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Wirtschaft: „Wir bieten den Abbau von Subventionen an“

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt über die Reformpläne der Regierung und die Bereitschaft der Wirtschaft, ihren Beitrag zu leisten

Herr Hundt, Deutschland verpasst die MaastrichtKriterien. Was muss getan werden?

Die Wirtschaft verlangt von der neuen Bundesregierung, dass sie die notwendigen durchgreifenden Reformen auf dem Arbeitsmarkt, im Arbeitsrecht, bei den sozialen Sicherungssystemen, im Steuerrecht und in der Bildung sofort angeht. Was als Ergebnis der Koalitionsverhandlungen verabschiedet wurde, ist hochgradig unbefriedigend. Das ist ein Schlag ins Gesicht der deutschen Wirtschaft. Die Reformen werden nicht angegangen, stattdessen werden die Belastungen für die Beschäftigten und für die Unternehmen noch weiter erhöht.

Wären denn Reformen, wie Sie sie wollen, schnell machbar und würden sie kurzfristig Geld sparen?

Mit Sicherheit. Es geht doch darum, dass sie wirklich gewollt werden und dass mit Reformen begonnen wird und nicht mit Steuererhöhungen. Dass Signale gesetzt werden. Und zwar andere als die, welche die deutsche Wirtschaft und ihre Beschäftigten in der vergangenen Woche erhalten haben. Es würde substanziell etwas bringen und außerdem wäre es psychologisch außerordentlich wichtig, solche Signale zu setzen. Wir haben derzeit eine bedrohliche Zurückhaltung, Lähmung und einen Pessimismus in der Wirtschaft. Das wirkt sich sowohl beim Konsum unserer Beschäftigten als auch bei den Investitionen der Unternehmen nachteilig aus.

Aber doch nicht wegen der Koalitionsvereinbarung?

In meinem eigenen Unternehmen ist es so, dass in einem beträchtlichen Umfang ausverhandelte Projekte vorliegen. Aber die Kunden geben die endgültige Unterschrift nicht, weil sie noch warten wollen, weil sie nicht wissen, wie es politisch und mit der Konjunktur weitergeht. Wenn die Vorstellungen, die vereinbart wurden, umgesetzt werden, wird sich das Wachstum weiter deutlich abschwächen. Es ist aus meiner Sicht kaum vorstellbar, dass wir mit diesem Programm im kommenden Jahr ein Wirtschaftswachstum auch nur von einem Prozent erreichen werden.

Wäre es für die Wirtschaft besser, wenn die Staatsverschuldung stärker steigt?

Nein. Es führt kein Weg an einer Haushaltskonsolidierung vorbei. Es darf keiner daran vorbeiführen. Wir können nicht nur Steuern erhöhen, neue Steuern einführen, Beiträge erhöhen und die Schulden hochfahren und damit die Wirtschaft zusätzlich belasten. Damit sind wir am Ende. Das muss die Regierung sehen.

Die Regierung hat Sie in den vergangenen Jahren steuerlich stark entlastet, die Unternehmen haben sich damit nicht begnügt: An den Steuerausfällen dieses Jahres sind vor allem die Unternehmen beteiligt, die die Finanzämter ausgenommen haben.

Die Steuerreform der letzten Legislaturperiode ging in die richtige Richtung. Sie hat die Unternehmensbesteuerung in Deutschland aber gerade mal in das untere Mittelfeld in Europa gebracht. Nicht mehr.

Finanzminister Eichel sagt, dass die Unternehmen in diesem Jahr unter dem Strich überhaupt keine Steuern mehr bezahlen. Ist keine Steuern mehr bezahlen immer noch mehr als der Durchschnitt in Europa?

Die Behauptung ist falsch und deshalb stimmt auch die Konsequenz nicht, die Sie ziehen: Die deutschen Unternehmen haben im Jahr 2001 Steuern bezahlt. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Firmen führen natürlich zu Gewinneinbußen und Steuerrückgängen.

Die Bundesregierung und die Gewerkschaften sind der Ansicht, dass Sie die Haushaltsnotlage herbeigeführt haben.

Das haben wir nicht. Die deutsche Wirtschaft läuft schlecht. Die Unternehmen kämpfen um ihr Überleben. Wir haben im ersten halben Jahr dieses Jahres mit fast 19 000 Unternehmenszusammenbrüchen einen neuen Rekord erzielt.

Sie sagen, dass die Bundesregierung die Defizitkriterien einhalten soll. Gleichzeitig aber ist das Haushaltsloch viel größer als erwartet. Wo sind die größten Fehler gemacht worden?

Unter anderem auf dem Gebiet der Sozialversicherungssysteme...

...Sie haben doch Riesters Rentenreform immer gelobt.

Im Grundsatz ja, und dabei bleibe ich. Aber: Statt der zugesagten Beitragsreduktion auf 18,7 Prozent ab Januar setzt die Regierung jetzt die Beitragsbemessungsgrenze drastisch herauf und hebt den Beitragssatz trotzdem an. Folgen sind noch höhere Zwangsabgaben und Personalzusatzkosten. Das kostet Arbeitsplätze und schadet auch der kapitalgedeckten zusätzlichen Risikovorsorge. Hierdurch verringern sich die finanziellen Spielräume der privaten Haushalte und Unternehmen für den Auf- und Ausbau der kapitalgedeckten individuellen und betrieblichen Altersvorsorge. Die staatliche Förderung über Zulagen und steuerliche Erleichterungen wird dadurch aufgezehrt.

