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Hans-Jörg Rudloff, Verwaltungsratspräsident von Barclays Capital, kritisiert, dass der private Sektor nicht angemessen an der Bewältigung der Schuldenkrise beteiligt wird: „Die Schluderei geht hemmungslos weiter.“

© AFP

ZUR PERSON: „Offenen Auges in eine gewaltige Kreditklemme“

Investmentbanker Hans-Jörg Rudloff über Versäumnisse des Euro-Gipfels und die gefährliche Situation der Wirtschaft „Wir machen fröhlich dort weiter, wo wir vor einem Jahr aufgehört haben.“ „Die Eigenkapitalvorgaben für die Banken ersticken jegliches Wachstum.“.

Herr Rudloff, vertrauen Sie der Euro-Zone seit dem letzten Krisengipfel wieder?

So schnell geht das nicht! Die Europäer haben einen ernsthaften Versuch unternommen, die Richtung vorzugeben und automatische Sanktionen zu verabreden, die vielleicht Wirkung entfalten werden. Es ist als Erfolg zu verbuchen, dass es Deutsche und Franzosen fertiggebracht haben, alle Mitglieder der Euro-Zone und fast alle Mitglieder der EU wenigstens vorläufig hinter diese Vorschläge zu bringen. Ob das reicht, um das verlorene Vertrauen wiederherzustellen, hängt aber vollständig von der Umsetzung ab.

Trauen Sie das der Euro-Zone nicht zu?

An gutem Willen hat es nie gefehlt und auch nicht an den richtigen Gedanken. Eigentlich wissen alle, dass es nur einen Weg nach vorne gibt, aber die Schwierigkeiten der Umsetzung werden maßlos unterschätzt. Sie müssen diese komplizierte Maschine nicht nur bauen, sondern auch zum Laufen bringen. Dabei rede ich nur von den technischen Schwierigkeiten und nicht von den politischen, die noch dazu kommen. Jeder, der auch nur eine Ahnung hat, wie Italien, Spanien und der Balkan, ganz zu schweigen von Griechenland, strukturiert sind, weiß, wie meilenweit diese Länder von deutschen Verhältnissen entfernt sind. Man kann keinen Zauberstab heben und eine Fiskalunion ausrufen – das ist absolut ausgeschlossen. Das geht nur mit härtester Arbeit, Millimeter für Millimeter. Wir sind alle froh, wenn es gelingt, aber es wird Jahre und Jahrzehnte dauern. Nur weil die Richtung vorgegeben wurde, ist nicht schon alles klar. Das wäre ein gefährlicher Irrglaube, der neue Enttäuschungen hervorbringen würde. Jede neue Enttäuschung kratzt an der Glaubwürdigkeit Europas.

Nennen Sie bitte ein konkretes Beispiel.

Die Deutschen haben immer insistiert, dass der private Sektor im Falle einer Umstrukturierung von Schulden einzelner Länder beteiligt werden muss. Dahinter stand der Wunsch, die Investoren mit in die Verantwortung zu nehmen, aber auch das Signal, dass der Steuerzahler nicht mehr für alles haftet. Im Falle von Griechenland hat die Bundesregierung das auch durchgesetzt. Das hat dazu geführt, dass alle Wackelstaaten in Europa mit Argwohn angeschaut wurden. Investoren mussten annehmen, dass man sie im schlimmsten Fall zur Kasse bittet. Die Bundesregierung hat diese Linie aufgegeben, und damit gibt es wieder eine implizite Garantie des Steuerzahlers für alle europäischen Schulden. Der private Sektor wird nicht eingebunden, selbst dann nicht, wenn die EU einspringen muss. Das ist ein sehr problematischer Schritt.

Aber der müsste Ihnen doch entgegen kommen. Sie können wieder unbesorgt italienische und spanische Staatsanleihen kaufen.

Genau, da liegt das Problem. Jetzt können die Anleger wieder blind investieren. Jede Pensionskasse, jede Versicherung, jede Bank kann Anleihen auch der verrottetsten Staaten kaufen. Wir machen fröhlich dort weiter, wo wir vor einem Jahr aufgehört haben. Das Signal führt nicht zu den notwendigen Reformen, die ganze Schluderei geht hemmungslos weiter.

Das hat die Kanzlerin verbockt?

Wahrscheinlich ging kein Weg daran vorbei. Der Rest von Europa hat die ziemlich harten deutschen Mechanismen akzeptiert, und sie musste etwas hergeben. Man hat ihr eingeredet, dass die Einbindung des Privatsektors ein Fehler war, weil das Vertrauen gekostet hat. Das stimmt. Aber das war doch auch der Zweck der Übung! Wir wollten doch einen Kapitalmarkt haben, in dem der Investor das Risiko sorgfältig bewertet. Durch die Nicht-Einbindung des Privatsektors setzt man Marktautomatismen genauso außer Kraft wie mit Euro-Bonds.

Sie halten nichts von Euro-Bonds?

Überhaupt nichts! Man darf nicht alle Länder über einen Kamm scheren. Wenn man Politikern die Möglichkeit gibt, ohne negative Konsequenzen Schulden aufzunehmen, werden sie Schulden aufnehmen, denn schlussendlich wollen sie Wahlen gewinnen. Das mag zynisch klingen, aber Wahlen lassen sich in der Regel nicht mit Appellen an die Vernunft gewinnen. Deswegen ist das deutsche Streben nach Automatismen absolut richtig.

Was ist gefährlicher: die Verschuldung der Staaten oder die Probleme der Banken?

Das hängt zu 100 Prozent zusammen. Der EU-Gipfel hat die implizite Garantie für die Staatsanleihen beschlossen, um die Bilanzen der Banken zu stabilisieren. Das weiß ich nur zu gut. Es war das kleinere Übel, denn sonst hätte man die Europäische Zentralbank mit unbegrenzten Mitteln als letzte Instanz mobilisieren müssen. Aber das Bankenproblem ist allgemein nicht verstanden worden.

