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Wirtschaft: „Zur Not legen wir den Konzern lahm“

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh über die Krise von Volkswagen, die Rückkehr zur 35-Stunden-Woche und Managementfehler

Herr Osterloh, Ihrer Einschätzung nach geht es bei den an diesem Freitag beginnenden Tarifgesprächen um das Überleben von Volkswagen. Steht es wirklich so schlimm?

Heute ist noch kaum zu erkennen, was sich in Deutschland und Europa in den nächsten Jahren tun wird. Doch nachdem die asiatischen Hersteller den amerikanischen Markt erobert haben, werden sie sich Europa vornehmen. Deshalb geht es heute um Weichenstellungen, die uns im Jahr 2015 oder sogar 2020 das Überleben sichern.

Manche meinen, darunter auch VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, dass in Deutschland in einigen Jahren nur noch Premiumfahrzeuge wie Mercedes, BMW, Audi und Porsche gebaut würden.

Auch unsere Autos sind immer hochwertiger geworden. Im Übrigen haben wir mit dem Minivan Touran im Rahmen der Auto 5000 GmbH gezeigt, wie man im vermeintlichen Hochlohnland Deutschland Autos der mittleren Preiskategorie profitabel produzieren kann.

Die Beschäftigten der Auto 5000 GmbH in Wolfsburg arbeiten unterhalb der Konditionen des VW-Haustarifs, ferner ist die Produktion anders organisiert. Ist Auto 5000 ein Modell für Volkswagen insgesamt?

Es ist ein Modell unter anderen. Dabei geht es überhaupt nicht vorrangig ums Entgelt. Wenn man ein Auto so konstruiert, dass man es kaum bauen kann, dann spielen die Personalkosten keine Rolle. Es geht also vor allem um eine fertigungsgerechte Konstruktion des Autos.

Der Volkswagen ist zu kompliziert geraten?

Wenn für die Montage eines Golf angeblich 50 Stunden gebraucht werden, dann hängt das mit der Konstruktion zusammen. Teilweise spielte bei der Entwicklung das Design eine größere Rolle als Produktionsaspekte. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Montage ineffizient und unproduktiv ist und womöglich die Qualität nicht optimal. Es gibt zum Beispiel den Grundsatz: „Man kann nur Schrauben festziehen, die man auch sieht.“ Wenn das Auto aber so konstruiert ist, dass die Schrauben nicht sichtbar sind, gibt es eben schnell Qualitätsprobleme.

Also haben die Ingenieure und Konstrukteure VW in die aktuell brenzlige Lage gebracht?

Nein, sondern Vorstandsentscheidungen. Es gibt Managemententscheidungen, die irgendwann unangenehme Folgen zeitigen. Ein Beispiel: Von einem Auto sollen 255 000 Stück pro Jahr verkauft werden, entsprechend wird investiert. Tatsächlich sind es aber nur 175 000. Über die gesamte Laufzeit des Autos, nehmen wir sechs Jahre, beträgt die Differenz zwischen Plan und Realität 480 000 Autos. Diese Fahrzeuge fehlen, um die Investitionskosten reinzuholen. Das können die Kollegen mit Lohnverzicht gar nicht ausgleichen. Es geht bei uns also weniger um Personalkosten als vielmehr um eine bessere Vernetzung von Entwicklung, Planung und Produktion.

Und überhaupt nicht um Arbeitskosten?

Doch. Aber andere Aspekte sind wichtiger. Wir haben das beste Automatikgetriebe in der Autoindustrie und einen TSI-Motor mit Turbolader und Kompressor – da guckt die Konkurrenz hinterher. Wir diskutieren gerade eine neue elektromechanische Lenkung, mit der wir Maßstäbe in der Branche setzen werden. Ich will mit diesen Beispielen sagen, dass es durchaus Gründe gibt, warum ein Golf ein paar Prozentpunkte mehr kostet als ein Konkurrenzfahrzeug. Diese Gründe muss VW aber auch den Kunden klarmachen, das ist derzeit aber nicht immer der Fall.

