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Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP, rechts).

© dpa

Wirtschaftsminister Rösler: "Ich stehe für Wachstum"

Seit Mai vergangenen Jahres amtiert Philipp Rösler als Bundeswirtschaftsminister. Mit dem Tagesspiegel spricht er über über die Euro-Krise, Konjunktur und Ordnungspolitik.

Herr Rösler, warum stößt der deutsche Sparkurs außerhalb Europas auf so wenig Begeisterung?

Wer Europa von außen betrachtet, möchte die Risiken der Schuldenkrise egal mit welchen Mitteln ausgeschaltet wissen. Ginge man von dieser Sicht der Dinge aus, wäre es natürlich am einfachsten, wenn die EZB für alles gerade stünde. Das ist aber kurzsichtig, denn jeglicher Anreiz für Strukturreformen wäre verschwunden. Wir verfolgen einen anderen Ansatz, einen, der an den eigentlichen Ursachen der Krise ansetzt. Wir wollen eine Stabilitätsunion in Europa, die Schulden begrenzt, Wachstum schafft und die Wettbewerbsfähigkeit steigert. Wenn uns das gelingt, wird Europa am Ende gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Aber dauert es nicht zu lange, bis dieser Ansatz steht? Seit zwei Jahren reden wir über Griechenland und die Schuldenkrise.

Entscheidend ist, dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt reformiert haben. Er hat jetzt mehr Biss. Damit werden wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Wir haben zudem ein neues Verfahren eingeführt, um die Wettbewerbsfähigkeit in der EU zu überwachen. Im Euro-Plus-Pakt haben sich die Euro-Länder zu umfassenden Reformen verpflichtet. Im Dezember hat die EU den Pakt für mehr Fiskaldisziplin im Grundsatz beschlossen, und schon vor einer Woche haben wir den Vertrag fertiggestellt. Das zeigt, dass wir mit Hochdruck an den notwendigen Maßnahmen gearbeitet haben und weiter arbeiten.

Deutschland dürfe nicht überfordert werden, sagt die Kanzlerin. Wie nah sind wir dieser Grenze?

Deutschland ist sich seiner Verantwortung bewusst. Deshalb helfen wir finanziell, ohne dabei unkalkulierbare Risiken einzugehen. Wir helfen aber auch, indem wir die neue Stabilitätskultur in Europa voranbringen. Gemeinsam mit Frankreich setzen wir die zentralen Impulse.

Können Sie ausschließen, dass der Rettungsschirm ESM im März doch aufgestockt wird? 500 Milliarden Euro sollen nach jetzigem Stand ausgeliehen werden können; im Gespräch ist, die Summe auf 750 oder gar 1000 Milliarden zu erhöhen.

Solche Forderungen tragen zur Verunsicherung bei. Die Frage stellt sich deshalb derzeit nicht. Jetzt geht es darum, die Beschlüsse des Fiskalpakts eins zu eins umzusetzen.

Die privaten Gläubiger Griechenlands sollen einen Schuldenschnitt akzeptieren. Wäre es nicht fair und vielleicht sogar notwendig, dass auch die staatlichen Gläubiger mitziehen, etwa die EZB?

Wer fordert, die Staaten sollten mithelfen, verkennt die Situation. Die Staaten helfen bereits seit Beginn der Schuldenkrise. Es ist vielmehr ein dringend notwendiger Akt der Fairness, jetzt auch die privaten Gläubiger heranzuziehen.

Das war ein Nein?

Nochmals: Die staatlichen Gläubiger leisten bereits enorme Beiträge, um die Krise zu lösen.

"Die Finanzmärkte müssen stärker reguliert werden"

Persönlich befürwortet die Kanzlerin eine Finanztransaktionssteuer innerhalb der Euro-Zone. Sie wollen das nur auf EU-Ebene akzeptieren und präferieren das Modell einer Stempelsteuer. Erklären Sie uns den Unterschied?

Die FDP setzt sich dafür ein, dass diejenigen, die die Krise in Europa mit verursacht haben, an den Kosten beteiligt werden. Das muss gerade für den Finanzsektor in Großbritannien gelten. Es wäre falsch, den größten Börsenplatz Europas von der Steuer auszunehmen, weil wir damit die anderen Standorte – unter anderem in Deutschland – schwächen. Großbritannien ist gegen die Finanztransaktionssteuer. Die Stempelsteuer hingegen gibt es in London bereits. Es liegt nahe, dass Großbritannien einer Steuer zustimmt, die auf Basis des eigenen Modells europaweit eingeführt wird. Damit würden alle Handelsplätze innerhalb der EU gleichbehandelt. Das ist ein vernünftiger Weg, der auch von unseren französischen Partnern unterstützt wird.

