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Wirtschaft: „Wir können heftig streiten“

Verdi-Vorstandsmitglied Achim Meerkamp über mögliche Streiks im öffentlichen Dienst und leistungsgerechte Bezahlung

Herr Meerkamp, wie stark sind Ihre Truppen vor der Tarifrunde?

In unserer Tarifkommission haben von 111 Mitgliedern 110 für die Forderung nach acht Prozent höheren Einkommen und mindestens 200 Euro gestimmt. Das zeigt: Unsere Reihen sind geschlossen.

Durchsetzen müssen die Forderung aber nicht die Mitglieder der Tarifkommission, sondern Müllwerker, Erzieherinnen und Busfahrer.

In der Bundestarifkommission ist die ganze Bandbreite des öffentlichen Dienstes vertreten. Grundsätzlich bin ich mir sicher, dass wir über die Möglichkeit verfügen, mit den Arbeitgebern bundesweit heftig zu streiten. Und zwar in Stadtverwaltungen, Entsorgungs- und Nahverkehrsbetrieben, und zwar sowohl in West- als auch in Ostdeutschland.

Die IG Metall hat vor vier Jahren verheerende Erfahrungen mit der Streikfähigkeit der Ostdeutschen gemacht.

Die Beschäftigten im Osten haben in den vergangenen 15 Jahren dafür gestritten, dass die Anpassung an das westdeutsche Tarifniveau auch wirklich stattfindet, und zwar zum 1. Januar 2008. Jetzt gibt es Diskussionen bei den Arbeitgebern, diese Vereinbarung noch einmal infrage zu stellen. Darüber ärgern sich die Beschäftigten. Das wirkt sich auf die Arbeitskampffähigkeit in Ostdeutschland aus, Milieus und Mentalitäten verändern sich.

Inwiefern?

Die Menschen haben massiv Arbeitszeit und Einkommen reduziert, um den Kommunen zu helfen, die dennoch nicht ausreichend zu gesunden scheinen. Und nun sollen Arbeiter, Angestellte und Beamte weiterhin Einbußen hinnehmen. Irgendwann reicht es. Die Beschäftigten realisieren, dass sie sich für ihre Interessen einsetzen müssen. Das stimmt mich hoffnungsvoll für die kommenden Jahre.

In der Tarifauseinandersetzung mit den Bundesländern und einigen Kommunen gab es 2007 einen langen Arbeitskampf. Geht es überhaupt noch ohne Streik?

Das hing 2006 mit der Arbeitszeit zusammen. Wenn entsprechende Verträge gekündigt werden, um die Arbeitszeit zu verlängern, ist das immer eine Kampfansage. Allerdings haben die kommunalen Arbeitgeber den entsprechenden Tarifvertrag bislang nicht gekündigt.

Also geht es in dieser Tarifrunde nur um Geld?

Ja, von uns aus schon. Und mit unserer Forderung nach mindestens 200 Euro im Monat erreichen wir die breite Masse unserer Mitgliedschaft. Das gilt nicht nur im kommunalen Bereich, sondern auch beim Bund, zum Beispiel für Schleusenwärter oder die Beschäftigten bei der Bundeswehr. Das sind überwiegend gehobene Facharbeiter, die auch von der Erhöhung um 200 Euro profitieren würden.

Das wichtigste Argument für die Tarifforderung ist der Nachholbedarf. Dabei hat Verdi doch den letzten Tarifvertrag TVöD inklusive der mickrigen Einmalzahlungen unterschrieben.

Wir stehen zu der Tarifreform und werden sie auch weiterverfolgen, weil wir damit auch den Flächentarifvertrag erhalten haben. Die friedenssichernde Wirkung des Flächentarifs erkennen inzwischen auch die Bundesländer. Und was die Einmalzahlungen betrifft: Damals konnten wir nicht damit rechnen, dass die Preise so stark steigen und dass wir in der Privatwirtschaft solche deutlichen Einkommenszuwächse haben würden. Daher leitet sich unsere Position ab: Wir stehen zu dem Reformwerk, aber wir haben einen Nachholbedarf.

Und die Kommunen immer noch 80 Milliarden Euro Schulden.

Die Steuereinnahmen entwickeln sich deutlich besser als erwartet. Und wir müssen den öffentlichen Dienst attraktiver machen, denn wir verzeichnen einen zunehmenden Wettbewerb um Fachleute. Die Nachwuchsprobleme kriegen wir nur in der Fläche gelöst, in Abstimmung aller öffentlichen Arbeitgeber.

Im TVöD wurden die Einstiegsgehälter stark abgesenkt, um Auslagerungen zu stoppen. Das hat den Dienst unattraktiver gemacht.

