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Wirtschaft: „Wir brauchen Biotechnik und Atomkraft“

BDI-Präsident Michael Rogowski über Deutschland als Experimentierfeld und Forschungsförderung mit Bundesbank-Gold

Herr Rogowski, was eigentlich ist Innovation?

Das Wagen. Die Bereitschaft, sich in Neuland zu begeben. Der Mut zu Versuch und Irrtum.

Und was ist eine Innovationsregion?

Ein Gebiet, in dem man dem Neuen gegenüber aufgeschlossen ist, in dem man im Risiko die Chance sieht, und nicht in erster Linie die Gefahr. Das sind Regionen, in denen man hoffentlich auch den Mut hat, sich zu irren. Ohne Irrtum gibt es auch nichts Neues.

Demnach ist Ostdeutschland schon heute eine Innovationsregion. Nirgends hat man sich so geirrt wie hier.

In Ostdeutschland ist direkt nach der Wiedervereinigung zu wenig gewagt worden. Ostdeutschland ist das Paradebeispiel dafür, dass man nur verlieren kann, wenn man alles nur so weiter machen will, wie man es gewohnt ist. Wir haben zu wenig versucht.

Ist das schlimm?

Das Ergebnis ist, dass die innovativen Regionen heute immer noch zum größten Teil in Westdeutschland sind. Innovationen verlangen eine gewisse Landschaft. Und wenn ich zu dem Ergebnis komme, dass ich in den existierenden Strukturen Westdeutschlands besser aufgehoben bin, dann investiere ich weiter da. Das Unternehmen, aus dem ich komme, der Maschinenbauer Voith aus Heidenheim, hat sich deshalb entschieden, vor Ort zu investieren, als wir vor einiger Zeit vor der Frage standen, wo wir unsere neue Papierforschungsanlage bauen.

Obwohl es in Westdeutschland weniger Subventionen gibt und die Löhne höher sind?

Auch deshalb, weil wir mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften in hoffnungsvollen Verhandlungen stehen, was die Arbeitszeiten und diverse andere Aspekte angeht.

Haben Sie jetzt die 40-Stunden-Woche?

Für diesen Bereich kriegen wir sie auf jeden Fall, die 40-Stunden-Woche, und wenn es Not tut, auch noch mehr. Was wir darüber hinaus bekommen, ist noch nicht abschließend klar. Man muss wirklich anerkennen, da tut sich etwas bei den Betriebsräten und auch bei der IG Metall.

Dann kann man ja das Kapitel Ostdeutschland jetzt abschließen – wenn nicht einmal mehr Kostenvorteile und Subventionen ausreichende Argumente für Investitionen sind.

Es ist schön, dass es überhaupt gelungen ist, industrielle Wertschöpfung in den neuen Ländern aufzubauen. Und es ist gut, dass in den industriellen Kernen, die es jetzt gibt, das Wachstum deutlich höher ausfällt als im Rest des Landes, auch in Westdeutschland. Wir dürfen nicht aufgeben und müssen weiter versuchen, auch die Forschung und Entwicklung nach Ostdeutschland zu bringen.

Das sollten die deutschen Unternehmer tun.

Den Unternehmen fehlen die Anreize, in Ostdeutschland zu forschen oder forschen zu lassen – oder wegen der ostdeutschen Forschungslandschaft dort zu investieren.

Wie kann man das ändern?

Wir müssen zum Beispiel ernsthaft über eine Forschungsprämie nachdenken.

Und was ist das?

Das ist zusätzliches Geld, das der Staat Forschungseinrichtungen gibt, wenn sie einen Auftrag aus der Industrie einwerben. Die Institute würden also dafür belohnt, wenn sie in die Projektforschung in Kooperation mit der Privatwirtschaft gehen. Wir stellen uns einen Zuschuss von bis zu 25 Prozent auf die Auftragssumme vor.

Welche Rolle spielt Ostdeutschland dabei?

Das Geld muss mit präferenzierten Sätzen in Ostdeutschland eingesetzt werden, wir sollten aber eine solche Prämie für ganz Deutschland haben.