Die Stempelsteuer würde den gefährlichen Hochfrequenzhandel mit Computern nicht eindämmen.

Die Finanzmärkte müssen stärker reguliert werden. Das betrifft auch den Hochfrequenzhandel mit Computern. Die Finanzmarktregulierung ist insgesamt eine Aufgabe, die angepackt werden muss. Es geht um Transparenz, etwa bei Derivaten, die außerbörslich gehandelt werden, oder bei den Schattenbanken. Deutschland ist hier in einigen Bereichen bereits Vorreiter. So sind zum Beispiel ungedeckte Leerverkäufe in Deutschland bereits seit Mitte 2010 verboten. Eine solche Regelung muss jetzt auch EU-weit folgen.

Über all diese Punkte wird doch seit der Lehman-Pleite vor mehr als drei Jahren geredet. Aber es kommt nichts.

Ich frage mich, warum eigentlich immer nur über die Besteuerung des Finanzsektors diskutiert wird. Dabei ist doch bekannt, dass eine Steuer nur Teil eines umfassenden Reformpakets für die Finanzmärkte sein kann. Wir brauchen eine umfassende Finanzmarktregulierung. So wie Ludwig Erhard das Kartellrecht in die Soziale Marktwirtschaft eingefügt hat, muss die heutige Generation dafür sorgen, dass die Finanzmärkte reguliert werden.

Was für ein Aufkommen könnte so eine EU-weite Stempelsteuer haben?

Das kommt auf die genaue Ausgestaltung an. Bevor man an das Volumen denkt, sollte man klären, wie die Steuer genau aussieht.

Die EU-Kommission hat für ihren Vorschlag einer Transaktionssteuer ein Aufkommen von 57 Milliarden Euro errechnet. Ist das eine Referenzgröße?

Wir sollten zunächst über die genaue Ausgestaltung der Steuer sprechen.

"Wachstum ist der Schlüssel für mehr Einkommen"

Sie beschreiben die aktuelle Wirtschaftslage als eine vorübergehende Wachstumsdelle. Was macht Sie so sicher, dass es nicht schlimmer kommt?

Wir gehen davon aus, dass die Konjunktur im Jahresverlauf wieder anzieht und wir im Gesamtjahr auf 0,7 Prozent Wachstum kommen. Allerdings gibt es Risiken durch die europäische Schuldenkrise. Umso wichtiger ist es, dass wir den Weg in die Stabilitätsunion wie geplant gehen.

Aber das ist, sagen Sie jedenfalls, der Fall.

Richtig. Wenn es keine Schwierigkeiten gibt, wird es mit der deutschen Wirtschaft rasch bergauf gehen. Für 2013 rechnen wir mit 1,6 Prozent Wachstum.

Woraus speist sich Ihre Zuversicht?

Unsere Wirtschaft ist robust. Die Zahl der Arbeitslosen ist auch zu Beginn dieses Jahres weiter zurückgegangen und erreicht fast historische Tiefststände. Gleichzeitig hat sich der Beschäftigungsaufbau weiter fortgesetzt. Mehr Beschäftigte bedeutet mehr verfügbares Einkommen für die Bürger, mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialausgaben für den Staat. Hinzu kommen die stabilen Preise, so dass sich die Kaufkraft der Verbraucher erhöht.

Wenn die Lage so gut ist, müssen die Löhne steigen, oder?

Als liberaler Wirtschaftsminister vertrete ich die Auffassung, dass die Lohnfindung Sache der Tarifvertragsparteien ist. Das hat sich bewährt.

Rainer Brüderle, Ihr Vorgänger im Amt und FDP-Politiker wie Sie, trat sehr wohl für höhere Löhne ein.

An Tarifverhandlungen hat auch er sich nicht beteiligt. Wir sind auch hier einer Meinung.

Mehr Kaufkraft wäre gut für die Binnenkonjunktur.

Wir gehen in unserer Jahresprojektion davon aus, dass das verfügbare Einkommen deutlich zunehmen wird. Das liegt unter anderem an steigenden Renten, sinkenden Beitragssätzen, aber vor allem auch am Wachstum. Wachstum ist der Schlüssel für mehr Einkommen der Bürger und weniger Schulden des Staates.

"Energieförderung - da müssen wir ran"

Sind nicht irgendwann auch die Grenzen des Wachstums erreicht? Und muss Wachstum nicht nachhaltig sein?

