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Wirtschaftswunder im Südosten. Bauarbeiter in Jakarta, Indonesien. Foto: rtr

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Wirtschaft: Wirtschaftswunder im Depot

Der Westen lahmt, die Schwellenländer boomen. Wie man davon profitiert

Die Börsen trudeln, in vielen Depots leuchten rote Minuszeichen, auch Zinsanlagen werfen meist real kein Plus ab. In Zeiten des Anlagenotstands schweifen die Blicke der Anleger immer öfter in die Ferne. Denn während die großen Industrienationen unter hoher Staatsverschuldung und Wachstumsschwäche ächzen, entpuppen sich die aufstrebenden Nationen Südamerikas und Asiens als wirtschaftliche Musterknaben. „Sie sind die Finanziers der Erde, halten die größten Devisenreserven, haben hohe Leistungsbilanzüberschüsse, wachsen stark und sind kaum verschuldet“, lobt Hans-Jörg Naumer, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors.

Während die großen Industrienationen mit Zinscoupons geizen, deutsche Bundesanleihen etwa im Schnitt mit nur 1,5 Prozent rentieren, locken die Emerging Markets mit Sätzen von durchschnittlich 6,5 Prozent. Seit der Finanzkrise fließt deshalb immer mehr Geld in Anleihen der Schwellenländer. Allein aus den USA wandert derzeit jeden Monat eine halbe Milliarde Dollar netto in die Anleihen der Emerging Markets ab. Zu den Favoriten zählen vor allem Brasilien, Südafrika, Südkorea, Indonesien, Mexiko, die Türkei und Russland.

Dass das Interesse der Privatanleger geweckt ist, zeigt eine stark steigende Zahl von Fonds: Waren vor fünf Jahren kaum mehr als zehn Papiere auf dem Markt, so hat der Anleger inzwischen die Wahl unter Hunderten von Fonds und Exchange Traded Funds (ETF), die einen Querschnitt der wichtigsten und umsatzstärksten Anleihen und Märkte abbilden. Die Bilanz der Besten kann sich sehen lassen: Zwar hat die jüngste Krise auch dieses Segment nicht unbeschadet gelassen, doch liegt das jährliche Plus in den vergangenen drei Jahren bei der Mehrheit der Papiere deutlich über zehn Prozent.

Zu den Besten zählen dabei der Julius Bär Local Emerging, der BNY Mellon EM Debt Local Currency, die für die Anleger auf Jahressicht zehn bis zwölf Prozent eingefahren haben, aber auch das Fondsurgestein dieses Segments, der Templeton Emerging Markets Bond. Manager Michael Hasenstab hat für das inzwischen mehr als sieben Milliarden Dollar schwere Papier in der zurückliegenden Dekade jedes Jahr im Schnitt einen Zuwachs von 6,5 Prozent abgeliefert. Aktuell stammen die größten Positionen aus Mexiko, Indonesien, Ghana und der Ukraine, deren Anleihen Zinskupons von jährlich 7,75 bis elf Prozent abwerfen.

Auch eine Argentinienanleihe hat Hasenstab im Portfolio. Denn in dem Land, das 2001 seinen Bankrott vermeldete und alle Zahlungen an Investoren einstellte, hat sich das Blatt komplett gewendet. Argentinien kam mit Hilfe von Krediten, einem Schuldenschnitt und einer starken Abwertung des Peso schnell wieder zu Kräften, will in diesem Jahr um 4,5 bis 6,5 Prozent und zum neunten Mal in Folge wachsen. Die Verschuldung sank von 150 auf knapp 50 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft. Zum Vergleich: Die Länder der EU sind im Mittel mit 80 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) verschuldet, die USA mit gut 90, Griechenland mit 130 Prozent.

„Die Emerging Markets sind keine Krisenmärkte mehr“, kommentiert Kapitalmarktanalyst Naumer. Mehr noch: Die Welt sei Zeuge eines „dramatischen Strukturwandels“. Die Deutsche Bank spricht gar von einem „Great Risk Shift“ historischen Ausmaßes. Gemeint sei damit, dass sich die Risikowahrnehmung der Investoren zugunsten der Schwellenländer verschiebe, erklärt Xueming Song, bei der Fondstochter DWS zuständig für die Analyse von Anleihen in Emerging Markets. Inzwischen sei dies auch an den Bonitätsratings ablesbar, denn während die Industrienationen kontinuierlich abgestuft würden, würden Schwellenländer zunehmend salonfähiger.

