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Gut zugelegt. Corinna Lenné wiegt den kleinen Kolja im Haus der Eltern.Foto: Paul Zinken

© Paul Zinken

Wirtschaft: Wiegen und wickeln

Hebammen bieten immer mehr Dienstleistungen rund um die Entbindung an

Kolja ist ein echter Brocken geworden. Vor sechs Tagen hatte Corinna Lenné das kleine, strampelnde Bündel zum letzten Mal in das Wiegetuch gelegt und jetzt, nachdem sie den Kleinen erneut gewogen hat, ruft sie: „260 Gramm in einer knappen Woche! Der hat wirklich gut zugelegt.“ Koljas Eltern Ruth Rasmussen und Björn Klinger sind stolz. Seit vier Wochen ist der Kleine auf der Welt und was es bedeutet, ein Baby zu haben, erfahren die Neuköllner nun täglich neu. „Man muss sich daran gewöhnen, dass man keinen durchgängigen Schlaf mehr bekommt“, erzählt der 36-jährige Vater. Bei der Umstellung auf ihr neues Leben zu dritt hilft ihnen Corinna Lenné.

Die Hebamme kam schon Wochen vor der Geburt regelmäßig zu ihnen nach Hause, um die Entwicklung des Kindes zu begleiten und die Eltern zu beraten. Als Kolja dann geboren war, kam sie täglich und zeigte Ruth Rasmussen und Björn Klinger, wie sie den Kleinen halten, wickeln oder füttern sollen. Inzwischen ist sie nur noch zweimal in der Woche bei der Familie und beobachtet, welche Fortschritte der Jüngste macht.

Frauen, die anderen Frauen bei der Entbindung helfen, gibt es wohl seit Menschengedenken. Zum Beruf hat sich die Tätigkeit dann etwa im 16. Jahrhundert entwickelt. Waren Hebammen bis zum 19. Jahrhundert einfache Frauen, die aus sozialer Not heraus arbeiten mussten, hat sich der Beruf im 19. Jahrhundert zunehmend professionalisiert. Heute dauert die Ausbildung zur Hebamme drei Jahre an einer Hebammenschule. Seit neuestem wird das Fach auch als Bachelorstudiengang angeboten.

Rund 18 000 Hebammen gibt es in Deutschland und ihre Aufgaben gehen inzwischen weit über die Geburtshilfe hinaus. Corinna Lenné bietet in Berlin Schwangerenvorsorge, Geburtsvorbereitungskurse, Wochenbettbegleitung, Elternberatung und Hilfe bei Still- und Schlafschwierigkeiten an. Nur die ursprünglichste Aufgabe einer Hebamme – die Hilfe bei der Entbindung – hat sie im vergangenen Jahr aufgegeben, aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen. Denn die Höhe der Versicherungen, die Hebammen abschließen müssen, wenn sie Entbindungen anbieten, ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. „Um dafür genug zu verdienen, hätte ich als Geburtshelferin in Vollzeit arbeiten müssen.“ Ein Knochenjob, den sie sich nach 20 Jahren Tag- und Nachtarbeit ohne festen Rhythmus nicht mehr zumuten wollte.

Nun betreut sie Familien zu Hause. Die meisten leben in Kreuzberg, wo sie selbst auch wohnt. Die Eltern, die sie kontaktieren, gehören meist nicht zu jenen Problemfamilien, die Familienministerin Kristina Schröder (CDU) mit einem verstärkten Einsatz von Familienenhebammen erreichen will, wie es ihr Gesetzesentwurf vorsieht. „Meine Kunden kümmern sich schon sehr früh um eine Hebamme“, sagt Lenné. Familien mit Problemen erfahren in der Regel erst im Krankenhaus, dass sie Unterstützung durch Hebammen bekommen können. „Hier könnten die Frauenärzte noch viel mehr Aufklärungsarbeit leisten“, sagt sie.

Doch auch für ihre Kunden ist die Geburt eines Kindes ein riesiges Abenteuer. „Viele Frauen sind heute verunsichert, sie wollen alles richtig machen und setzen sich enorm unter Druck“, sagt sie. Corinna Lenné kann die jungen Eltern in vielen Fällen beruhigen und Tipps geben, zum Beispiel wenn das Kind viel schreit oder nicht einschlafen will. Ein Problem, das Koljas Eltern offenbar nicht haben. Nur das Stillen bereitet Koljas Mutter Schwierigkeiten. Corinna Lenné hat deshalb eine Milchpumpe mitgebracht, mit der die 33-Jährige die Muttermilch abpumpen kann.

Ihre Arbeit begreift Corinna Lenné nicht als Termingeschäft. „Ich bleibe so lange, wie ich gebraucht werde“, sagt sie. Das Engagement schlägt sich allerdings nicht in ihrem Geldbeutel nieder. Für jeden Hausbesuch gibt es lediglich eine Pauschale von 27 Euro von der Krankenkasse. Die Hebammen kämpfen deshalb für eine bessere Bezahlung, da viele ihren Beruf auch wegen der hohen Versicherungen sonst nicht weiter ausüben könnten.

Kolja ist inzwischen auf dem Arm seines Vaters eingeschlafen. Jetzt haben Ruth Rasmussen und und Björn Klinger Zeit, zu frühstücken – es ist ein Uhr mittags. „Das Leben dreht sich um 180 Grad“, sagt der junge Vater und sieht dabei sehr zufrieden aus. Ulrike Thiele

Folge 4: Die Hure

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