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Selbstversuch: "Zehn Tonnen CO2 im Jahr? Ich will mit zwei auskommen!"

Tagesspiegel-Redakteur Stefan Jacobs macht Kohlendioxid-Diät – und merkt, wie schwierig ein wirklich klimafreundliches Leben ist.

An mir soll die Rettung der Welt nicht scheitern. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Konkret allerdings heißt das: Abspecken beim Kohlendioxid-Ausstoß. Zwei Tonnen pro Person und Jahr gelten als langfristige Schmerzgrenze, damit die Welt nicht aus den Angeln kracht. Auf diesen zwei Tonnen CO2 beruht auch das Klimaschutzziel von Deutschland bis 2050, das angesichts von aktuell üppigen zehn Tonnen pro Bewohner und Jahr auch mit „minus 80 Prozent“ beschrieben wird.

Da mir die Bundesregierung nicht gesagt hat, wie diese radikale CO2-Diät funktionieren soll, will ich es selbst herausfinden: Kommen bittere Entbehrungen auf mich zu, oder reicht es, den Fernseher nachts auszustöpseln?

Wie jede richtige Diät findet auch diese unter professioneller Anleitung statt: Johannes Hengstenberg, der für seine gemeinnützige Beratungsfirma „co2online“ und die vom Bundesumweltministerium geförderte Kampagne „Klima sucht Schutz“ im November das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, berät mich. Jetzt sollen aber nicht Pfunde purzeln, sondern Tonnen. Zuerst rechne ich mit meinem Leben ab. Ich bin – meiner Meinung nach – schon jetzt kein Klimaschwein. Genaueres erklärt mir ein Büchlein, das mir Hengstenberg vorab gegeben hat: „Pendos CO2-Zähler“.

Ich lese darin auf dem Weg zur Arbeit, in der S-Bahn. Ich wohne ein bisschen weiter draußen, deshalb sind es 20 Kilometer dorthin à 50 Gramm CO2. Macht ein Kilo pro Tag und Richtung. Und ein weiteres für den Rückweg, sodass bei 230 Arbeitstagen nach einem Jahr 460 Kilo CO2 zusammengekommen sind. Solange die S-Bahn nicht mit Ökostrom fährt, frisst sie allein fast ein Viertel meines Guthabens. Und wenn sie wie im Sommer überhaupt nicht fährt, und ich deshalb auf mein – mit knapp sechs Litern Benzinverbrauch relativ sparsames – Auto umsteigen muss, wäre ich übers Jahr gerechnet schon bei 1,3 Tonnen nur für den Arbeitsweg. Hengstenberg sieht weniger das Verkehrsmittel als Problem, sondern die Strecke. „Die Zersiedelung der Landschaft ist ja erst durch billige Energie und Autos möglich geworden“, sagt er. „Aber wir sollten uns erst mal den lösbaren Problemen zuwenden.“

Dem Urlaub zum Beispiel, bei dem ich flexibler bin. Stolz erzähle ich von meiner diesjährigen Ferienreise – und beichte die vom Jahr zuvor. Also: Im Mai war ich in Tschechien radeln. Für An- und Abreise mit einem gemütlichen Eurocity (der rasende Stromfresser ICE transportiert ja keine Fahrräder) gibt der Umweltrechner auf der Internetseite der Bahn nur je 17 Kilo CO2 an. Im Urlaubsland bin ich aus eigener Kraft die Berge hochgeschnauft und habe zwar abends länger geduscht als sonst, aber ansonsten im mitgeschleppten Igluzelt gewohnt. „Sehr gut“, sagt Hengstenberg und fragt nach dem anderen Urlaub. Eine Flugreise in die USA, die laut dem Klimasünden-Kompensationsdienst Atmosfair 5,5 Tonnen auf die CO2-Waage bringt. „Ouh!“, entfährt es dem Klimamann. Flugreisen sind und bleiben große Klimasünden, stellt er klar. Seine Söhne seien kürzlich von Spanien nach Panama gesegelt, sagt er. Auf meinen Einwand, dass mein Jahresurlaub kürzer ist als ein solcher Segeltörn, beginnt er von seinen Radtouren in Bayern und Südtirol zu schwärmen.

Meine Idee, den Flug durch eine 120- Euro-Spende an Atmosfair zu kompensieren, stimmt ihn milde: „Die fördern ja sinnvolle Projekte mit dem Geld.“ Dass ich in Amerika außerdem etwa 500 Liter Sprit (die zu 1250 Kilo CO2 verbrennen) in ein Wohnmobil gefüllt habe, behalte ich lieber für mich. Immerhin waren wir mit dem Monstrum zu viert unterwegs.