Braucht man dafür Extra-Geld?

Es ist ganz klar, dass sowohl der Staat als auch die Unternehmen mehr Geld für die Forschungsförderung, für Forschung und Entwicklung ausgeben müssen. Da stehen wir im Wort.

Und mit mehr Geld ist es getan?

Nein, auch bei Bildung und Forschung müssen die Strukturen total reformiert werden. Diese Bereiche brauchen frische Luft und Wettbewerb. Das heißt, das Verhältnis von institutioneller zu Gunsten der projektbezogenen Forschung umzudrehen. Es heißt, die Mischfinanzierung der Institute durch Bund und Länder aufzuheben. Und es heißt, den Wettbewerb der Institutionen zu fördern.

Soll der Bund die Forschungseinrichtungen allein übernehmen?

Warum nicht? Ich könnte diesem Gedanken viel abgewinnen. Aber auch, wenn sich der Bund mit den Ländern diese Aufgabe teilt, muss es zu einer klaren Trennung kommen. Die Doppelzuständigkeit bei einzelnen Instituten lähmt. Aber klar ist auch, dass mehr Geld in den Forschungsbereich muss.

Und woher soll das Geld kommen?

Nicht aus neuen Schulden, das ist klar. Deutschland ist immer noch ein reiches Land, aber es gibt sein Geld falsch aus. Also aus Umschichtungen im Haushalt. Die Stichworte sind bekannt: Weniger Subventionen, weniger öffentlicher Dienst. Auch solche brachliegenden Vermögen wie das Gold der Bundesbank könnten genutzt werden. Allerdings in Form einer Fondslösung, bei der die Rendite in Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen fließt.

Ist das alles, was wir brauchen, um wieder nach vorne zu kommen?

Natürlich nicht. Wir müssen unsere Geisteshaltung ändern. Innovationen können nicht gedeihen, wenn wir allem Neuen nur mit Angst entgegentreten. So entwickeln wir kein innovatives Klima. Wir dürfen uns nicht wundern, dass wir nur geringe Fortschritte machen, wenn wir bestimmte Themen von der Innovationsdiskussion ausklammern.

Zum Beispiel?

Die grüne Gentechnik. Wir machen es der Biotechnik generell schwer in diesem Land. Und wir klammern die Atomforschung völlig aus, obwohl die meisten Wissenschaftler sagen, dass wir Kernenergie für die weltweite Energieversorgung brauchen.

Brauchen wir denn neue Atomkraftwerke?

Ja, davon bin ich überzeugt. Es erleichtert uns, die Klimaschutzziele von Kyoto einzuhalten Die Atomenergie ist emissionsarm. Und wir dürfen uns nicht nur vom Gas abhängig machen.

Brauchen wir mehr genmanipulierte Pflanzen auf unseren Äckern?

Wenn wir in der grünen Gentechnik führend sein wollen, und das wollen wir, dann werden wir die Regeln dafür lockern müssen.

Und die Stammzellenforschung?

Auch bei der roten Gentechnik müssen wir anfangen, die Chancen zu erkennen. Ich bin natürlich dafür, dass da besonders strenge Richtlinien gelten und enge Kontrollen durchgeführt werden. Aber die Forschung an Embryonen zu medizinischen Zwecken muss in Deutschland in wesentlich großzügigerem Rahmen und in einem positiven öffentlichen Umfeld stattfinden.

Warum?

Weil wir diese Technik ohne Zweifel anwenden werden, wenn sie eines Tages zu erfolgreichen medizinischen Therapien führt. Wir können uns heute entscheiden, ob wir sie dann aus dem Ausland einkaufen oder ob wir sie selbst entwickeln. Und da bin ich entschieden der Meinung, dass Deutschland, die einstige Apotheke der Welt, an der Spitze der Entwicklung sein muss.

Atomkraftwerke, Genmais, Klone, hört sich ja vielversprechend an, die Zukunft: Müssen wir wirklich alles in Deutschland ausprobieren, um international erfolgreich zu sein?

