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Wirtschaft: Zwei Schwaben in Indien

Von ihren neuen Niederlassungen im goanischen Verna aus wollen die Firmen Putzmeister und Bosch den indischen Markt erobern

Hier riecht alles frisch und neu. Über schwarzen Granit geht es in die verglaste Halle – drinnen lockt ein überdimensionaler Elefant an der Wand. Willkommen bei den deutschen Firmen Putzmeister und Bosch im indischen Goa. Der Betonmaschinenbauer Putzmeister und Bosch Verpackungen als Untermieter bauen im goanischen Silicon Valley namens Verna gerade ihre Produktion auf. Während die Kanzlerin im Herbst mit einer Delegation in Neu Delhi und Bombay neue Geschäfte auslotete, etablieren sich die beiden Firmen aus dem Schwäbischen bereits im kleinsten Bundesstaat im Südwesten des Subkontinents.

Der Elefant, das Wahrzeichen von Putzmeister aus Aichtal, wirkt hier ein wenig fremd, denn er ist eigentlich ein afrikanischer. Für den neuen Standort haben sie ihn angepasst: den Kopf des arbeitsamen Kolosses haben sie üppig indisch bunt geschmückt. Kolosse anderer Art entstehen jetzt in der Produktionshalle: Betonpumpen, die das Baumaterial in schwindelnde Höhen transportieren. Die Firma hat weltweit Erfahrung – ihre Elefantenpumpen mit bis zu 62 Meter langen Auslegerohren sind auch beim Bau des Burj Dubai, des höchsten Gebäudes der Welt, im Einsatz. In China hat das Unternehmen seit zehn Jahren eine Produktionsstätte, jetzt also Verna in Indien.

Von hier aus wollen sie vom rasanten Aufschwung profitieren. Und den Indern mehr und mehr auf Trucks montierte, also mobile Betonpumpen für 155 000 Euro das Stück schmackhaft machen, wie der für die Produktion zuständige Joseph Thomson erzählt. Der Inder mit dem Schnauzer, der stolz eine Schweizer Uhr am Arm trägt, die er sich während seines Trainings in Deutschland zugelegt hat, sitzt in einem kleinen Glashäuschen neben dem Großraumbüro. Dort sind noch eine ganze Reihe der graublauen Büroboxen, die an einen US–Film erinnern, unbesetzt. Monat für Monat soll die Belegschaft wachsen, im Frühjahr wollen sie mit 100 Mann vollzählig sein.

Gar nicht so einfach, denn qualifiziertes Personal ist im Boomland Indien gefragt und nicht immer zu haben. „Wir haben natürlich gewildert, wo wir konnten“, sagt der 42-jährige Chef Andrej Hropot lachend, denn die Nachfrage nach qualifizierten Leuten ist „riesig“. Im Großraum Poona/Bombay oder Bangalore hat ein regelrechter Wettbewerb eingesetzt. Dort machen sich die Weltfirmen auf engstem Raum schärfste Konkurrenz. „Da läuft ohne Headhunter nichts mehr, ein Mitarbeiter bleibt maximal acht bis zwölf Monate bei einer Firma. Dann kommt ein neuer Headhunter und bietet das doppelte Gehalt, mindestens“, beschreibt Hropot die Lage.

Allerdings ist er nicht ganz ohne Wehmut, dass er im kleinen Goa sitzt. „Dort ist alles ein Kampf: um Strom, um Wasser, um Angestellte.“ Und als Hersteller eines Nischenprodukts auch um die Lieferanten. „Wenn wir 100 Stück bestellen wollen, lachen die uns aus und sagen: VW bestellt 100 000, wir haben keine Zeit“, erzählt der Deutsche. Während in Indien die Wirtschaft ohnehin schon um neun Prozent im Jahr wächst, geht es in den Boomzonen Jahr für Jahr sogar um satte 20 bis 30 Prozent nach oben.

Dagegen ist es in Goa geradezu beschaulich. Offenbar schätzen die Unternehmen heute das, was die Hippies vor Jahrzehnten anlockte: Freundlichkeit und relative Ruhe. Produktionschef Thomson nennt die Menschen hier „friedlicher“. Der gebürtige Goaner meint vor allem die geringe Streikbereitschaft. Auch in Sachen Bezahlung ist die in Deutschland vor allem bei Strandurlaubern beliebte Küstenregion Goa ein für Arbeitgeber angenehmer Standort. Umgerechnet 150 Euro zahlen sie pro Monat Mitarbeitern in der Produktion, 8000 verdient ein Ingenieur – im Jahr.