Hengstenberg fragt nach meiner Heizkostenabrechnung, denn die ist in aller Regel der größte Einzelposten beim privaten Energieverbrauch. Ich lege ihm den Zahlensalat fürs vergangene Jahr vor. Wir ermitteln 9300 Kilowattstunden Erdgas, 84 Prozent davon für die Heizung, der Rest fürs Warmwasser. „Mit dem Verbrauch sind Sie ein Drittel unter dem Bundesdurchschnitt“, lobt Hengstenberg. Trotzdem bedeutet der Erdgasverbrauch 2,3 Tonnen CO2. Die Hälfte davon kann ich auf meine Freundin buchen, aber dann wird es schwierig: Das Haus ist gedämmt, die Fenster sind dicht – mal abgesehen davon, dass ich an Dach oder Fassade ohnehin nicht herumfuhrwerken dürfte. „Fragen Sie mal den Verwalter, wann die Heizungssteuerung zuletzt kontrolliert wurde“, rät Hengstenberg. Für die elektronisch programmierten Heizkörperventile, die zwar 30 Euro pro Stück gekostet haben, aber die Räume genau nach meinem Tagesrhythmus heizen, bekomme ich ein dickes Lob: „Eine der effektivsten Maßnahmen überhaupt. Und ein Muss für Berufstätige.“ Er selbst könne seine Heizung sogar von unterwegs regeln – über das Internet. „Das wird sich millionenfach verbreiten“, prophezeit er.

Meine Stromrechnung – 1000 Kilowattstunden zu zweit pro Jahr – findet der Klimamann „richtig klasse“. Zumal es echter, also zertifizierter Ökostrom ist, der pro Kilowattstunde nur 17 Gramm CO2 verursacht. Gegenüber dem durchschnittsdeutschen „Zehntonner“ mache ich allein beim Strom rund 800 Kilo CO2 gut, ohne auf Kühlschrank, Elektroherd und ordentliches Licht zu verzichten.

Meine Hobbys sind unspektakulär, aber ich fahre gern mit dem Auto zur Rad-, Wander- oder Paddeltour. Macht bei rund 7000 – größtenteils zu zweit gefahrenen – Kilometern pro Jahr knapp 500 Kilo CO2 pro Nase. Ob ich viel Fleisch esse, will Hengstenberg wissen. Na ja. Schlimmer als Rind (14 Kilo CO2 pro Kilo Fleisch) ist nur Butter (23 Kilo), aber die esse ich nicht kiloweise und kann sie außerdem durch zehnmal klimafreundlichere Margarine ersetzen. Beim Essen bin ich wohl ein Durchschnittsmensch: Eine Tonne CO2 pro Jahr durch Milchprodukte, eine halbe durch Fleisch. Dazu 200 Kilo für Obst und Gemüse. Vegetarier mag ich nicht werden, und Mangos oder Orangen aus Brandenburg gibt’s bisher nicht. Aber mehr Fisch, mehr Bio-Lebensmittel sowie die konsequente Vermeidung von Weißblechdosen, Einwegflaschen und von eingeflogenem Zeugs bringen ein paar hundert Kilo.

Hengstenberg überschlägt: 500 Kilo für den Arbeitsweg, noch mal so viel fürs Auto. Zwei Tonnen fürs Essen, 1,2 für die Heizung, 100 Kilo für den Radel-Urlaub, Amerika ist sowieso gestrichen. Aber noch fehlt die Rubrik namens „sonstiger Konsum“, in die selbst für mich als Wenig-Shopper mindestens eine Tonne für alles Mögliche gehört, was ich übers Jahr so kaufe – vom T-Shirt über einen Toaster bis zum täglichen Tagesspiegel. Macht zusammen 5,3 Tonnen. Ohne den Energieverbrauch im Büro und ohne den Staat, der mich in Gestalt von Finanzamt, Krankenhaus und Polizei umsorgt. Als Faustregel gilt, dass auf die eigene Bilanz noch eine „Staats-Tonne“ draufgeschlagen werden muss.

6,3 Tonnen also. Ohne Auto sowie mit weniger Fleisch und Milchprodukten werde ich wohl eine davon los, bin dann also bei reichlich fünf Tonnen. Ich bin nicht gut genug. Vor allem bin ich ratlos. Hengstenberg mag mir nicht reinreden. Es reicht ihm zu wissen, dass ich es jetzt weiß. Ich aber muss auf diesen Frust erst mal was essen. Am liebsten ein Steak.

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