Sie sehen doch am Transrapid, wie schwierig es ist, Techniken zu verkaufen, die wir uns hier allenfalls in einem Kreisverkehr für Mickymäuse erlauben. Das geht nicht. Dann wird dort geforscht, wo die Techniken angewendet werden.

Auch, wenn das gefährlich ist?

Auch dann. Wir neigen dazu, die Risiken für die Gesundheit und das Leben von Menschen zu überschätzen und die Chancen, die neue Entwicklungen und Innovationen bieten, zu unterschätzen. Bleiben wir mal bei der roten Gentechnik. Wir sehen nur das Risiko, dass da jemand unverantwortlich handeln könnte. Diesem Risiko aber – das ich gar nicht leugne – stehen immense Chancen gegenüber, die wir einfach nicht erkennen.

Was fordern Sie also?

Die Liberalisierung der Auflagen für die grüne und die rote Gentechnik, und eine Überprüfung der Haltung zum Atomkonsens in der Regierungskoalition.

Fördern wird so das Wirtschaftswachstum?

Gegenfrage: Wie viel Wachstum geht uns verloren, wenn wir es nicht machen? Sicher ist doch, dass alle drei Bereiche innovationsgetrieben sind, dass sie großes Potenzial haben. Und dass hierdurch Wertschöpfung und viele Arbeitsplätze möglich sind.

Die Unternehmer wie Sie dann doch wieder nur ins Ausland verlagern.

Solange die strukturellen Verwerfungen zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt und bei den Arbeitskosten nicht angepackt werden, haben wir doch keine Alternative.

Wenn Sie patriotisch dächten, schon.

Jeder Unternehmer, der überleben will, muss sich fragen, wo sich seine Investitionen rechnen. Und in einer offenen Welt konkurrieren wir mit vielen anderen Standorten weltweit. Wir können lohnintensive Produkte nun mal nicht mehr verkaufen, wenn sie nur in Deutschland gefertigt werden.

Und deshalb müssen die Löhne runter?

In Einzelfällen ja, flächendeckend müssen wir länger arbeiten. Und wir müssen die Aufnahme von Arbeit belohnen, und nicht die Arbeitslosigkeit. Wir müssen die Belastungen auf den Faktor Arbeit reduzieren, sonst wird der Trend, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, immer stärker. Nicht, weil wir Unternehmer das wollen. Sondern, weil wir nicht anders können, um zu überleben.

Soll Ostdeutschland das Versuchsfeld für Niedriglöhne werden?

Grundsätzlich muss im ganzen Land vieles zurechtgerückt werden. Aber warum soll man nicht in einer Modellregion Ostdeutschland einiges ausprobieren? Zum Beispiel, indem man eine Reihe Bestimmungen – vielleicht für fünf oder zehn Jahre – aufhebt und sieht, was sich daraus entwickelt. Etwa am Arbeitsmarkt mit einem Niedriglohnsektor, beim Kündigungsschutz und befristeten Arbeitverhältnissen, beim Flächentarif und betrieblichen Bündnissen für Arbeit, aber auch beim Planungs- und Vergaberecht.

Das ganze Land ein einziges Experiment?

Wir haben tatsächlich zu wenig Mut, bestimmte Dinge auszuprobieren. Nehmen Sie den Versuch der sächsischen Metall-Arbeitgeber, in der letzten Tarifrunde vom gesamtdeutschen Muster abweichen zu wollen. Der Versuch ist gescheitert, ohne dass er auch nur eine Chance hatte, seine positiven Wirkungen in der Praxis zu beweisen. Der eigene Westverband hat das blockiert.

Sie werden an diesem Montag wieder die Hannover Messe eröffnen. Freuen Sie sich darauf?

Ich bin immer begeistert auf der Hannovermesse unterwegs. Vor allem die Menschen, die dort mit großer Überzeugung versuchen, ihre Entwicklungsergebnisse zu verkaufen, faszinieren mich. Da kann man sehen, wo die Stärken der deutschen Industrie sind. Zumal sich die Konjunktur ja erholt. Ich erwarte eine gute Stimmung in Hannover .

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Ursula Weidenfeld.

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