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Wirtschaft: Wenn Riesen sich für Zwerge halten

Noch bevor Elf Aquitaine kürzlich sein Angebot für den Rivalen Total-Fina abgab, ging ein Witz in der Ölbranche um. Wie kann man eine große französische Ölfirma für einen Apfel und ein Ei kaufen?

Noch bevor Elf Aquitaine kürzlich sein Angebot für den Rivalen Total-Fina abgab, ging ein Witz in der Ölbranche um. Wie kann man eine große französische Ölfirma für einen Apfel und ein Ei kaufen? Antwort: Man warte ab, bis sie eine Fusion abgewickelt hat, dann bekommt man zwei Unternehmen für den Preis von einem.Der Witz enthält ein Körnchen Wahrheit. Große Fusionen bringen oft nicht den gewünschten Erfolg, und Ölfusionen scheitern besonders häufig. "Unternehmenszusammenschlüsse sind sehr riskant", sagt David L. Moore von Andersen Consulting. "Die Vorteile sind leicht zu erkennen und schwer zu realisieren."Seit nahezu einem Jahr befindet sich Big Oil inmitten seiner ersten großen Umstrukturierung seit mehr als einem Jahrzehnt. Zuerst kam die Fusionsvereinbarung zwischen British Petroleum (BP) und Amoco im August vorigen Jahres. Dann entschloß sich Exxon, mit Mobil zusammenzuarbeiten. Bald vereinten sich Total und die Petrofina. "Jede Firma strebt danach, größer zu werden", sagt Norman Selley vom Royal Institute of International Affairs in London. Aber wer kann sagen, ob es diese Zusammenschlüsse wirklich bringen? Man denke nur an die 13,3 Mrd. Dollar schwere Übernahme von Gulf Oil durch Chevron im Jahre 1984. Sie war zu ihrer Zeit die größte Fusion. Trotzdem schaffte Chevron es nicht, in die erste Reihe der Ölgiganten zu gelangen."Chevron wäre besser dran, wenn es Gulf niemals aufgekauft hätte", sagt Frederick Lauffer, Energieanalytiker bei Bear Stearns & Co in New York. In der Tat scheitern Fusionen im allgemeinen überraschend oft. Einer neuen Studie von Andersen Consulting zufolge haben 44 Prozent aller zwischen 1994 und 1997 vollendeten Fusionen die finanziellen und strategischen Erwartungen der Beteiligten enttäuscht. Die Versprechen von stetigem Wachstum und immer höheren Aktienkurse kann die Ölindustrie kaum halten.Trotz ihrer Beliebtheit bei den Investoren haben viele Fusionen nicht die Vorteile gebracht, die sie bringen sollten, sagt David Moore von Andersen. Die Ölbranche sei heutzutage gefangen in Ölpreisen, die sie nicht kontrollieren könne. Nach zwei Ölkrisen waren die Unternehmen der Ansicht, daß die Rohölpreise kontinuierlich steigen würden. Daraus freilich wurde nichts.Hat Big Oil Einfluß auf die Ölpreise? Von wegen - und auch die größten Fusionen werden das nicht ändern. Man nehme nur Exxon und Mobil: Ihre beabsichtigte Fusion führt zur größten börsennotierten Ölfirma. Die indes fördert gerade einmal vier Prozent der weltweiten Produktionsmenge - was ungefähr dem Anteil entspricht, den Exxon 1975 allein lieferte. Bleibt den Ölgiganten nur eine Möglichkeit: Sie müssen ihre Kosten senken und aus jeder Tonne Öl soviel Profit wie möglich herausschlagen."Niemand kann die Preise bestimmen", sagt Larry Goldstein, Präsident der Petroleum Industry Research Foundation in New York. "Alles, was man tun kann, ist, die Kosten zu kontrollieren." Dazu muß man, so die populäre Ansicht, immer größer werden. Nur sind rund Dreiviertel der Ölproduktion und ungefähr 90 Prozent der Weltreserven in den Händen staatlicher Firmen. Das zwingt die privaten Ölkonzerne, gegenseitig ihre Vermögenswerte auszukundschaften. Das Spiel ist mit der Reise nach Jerusalem zu vergleichen. Und die ist Experten zufolge noch lange nicht vorbei.Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Abwicklung von Fusionen mehr Zeit in Anspruch nimmt, als man vorher dachte. Zum Erfolg gehört, daß die Firmen auch die unteren Schichten der fusionierten Unternehmen erfolgreich eingliedern. Was oft schwierig ist - erst recht bei feindlichen Übernahmen.Das Tempo der Eingliederung ist in jedem Fall von ausschlaggebender Bedeutung. "Wenn sich die versprochenen Vorteile nicht innerhalb der ersten 100 Tage realisieren, kann das der Reputation des Unternehmens schaden", sagt Moore von Andersen.Kein Wunder, daß Sir John Browne, Chef von BP Amoco, kürzlich verkündete, die Eingliederung von Amoco und BP sei vollendet. Das tat er zwar nicht 100 Tage, aber gerade einmal sechs Monate nach der Fusion. Wie hat er das geschafft? "Man muß kompromißlos sein", sagte Sir John. Das Unternehmen baut schonungslos Personal ab: Bislang wurden rund 8000 Mitarbeiter entlassen, weitere Entlassungen sind angekündigt. Diese Methode beruht auf einer sehr einfachen Kalkulation. Die großen Ölfirmen glauben, daß sie am besten von sehr schlechten Ölpreisen ausgehen - die könnten leicht auf zehn Dollar pro Barrel (159 Liter) fallen und auf diesem Niveau verharren. Jedenfalls unterliegen sie extremen Schwankungen.Mehr Wachstum ist kaum möglich. Die Anzahl von Fusionspartnern nimmt ab. Bereits jetzt können aufgrund des Marktanteils der kürzlichen Zusammenschlüsse ähnliche Fusionen kaum noch wiederholt werden. Schon räumen die Experten ein, daß sie sich um die Auswirkungen der Megafusionen sorgen. "Wir wissen einfach nicht, ob die Firmen, die fusionieren, auf der richtigen Linie liegen", sagt ein Öl-Berater. "Vielleicht sind die Unternehmen besser dran, die davon Abstand nehmen."

BHUSHAN BAHREE

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