin. Doch mit dem Fall der Mauer, ändert sich auch Gaulkes Leben komplett. Die Einrichtung wird umstrukturiert, ihre Stelle abgeschafft. Wieder und wieder erinnert sich Gaulke an einen Traum, den sie sich als Studentin erfüllt hat. Sie wollte unbedingt weg aus ihrem Heimatort, so weit reisen, wie es ihr in der ehemaligen DDR erlaubt war. Sie landete damals in der Sowjetunion. Fünf Jahre lang studierte sie in der Nähe von Moskau. Dass sie es damals geschafft hat, bestärkte Karin Gaulke auch in der Zeit nach der Wende. Sie wagte den Neuanfang, schloss sich der Frauenbewegung an, machte in verschiedenen Projekten mit und landete 1992 schließlich beim Frauenzentrum Marie.

Brüche im Lebenslauf hat es immer gegeben, doch nie war das Angebot an beruflichen Möglichkeiten so groß und so vielschichtig wie heute. Der Bedarf an Beratung und Orientierung ist enorm. „Viele Frauen werden während ihres Studiums nicht rechtzeitig auf die Arbeitswelt vorbereitet“, sagt Mechthild Brockschnieder, Projektleiterin und Beraterin bei Inpäd, einem Verein für Weiterbildung und Beratung für Frauen. Gerade in den Geisteswissenschaften, die nicht gezielt auf Stelleprofile vorbereiten, sei das der Fall. Mehr als 200 Frauen kommen jedes Jahr zu Brockschnieder, rund ein Drittel davon sind Akademikerinnen. Die wenigsten haben bereits während ihres Studiums Präsentationstechniken erlernt oder andere Zusatzqualifikationen erworben. Erst nach dem Abschluss beginnen viele mit der zielgerichteten Suche nach einem Arbeitsplatz.

Doch auch dann ist es für viele Frauen nicht leicht, einen Job zu finden, der ihren Qualifikationen entspricht und in dem sie auch entsprechend verdienen. „Frauen haben bei vielen Firmen immer noch einen schweren Stand", sagt Brockschnieder. Obwohl sie den besseren Abschluss haben, mehr Sprachen sprechen und besser für die Stelle geeignet wären, bekommen sie keinen Job.“ Die Angst der Arbeitgeber vor einer qualifizierten Frau im Team sei immer noch hoch, vor allem in technischen Berufen. Etwa vor Veränderungen in der Kommunikation im Team. Männer hielten Frauen oft für zu emotional. Hinzu kämen Bedenken, dass die Mitarbeiterin ausfällt, wenn sie schwanger wird oder sich um ihre Kinder kümmern muss.

Diese Gedanken müssten raus aus den Köpfen, sagt Karin Gaulke von Marie. Die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt spielt natürlich auch eine große Rolle einen Job zu finden, der den eigenen Qualifikationen entspricht. Doch viele gesellschaftliche Blockaden dürften nicht länger ein Hindernis sein. Gaulke appelliert an die Frauen, sich nicht unterkriegen zu lassen: „Die Wut und die Enttäuschung über die aktuelle Situation muss viel stärker werden.“

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