Was meinen Sie damit?

Die erhöhten Eigenkapitalvorgaben für die Banken ersticken jegliches Wirtschaftswachstum im Keim. Europa geht offenen Auges in eine gewaltige Kreditklemme, ohne zu ahnen, wie einschneidend sie wird. Das ist nicht mehr zu verhindern. Das ist einfache Mathematik.

Können Sie das bitte vorrechnen?

Bis zum nächsten Juni müssen die größten europäischen Banken 115 Milliarden an neuem Kapital aufnehmen, um eine Kernkapitalquote von neun Prozent zu erreichen. Das geht auf zwei Arten: Entweder finden sie neue Kapitalgeber, was derzeit unwahrscheinlich ist. Oder aber sie verkürzen die Bilanzen. Die Zahlen sind erschreckend. Barclays Capital rechnet damit, dass die Bankbilanzen um 1,3 bis 1,5 Billionen Euro schrumpfen. Andere Investmentbanken schätzen, dass es bis zu 2,5 Billionen Euro sein könnten, und ganz persönlich glaube ich, dass diese Zahl es eher trifft. Das totale Kreditvolumen in Europa beläuft sich auf 28 bis 30 Billionen Euro. Das heißt, das Kreditvolumen wird im kommenden Jahr in Europa nur wegen der neuen Eigenkapitalvorgaben um fünf bis zehn Prozent zurückgefahren. Hinzu kommt die gewachsene Vorsicht. Das Pendel schlägt gerade von der übermäßigen und leichtfertigen Spekulation hinüber auf ein ganz konservatives Verhalten.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht zu tun?

Die Politik muss den Fuß von der Bremse nehmen. Die Bankenwelt sollte zwei, drei Jahre Zeit bekommen, um die neuen Kapitalanforderungen zu erfüllen. Ursprünglich war dafür das Jahr 2019 ins Auge gefasst worden. Viele Banken hatten angefangen, das schneller umzusetzen und 2013 oder 2014 angepeilt. Aber jetzt soll es schon 2012 so weit sein. Die Kreditklemme wird vor allem die mittelständischen Unternehmen treffen. Und nebenbei wird sie die Umsetzung der Beschlüsse des Gipfels noch erschweren.

Wie sehen Sie die britische Isolation?

Gelassen. Es ist ja nicht so, dass die Engländer sich auf ihre Insel zurückziehen. London wird seine Bedeutung als Umschlagplatz für Kapitalströme eher vergrößern. Die Welt ist groß. Großbritannien schottet sich nicht von der Welt ab, sondern vom Euro. Länder, die nicht in diesen schwierigen Währungsverbund eingebunden sind, werden es vorerst leichter haben. Es wird im Markt als Vorteil gesehen, dass Großbritannien abseits steht und seine Souveränität erhält. Das ist keine politische Haltung, sondern meine persönliche Beobachtung. Ich sage das als jemand, der seit über 40 Jahren in Finanzmärkten aktiv ist.

Droht die Euro-Zone zu zerfallen?

Sicher nicht im Moment. Wir haben gerade eine starke politische Willenserklärung gesehen. Aber die Schulden sind ja nicht verschwunden, sie belasten die einzelnen Länder, bestimmen die Politik und schaffen wirtschaftliche Ungleichgewichte. Man muss daran glauben, dass sich Konvergenz schaffen lässt, dass die zwei, drei größten Länder sich durchsetzen, dass sich die gesamte europäische Führung in Brüssel praktisch über Nacht verändert und das Streben nach Effizienz über ihre politischen Ambitionen stellt. Es muss nicht nur der Wille da sein, sondern auch die Kompetenz. Wenn Sie an all das glauben, überlebt der Euro.

Glauben Sie daran?

Ich persönlich? Ich halte mich mit einer Meinung zurück. Ich kann das hier nicht anders machen. Nur: Ich lasse mich nicht hinreißen zu behaupten, Europa sei auferstanden wie ein Phönix aus der Asche. Das kann ich mir als Bankier nicht leisten. Ich muss die vielen kleinen Mosaiksteine zusammenfügen. Ich sehe einen gewissen Fortschritt, aber vor allem ganz enorme Schwierigkeiten der Umsetzung. Ich sehe auch kurzfristige Probleme, weil die Skepsis im Markt überwiegt. Vorerst muss die EZB das System liquide halten, um das Überleben des Euro zu sichern.

Das Interview führte Moritz Döbler

DER MENSCH

Hans-Jörg Rudloff (71) stammt aus Köln und ist in der Schweiz

aufgewachsen. Nach dem Studium in Bern ging er nach New York, um Aktienhändler zu werden. Er machte

bei Kidder Peabody Karriere und ging 1980 zur Credit Suisse First Boston, wo er 1989 zum

Vorstandschef berufen wurde. 1998 stieß

er zu Barclays Capital,

deren Verwaltungsratspräsident er heute ist. Er hat bis heute einen deutschen Pass.

DIE BANK

Barclays Capital ist die Investmenttochter der britischen Barclays Bank – der nach HSBC zweitgrößten britische Bank –, die ihre Ursprünge auf das Jahr 1690 datiert. Durch Fusionen kam sie schon Mitte der 1920er Jahre auf mehr als 1800 Filialen. 1986 wurde die Tochter gegründet, die heute als Barclays Capital firmiert. Nach der Pleite der Lehman- Bank 2008 übernahm Barclays Capital deren Nordamerikageschäft. 2010 erzielten weltweit 25 000 Mitarbeiter einen Vorsteuergewinn von rund 5,7 Milliarden Euro.

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