Der Club of Rome hat einst behauptet, im Jahr 2002 seien die weltweiten Ölreserven aufgebraucht. Durch Innovation und Fortschritt werden solche Prognosen immer wieder widerlegt. Weltuntergangsszenarien helfen uns nicht weiter, denn Fortschritt gibt es nur mit Wachstum. Wir brauchen Wachstum für unsere Lebensqualität, für Arbeitsplätze, Teilhabe und soziale Sicherheit. Wachstum im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft ist immer nachhaltig und hat die künftigen Generationen im Blick. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist im Übrigen keine Erfindung von grünen Gutmenschen der Gegenwart, sondern kommt aus der Forstwirtschaft. In seinem Ursprung bedeutet er: Man darf nur so viele Bäume schlagen, wie nachwachsen können.

Wie sehen Sie eigentlich Ihre Rolle? Gerade haben Sie sich als liberalen Wirtschaftsminister bezeichnet. Sind Sie der letzte Ordnungspolitiker der Koalition?

Als Wirtschaftsminister habe ich die Aufgabe, immer wieder auf die Notwendigkeit einer ordnungspolitischen Ausrichtung hinzuweisen. Das gilt gerade in Zeiten, in denen die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft von vielen infrage gestellt werden. Auf den Fluren meines Ministeriums hängen die Bilder meiner Vorgänger. Von ihrer Leistung geht eine ordnungspolitische Verpflichtung für uns alle, aber auch für mich persönlich aus. Das zeigt sich etwa in der Diskussion über erneuerbare Energien. Als Wirtschaftsminister sehe ich mich bei dem Hinweis in der Pflicht, dass wir nach über 20 Jahren großzügiger Förderung mehr Marktwirtschaft brauchen. Vor allem aber steht der Wirtschaftsminister für Wachstum. Es geht darum, alles zu tun, was für eine Verstetigung des Wachstums nötig ist. Konkret heißt das: Ressourcen sichern, ob Fachkräfte oder Rohstoffe, und neue Märkte erschließen. Das umfasst die Energiepolitik genauso wie die Bemühungen um ein globales Handelsabkommen.

Noch mal zur Energiepolitik: Die Bundesregierung setzt mit der Energiewende auf erneuerbare Energien, aber Sie wollen die Förderung kürzen. Wie passt das zusammen?

Die Bundesregierung will nicht nur bis zum Jahr 2022 aus der Kernenergie aussteigen, sondern bis 2050 vier Fünftel des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen decken. Wenn wir bei der jetzigen Förderung bleiben, würde der Gesetzgeber für fast den gesamten Markt den Preis festsetzen. Im vergangenen Jahr sind mehr als sechs Milliarden Euro in die Fotovoltaik geflossen. Das ist ungefähr die Hälfte der gesamten Förderung für erneuerbare Energien, aber die Fotovoltaik macht nur drei Prozent der Stromproduktion aus. Da müssen wir ran. Bei der Förderung der erneuerbaren Energien kommt es verstärkt auf ökonomische Effizienz und Vernunft an. Anders wird die Energiewende nicht gelingen.

Sind Sie eigentlich gegen Solarkraft?

Im Gegenteil. Gerade in Ländern, in denen regelmäßig die Sonne scheint, ist Fotovoltaik sehr sinnvoll. Hier haben zum Beispiel die Mittelmeeranrainer deutliche Vorteile. In Deutschland müssen wir wieder stärker dahin kommen, dass Marktpreise darüber entscheiden, ob bestimmte Technologien sich durchsetzen. Es ist daher ein gutes Signal, dass auch das Bundesumweltministerium nun bereit ist, gemeinsam mit mir die Solarförderung zu begrenzen.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

AUFSTIEG

Philipp Rösler, der in knapp drei Wochen 39 Jahre alt wird, hat rasant politische Karriere gemacht. Seit Mai vergangenen Jahres amtiert er als Bundeswirtschaftsminister, Vizekanzler und FDP-Vorsitzender. Erst seit neun Jahren ist er Berufspolitiker, war zunächst in Niedersachsen Abgeordneter im Landtag und FDP-Landeschef. Vor zwei Jahren wurde er – unter dem damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff – Wirtschaftsminister in Hannover, wenig später dann Bundesgesundheitsminister.

HERKUNFT

Rösler kam in Vietnam in den Kriegswirren zur Welt. Als er neun Monate alt war, adoptierte ihn ein deutsches Ehepaar. Nach dessen Trennung wuchs er bei seinem Adoptivvater auf. Nach dem Abitur in Hannover ging er zur Bundeswehr und studierte Medizin am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg. Rösler ist verheiratet und Vater von Zwillingstöchtern. Tsp

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