Es gibt aber noch immer regulierte Arbeitszeiten, 26 bis 30 Tage Urlaub, 90 Prozent als 13. Gehalt und eine betriebliche Altersvorsorge. Bevor ganze Bereiche zum Beispiel ins Gebäudereinigerhandwerk abwandern, wo die sozialen Rahmenbedingungen schlechter sind, versuchen wir lieber, die betroffenen Bereiche in unserem Tarifvertrag zu halten – oder zurückzuholen. In Hessen ist es uns wegen der geringeren Einstiegsgehälter gelungen, die Servicebereiche von Krankenhäusern mit 3500 Beschäftigten wieder in unseren Tarifvertrag zu holen.

Was hat der TVöD noch gebracht?

Das wir noch zusammen sind. Oder mit anderen Worten: einheitliche Tarifverhältnisse. Wir hätten andernfalls permanent Tarifverhandlungen in allen möglichen Bereichen und ständige Auseinandersetzungen wie bei der Bahn. Die Versorgungswirtschaft und der öffentliche Nahverkehr sind eng verzahnt mit dem TVöD – ohne die Reform wären sie draußen. Auch der Krankenhausbereich wäre weg. Zudem lassen sich etwa die Wettbewerbsprobleme der Bodenbeschäftigten im Bereich des Flughafenvorfelds nur im Rahmen des neuen TVöD lösen.

Eine stärkere Bezahlung nach Leistung soll den Dienst attraktiver machen, für 2007 war dafür ein Prozent der Lohn- und Gehaltssumme vorgesehen. Warum wollen Sie das Thema in den bevorstehenden Verhandlungen nicht weiterdrehen?

Wir wollen das inhaltlich anpacken. Die Arbeitgeber haben vor drei Jahren eine Forderung erhoben, die wir in einem ersten Schritt mit umgesetzt haben. Doch anschließend haben sie versäumt, Kriterien zur Einführung dieser Leistungskomponente zu entwickeln. Wir wissen also überhaupt noch nicht, wie die Leistungskomponente wirkt und wie die Summe tatsächlich ausgeschüttet wird. Wie mache ich denn den Beruf einer Erzieherin attraktiver, wenn ich einer Erzieherin ein Prozent mehr gebe und der anderen nicht?

Also ist Leistungsbezahlung im öffentlichen Dienst grundsätzlich nicht möglich?

Jedenfalls wissen die Arbeitgeber nicht, ob oder wie sie Produktivität messen können. Wir wollen deshalb in dieser Tarifrunde gemeinsam schauen, ob die Leistungskomponente in allen Bereichen umgesetzt werden kann. In manchen funktioniert es nicht. In der Entsorgungswirtschaft etwa hatten wir immer Akkord. Warum machen wir das nicht weiter und verzichten auf komplizierte Systeme zur Leistungsmessung wegen eines Prozentpunkts?

Zielgröße sind ja auch acht Prozent, die irgendwann allein nach Leistung ausgezahlt werden.

Das ist eine Marke der Arbeitgeber, weil acht Prozent knapp ein Monatsgehalt ist. Wenn die Arbeitgeber das immer noch wollen, dann werden sie zusätzlich Geld in die Hand nehmen müssen.

Ein Tarifabschluss mit 4,5 Prozent, und ein Prozent davon für Leistungsbezahlung?

Wir werden nichts machen, von dem wir nicht wissen, wie und ob es funktioniert. Sonst schafft man ein Instrument, das einem in ein, zwei Jahren wieder auf die Füße fällt. Dann kommen die Betroffenen und sagen, wir haben einen Nachholbedarf, denn Leistungsprozente sind bei uns nicht angekommen.

Sie reden das Thema tot.

Nein. Es funktioniert bislang einfach nicht. Anders als in der Produktion gibt es derzeit keine Modelle, wie man Produktivität in vielen Dienstleistungsbranchen messen kann. In dieser Tarifrunde geht es ums Geld. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wenn es um Motivation und Leistung der Beschäftigten geht.

Mit der Acht-Prozent-Forderung gehen Sie ein höheres Risiko ein als mit sechs Prozent, weil große Erwartungen entstehen.

Nein. Das Risiko mit sechs Prozent wäre größer, weil wir mit einer solchen Forderung nicht mobilisierungsfähig wären.

Wenn Sie mit acht Prozent reingehen, müssen Sie mit mindestens vier Prozent rauskommen.

Die Frage, wie nachher Ergebnisse aussehen, beantworten die Tarifparteien unterschiedlich: Aber Tarifexperten kennen üblicherweise viele Stellgrößen, um zu einer Vereinbarung zu kommen.



Das Gespräch führte Alfons Frese.

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