Auch denkbare Währungsrisiken sieht Song eher entspannt: „Wir erwarten auf mittlere Sicht weitere Aufwertungen, vor allem bei den asiatischen Währungen.“ Im Fokus der meisten Experten stehen dabei der chinesische Renminbi, die indonesische Rupiah, der südkoreanische Won oder der philippinische Peso. Naumer erinnert die Situation in China mit seinem unterbewerteten Renminbi gar „an die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders, als Ludwig Erhard mit einer unterbewerteten D-Mark in den Markt ging“.

Für den Anleger, der direkt oder über einen Fonds in lokalen Währungen investiert, bedeutet dies: Zu seinem Zinsgewinn addiert sich bei einer Aufwertung ein Währungsgewinn. Im Schnitt, glaubt Song, sei mit Staatsanleihen in den Emerging Markets in den kommenden Jahren eine Rendite von etwa 6,5 Prozent pro Jahr zu erwarten, inklusive Aufwertung seien bis zu acht Prozent möglich. Auch Naumer ist sicher, dass der Geldfluss weiter anhalten wird. „Sogar konservative Anleger verstehen, dass die Chancen dort groß sind, bei überschaubaren Risiken.“

Gleichwohl: Der Markt insgesamt ist bisher eher klein. Die für internationale Investoren zugänglichen Schwellenländer haben laut Song nur so viele Staatsanleihen ausstehen wie Italien allein, nämlich etwa 1800 Milliarden Euro. Dabei zeigte Mexiko gerade, dass es die Gunst der Stunde selbstbewusst zu nutzen weiß. Während Anleger aus spanischen und italienischen Staatsanleihen flüchteten, stockte das Land kürzlich eine Anleihe auf und musste dafür weniger als sechs Prozent hinlegen. Dies lag unter dem Zins, den der Markt für zehnjährige südeuropäische Staatsanleihen verlangte – obwohl Mexiko vorläufig nicht an Rückzahlung denkt: Die Anleihe läuft 100 Jahre, Rückzahlungstermin ist 2110. Die größten Chancen wittert Song indes neben Brasilien und Indonesien in Indien, wo „ein hoher Investitionsbedarf und somit eine hoher Bedarf an Geldern besteht“. Leider sei der Zugang zum Anleihemarkt dort nicht einfach: In Indien bestehe eine Zugansgbeschränkung, Brasilien erhebe zum Schutz der Währung gegen allzu starke Aufwertung eine Steuer von sechs Prozent.

Während Naumer „fünf bis zehn Prozent“, Song sogar „bis zu 15 Prozent“ des Depots in Schwellenländeranleihen stecken würde, rät Christian Lange zur Vorsicht. Der Anlageexperte des Schweizer VZ Vermögenszentrums hält das Segment trotz aller Vorteile nur „als kleine Beimischung“ für interessant. Die Risiken lägen vor allem im politischen Bereich und auch in möglichen Wechselkursschwankungen. Für stark sicherheitsorientierte Kunden seien Schwellenländer keine gute Wahl, gibt Lange zu bedenken: „Wenn jemand mit 200 Kilometer pro Stunde fährt, ist er schneller am Ziel als einer, der nur 50 fährt. Aber es passieren auch leichter Unfälle.“

Habe ein Kunde einen Anlagehorizont von mindestens drei Jahren, und wünsche er eine ordentliche Rendite, so empfehle er einen breit streuenden Schwellenländerfonds als Beimischung. Ein Festgeldersatz sei dies jedoch „in keinem Fall“. Auch ETF bieten sich an, etwa der iShares Barclays Capital Emerging Market Local Government Bond, der in acht Schwellenländern und nur in größeren, sehr liquiden Anleihen investiert. Ein ähnliches Papier hat Lyxor mit dem ETF iBoxx Dollar Liquid im Programm, wobei hier nur Dollaranleihen statt Bonds in lokalen Währungen gekauft werden.

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