Dann verrät Chef Hropot noch einen Vorteil des neuen Standorts: „Die indische Mittelschicht, die will, dass ihre Kinder etwas werden, schickt sie auf eine englische Schule. Uni-Absolventen sprechen also bereits 15 oder 16 Jahre Englisch. Sie können in einem Unternehmen ganz anders agieren als Deutsche oder Chinesen. Chinesen machen ihre ganze Ausbildung in Chinesisch.“

Seine guten Leute schickt Hropot bis zu ein Jahr lang ins Mutterhaus nach Deutschland. Schließlich sollen sie irgendwann das Geschäft übernehmen und von Goa aus den Milliardenumsatz der schwäbischen Firma mit ihren weltweit 3500 Mitarbeitern mehren. Im Moment sind, einschließlich Chef, drei Deutsche an Bord, drei weitere folgen im Januar.

Der Kollege von Bosch Verpackungen ist in seiner Mannschaft der einzige Deutsche. Generalmanager Thomas Bühler ist am Tag nach Nikolaus mit seinen Leuten in Verna gestartet. In den Wochen zuvor hatte der 36-Jährige alle Hände voll zu tun, um den Umzug seiner 80 Mitarbeiter von Bangalore zu organisieren. Der Chef hilft nicht nur bei der Wohnungssuche, er schreibt auch schon mal ein Empfehlungsschreiben für die neue Schule der Mitarbeiterkinder oder hilft bei der Suche nach einem Arzt.

Den Bosch-Tross aus Bangalore zieht es ganz gezielt nach Goa, denn hier sitzen viele potenzielle Kunden. Bühlers Geschäftsbereich sind Verpackungen – eine in Deutschland von Bosch eher wenig bekannte Sparte des Unternehmens. Mehr als ein Dutzend große Pharmaunternehmen haben in Verna Dependancen – die möchte Bühler beliefern.

Die beiden Schwaben sind in ein „ganz normales Industriegebiet“ gezogen, betont Hropot. Zahlreiche Firmen sind mit Steuervorteilen gelockt worden. Verna zieht sich kilometerweit hin – Schatten spendende Bäume gibt es kaum. Nur die Bushaltestellen sind überdacht. Viele Firmen haben wegen der schlechten öffentlichen Verbindungen eigene Fahrdienste für die Mitarbeiter direkt ab Werkstor organisiert.

„Wenn Firmen wie Cipla, Lupin, Ratiopharm oder Sanofi Aventis nach Jahren des Investierens die Freigabe für ein Medikament erhalten, brauchen sie schnell die geeigneten Maschinen, damit sie ihre pharmazeutischen Produkte abfüllen und auf den Markt bringen können“, sagt Bühler. „Die Firmen schätzen es, einen verlässlichen Partner um die Ecke zu haben und zu wissen, dass sie jederzeit anrufen können. Selbst nachts ist in fünf Minuten ein Service-Mann da, der hilft.“ Und Bühlers Werk soll wachsen. Bisher hat es 2600 Quadratmeter. Auf Sicht sollen es 15 000 werden.

Denn auch Geschäftssparte Nummer zwei, Lebensmittelverpackungen, birgt ein „riesiges Potenzial“. In Deutschland sind 90 Prozent der Lebensmittel verpackt, in Indien werden zwar inzwischen Reis, Mehl, Linsen, Gewürze und neuerdings Snacks immer öfter verpackt – bisher aber sind es gerade mal zehn Prozent. Meist kaufen die Menschen Lebensmittel lose auf dem Markt. Die aufstrebenden Lebensmittelhersteller wollen sich mit ihren Produkten auch äußerlich von der Konkurrenz unterscheiden. Da gibt es viel einzupacken. Nicht zuletzt Süßigkeiten – auch die gehören in dem Land mit seiner so jungen Bevölkerung zum Verpackungsmarkt, auf dem Bosch hier tätig ist.

Thomas Bühler aber muss sich nicht nur um Mitarbeiter und Maschinen kümmern: Auch die eigene Familie mit zwei kleinen Kindern richtet sich gerade erst ihr neues Zuhause in Südgoa ein.

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