Weil es nicht anders geht?

Vor gut zwölf Monaten hat die Bundesregierung für das nächste Jahr einen Rentenversicherungsbeitragssatz von 18,7 Prozent in Aussicht gestellt. Jetzt werden es mindestens 19,3 Prozent sein. Ohne die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und eine weitere Absenkung der Sicherheitsreserven wären es sogar 19,9 Prozent. Dies ist keineswegs allein auf die Weltkonjunktur zurückzuführen, sondern zum überwiegenden Teil auf die Bundesregierung selbst. Die Rentenreform 2001 war trotz richtiger Ansätze viel zu zögerlich, die unterstellten ökonomischen Annahmen viel zu optimistisch. Die Folge ist, dass jetzt im konjunkturellen Abschwung die Sozialabgaben und Steuern weiter erhöht werden.

Was wäre die Alternative?

Die Bundesregierung muss die Rentenreform 2001 nachbessern und fortsetzen. Kurzfristig helfen nur eine Aussetzung oder Verschiebung der Rentenanpassung am 1. Juli 2003. Und eine Verringerung der Anreize zur Frühverrentung, zum Beispiel durch höhere Abschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn. Mittel- und langfristig geht kein Weg daran vorbei, das Rentenniveau stärker und schneller als bisher geplant zu senken, also nicht nur auf 67 Prozent und das erst 2030, sondern auf 60 bis 62 Prozent und das erheblich früher. Daneben müssen die abschlagsfreie Altersgrenze schrittweise vom 65. auf das 67. Lebensjahr heraufgesetzt und die Freibeträge in der Hinterbliebenenversorgung eingefroren werden.

Sie verlangen Leistungskürzungen - von dieser Regierung?

Es geht nicht ohne Kürzungen. Die Bundesregierung muss ihr Versprechen, die Beitragssatzsumme in der Sozialversicherung unter die 40-Prozent-Marke zu senken, einhalten. Wer mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit will, muss die Personalzusatzkosten der Betriebe senken und nicht die Zwangsabgaben weiter erhöhen. Die Balance zwischen Wirtschaftskraft und Sozialaufwand muss stimmen. Das kommt auch den Rentnern und der Sozialversicherung insgesamt zugute. Mehr Beschäftigung füllt auch die Sozialkassen wieder auf und vergrößert zugleich die Spielräume für eine ergänzende eigenverantwortliche Risikovorsorge.

Und bei der Krankenversicherung?

Hier ist die Lage noch dramatischer. In diesem und im kommenden Jahr steigt der Beitragssatz zusammen um mindestens 0,9 Prozentpunkte. Das ist mehr als in den gesamten 90er Jahren. Doch statt die gesetzliche Krankenversicherung zu reformieren, werden mit der drastischen Heraufsetzung der Versicherungspflichtgrenze noch höhere Schutzzäune errichtet. Den Schaden haben die privaten Krankenversicherungsunternehmen, denen der Zufluss abgeschnitten wird. Außerdem die Bürger, denen Wahlrechte genommen werden, und die gesetzlichen Krankenkassen selbst. Denn Abschottung bereitet den Nährboden für mehr Ineffizienzen und Unwirtschaftlichkeiten.

Was würde denn die Wirtschaft tun, um die Staatsausgaben zu senken ?

Wir würden Ausgaben und Subventionen kürzen.

Das Geschrei würden wir gern hören, wenn die Bundesregierung die Kohlesubventionen, die Investitionsförderung, die Exportförderung, die Werfthilfen und ähnliches kürzt.

Die Wirtschaftsverbände halten eine Kürzung der Subventionen für erforderlich. Dies sollte differenziert erfolgen. Da sind wir bereit, uns konstruktiv einzubringen. Wenn das aber nicht geht, dann ist auch eine pauschale Kürzung aller Subventionen aus meiner Sicht vertretbar. Dies wäre schnell realisierbar.

Erwarten Sie bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst Zugeständnisse der Angestellten und Beamten des Staates?

Ich beobachte mit Spannung, wie Verdi mit der Bundesregierung die Tarifrunde zu einer akzeptablen Lösung bringt. Die ersten Signale sind besorgniserregend. Wir haben in den privatwirtschaftlichen Branchen mit mehr als drei Prozent in diesem Jahr zu hohe Abschlüsse vereinbart. Das geht weit über die Produktivitätssteigerung hinaus. Deshalb höre ich mit großer Besorgnis, dass Verdi im gleichen Bereich abschließen will.

Reden Sie denn jetzt über Lohndifferenzierung, nach dem die Krise offensichtlich geworden ist?

Wir führen im Augenblick keine Verhandlungen. Aber die Signale, die z.B. von der baden-württembergischen IG Metall zum Thema Differenzierungen kommen, sind ermutigend. Dies geht in die richtige Richtung. Auch die Idee, in der Automobilindustrie einen Produktivitätspakt zu vereinbaren, ist einer Prüfung wert.

Das Gespräch führte Ursula Weidenfeld .

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