zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Wirtschaftsflaute reißt Zehn-Milliarden-Loch

Bundeshaushalt leidet unter schwachem Wachstum / Institute: Reformen der Regierung gehen nicht weit genug

Berlin (brö/uhl/HB). Das schwache Wirtschaftswachstum wird voraussichtlich in diesem Jahr zu enormen Ausfällen bei den Steuereinnahmen führen und Finanzminister Hans Eichel (SPD) vor große Probleme stellen. Mit einem Anwachsen des gesamtstaatlichen Defizits auf 72 Milliarden Euro rechnet der Finanzexperte Philip Nimmermann von der ING BHFBank. Das würde eine Verschuldung von 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bedeuten – damit würde Deutschland erneut die Schuldengrenze des EU-Stabilitätspaktes von drei Prozent verletzen. Die sechs Wirtschaftsforschungsinstitute fordern in ihrem Frühjahrsgutachten, das sie heute vorlegen, Reformen, die über die bisher angekündigten hinausgehen.

Die Institute prognostizieren für 2003 nur noch ein um 0,5 Prozent wachsendes Bruttoinlandsprodukt. Noch im Herbst hatten sie eine um 1,4 Prozent wachsende Wirtschaftsleistung angepeilt. Dabei unterstellten die Konjunkturforscher jedoch eine Beruhigung der Aktienmärkte und eine friedliche Lösung des Irak-Konfliktes – beide Annahmen waren falsch. Auch die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds IWF hatten zuletzt ihre Erwartungen nach unten korrigiert – auf 0,4 und 0,5 Prozent. Aus Kreisen der Regierung verlautete, dass auch Berlin über eine Senkung nachdenke und eine Korrektur noch vor der Steuerschätzung Ende Mai plane. Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) rechnete am Montag für den Jahresdurchschnitt mit einer Arbeitslosigkeit von 4,4 Millionen Menschen, das wären 350 000 mehr als im vergangenen Jahr.

Im kommenden Jahr wird es nach Berechnungen der Institute aus Berlin, Essen, Hamburg, Halle, Kiel und München mit einem Wachstum von 1,8 Prozent etwas besser aussehen. Verantwortlich dafür sei auch eine außergewöhnlich hohe Zahl von Arbeitstagen. Auf diesen Effekt gehen allein „reichlich 1/2 Prozentpunkte“, nehmen die Ökonomen an. Ansonsten gehen sie von einer schleppenden Konjunkturerholung aus. Nach dem Ende des Irak-Krieges werde die Unsicherheit bei Verbrauchern und Unternehmen nachlassen, zudem werde mit der Erholung der Weltkonjunktur die Exportnachfrage steigen und die weltweit expansive Geldpolitik stärker zum Tragen kommen.

Am Rand der Rezession

Allerdings reichen die von der Regierung im Rahmen der Agenda 2010 geplanten Einschnitte nach Ansicht der Fachleute nicht aus. „Wenn die Agenda alles enthält, was bis zum Jahr 2010 auf den Weg gebracht werden soll, werden sich die Wachstumsbedingungen nur unwesentlich verbessern“, stellen die Experten fest. Zwar gingen die Reformen in die richtige Richtung, sie könnten aber nur ein Anfang sein.

Durch die schwache Konjunktur erwarten Steuerfachleute Einnahmeausfälle von bis zu zehn Milliarden Euro allein für des Etat des Bundes. Unklar ist auch, ob die neue Abgeltungsteuer so viel Anlagekapital aus dem Ausland anlocken wird wie von der Regierung erhofft. Hinzu kommen die Auswirkungen des jüngsten Steuerkompromisses zwischen Bund und Ländern: Finanzminister Eichel hatte sich bis 2006 Einnahmen von 15,6 Milliarden Euro erhofft. Verständigen konnten sich Regierung und Bundesrat jedoch nur auf ein Einnahmeplus von 4,4 Milliarden Euro. ING-BHF-Fachmann Nimmermann hält es daher für „völlig ausgeschlossen, dass Deutschland die Maastricht-Kriterien einhält“.

Dies wäre die zweite Verletzung des Stabilitätspaktes in Folge – bereits im vergangenen Jahr hatte Deutschland mehr Kredite aufgenommen als erlaubt. Am 21. Mai muss Eichel seine Kollegen aus den EU-Ländern davon überzeugen, dass die Politik der Regierung den Fehlbetrag wieder absenkt. Gelingt ihm das nicht, kann die EU empfindliche Strafen in Milliardenhöhe verhängen. Nach Ansicht der Wirtschaftsinstitute muss die Regierung nun „konkrete Schritte“ darüber vorlegen, wie sie bis 2006 ein ausgeglichenes Budget erreichen will. Zwar würden sich die Etatdefizite in diesem und im nächsten Jahr verringern. Wegen der Wirtschaftsschwäche würden sie jedoch erheblich höher ausfallen als ursprünglich geplant.

Von weiteren Einschnitte bei den staatlichen Investitionen riet Jörg Lüschow, Wirtschaftsfachmann der West LB, indes ab. Dies würde das Wachstum weiter schmälern, sagte er. Auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer scheint derzeit nicht durchsetzbar zu sein. Der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann schloss gegenüber der Nachrichtenagentur ddp am Montag bis 2006 jede Steuererhöhung aus, die von der Union mitgetragen werden müsse. Dies gelte auch für die Mehrwertsteuer. Seine Fraktion habe weder Pläne für Steuererhöhungen noch ein Interesse an einer neuen Steuerdebatte, erklärte der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die öffentlichen Kassen müssten vielmehr einen „rigiden Sparkurs“ fahren.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false