Der Kunde hat womöglich den Eindruck, er müsse die im Vergleich zum Wettbewerb deutlich höheren Arbeitskosten bei VW tragen.

Wir reden hier über 15 Prozent der Gesamtkosten. Als Dr. Piëch 1993 VW-Chef wurde, ging er nach folgender Devise vor: Personalkosten sind wichtig, aber wir müssen uns um die anderen 85 Prozent kümmern. Das hat das Management in den letzten Jahren aus den Augen verloren.

In Ihren Verantwortungsbereich fallen die 15 Prozent. Und eine Golf-Fertigung mit 28,8-Stunden-Woche und Stundenkosten von 55 Euro ist offenbar nicht wettbewerbsfähig, das räumen Sie doch auch ein.

Ich möchte, dass das Auto kostengünstiger wird. Mit einer fertigungsgerechten Konstruktion verdient man im Endeffekt Geld. Das kommt der Rendite zugute und man kann es an den Kunden weitergeben, damit wir auf dem immer heißer umkämpften Markt erfolgreich bleiben.

Personalvorstand Horst Neumann sagt, bei den deutschen Konkurrenten von VW verdienten die Kollegen ebenso viel wie in Wolfsburg, arbeiteten dafür aber 35 Stunden die Woche, die VWler nur 28,8 Stunden. Das sei nicht mehr finanzierbar.

Das stimmt so nicht. Allein die sogenannte Visionstür des Golf V kostet so viel, wie die Einführung der 35-Stunden-Woche bringen würde. Vom Laserschweißen, dem Energieverbrauch und der komplizierten Konstruktion ganz zu schweigen. Die Belegschaft fragt sich doch: Warum soll ich dem Unternehmen etwas geben, wenn die nächste Fehlentscheidung des Managements das wieder auffrisst?

Weil Toyota und andere in Osteuropa mit zehn Euro Arbeitskosten pro Stunde Autos bauen.

Wir haben ja auch nie gesagt, dass die Personalkosten keine Rolle spielen. Aber ich schließe keinen Vertrag, in dem ich meinen eigenen Tod unterschreibe. Wir werden uns bei der Arbeitszeit bewegen, wenn wir mindestens ein zusätzliches Produkt für Wolfsburg bekommen, wenn unsere Teilefertigung aufgewertet und die Arbeitsplätze langfristig gesichert werden. Darüber wollen wir einen Vertrag schließen. Aber das Unternehmen muss uns am 8. September zeigen, dass es sich bewegt. Wir machen auf Luftnummern keine Zusage.

Wollten Sie nicht das Überleben des Konzerns sichern?

Ich bin pragmatisch und bestimmt kein Betonkopf. Aber erpressen lassen wir uns nicht. Wir haben einen Organisationsgrad von 97 Prozent und können zur Not den Konzern lahmlegen.

Zurzeit werden in Wolfsburg rund 1900 Golf gebaut, knapp 3000 wären möglich. Wie wollen Sie den Niedergang des Stammwerks aufhalten? Gibt es künftig auch einen Audi aus Wolfsburg?

Das glaube ich nicht. Aber man könnte zum Beispiel die Plattform von Audi für den Bau eines Volkswagens in Wolfsburg nutzen, vielleicht für ein Modell, das zwischen Passat und Phaeton angesiedelt ist. Ferner wollen wir zusätzliche Produkte für die Komponentenwerke und neue Modelle für das Passat-Werk Emden.

Sofern in den nächsten Wochen die Verhandlungen zu einem guten Ergebnis führen – wie sieht VW in zehn Jahren aus?

Volkswagen verkauft dann erheblich mehr Autos als heute. Dieser Optimismus ergibt sich aus den neuen Autos, die ich bisher gesehen habe und die in den kommenden Jahren auf den Markt kommen. Doch der Verdrängungswettbewerb wird noch brutaler werden. Es geht wirklich darum, VW jetzt wetterfest zu machen. Wenn wir jetzt Geld verdienen, dann haben wir die Mittel, die wir künftig für Marketing und Innovationen brauchen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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