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Abnormitäten: Doppelkopf ist tot

Sie war der Knut der USA: "We“, eine Schlange mit zwei Köpfen. Nun ist sie gestorben. Ein Nachruf.

Zwei Köpfe sind besser als einer – gelegentlich scheint die Natur ein kleines Experiment ins Leben zu rufen, als wolle sie testen, ob an diesem geflügelten Wort wirklich etwas dran ist. Beispiel: „We“, eine zweiköpfige Schlange, die vor wenigen Tagen das Zeitliche gesegnet hat.

„We“ („wir“) war eine Albino-Rattenschlange. Kurz nach Wes Geburt 1999 – da war We gerade mal so groß wie ein Bleistift – kaufte das World Aquarium in St. Louis (US-Staat Missouri) das Tier für 15 000 Dollar. We wurde länger und länger, brachte es schließlich auf einen 1 Meter 50 und war gut dreieinhalb Zentimeter dick.

Nun ist We gestorben, an natürlichen Ursachen, wie es heißt. „Eine schreckliche Nachricht“, sagt sein Pflegevater Leonard Sonnenschein, so etwas wie das amerikanische Pendant zu Knutvater Thomas Dörflein. „Die Leute kamen jeden Tag in den Zoo und sagten: Wir sind hier, um die zweiköpfige Schlange zu sehen.“

Tatsächlich ist mit We ein seltenes Exemplar der Natur gestorben. Zwei Köpfe kommen, wie man sich denken kann, nicht gerade oft vor. Was vor allem daran liegt, dass sich die Doppelköpfigkeit beim Kampf ums Dasein meist doch als eher lästig erweist.

So hat der Zoologe Gordon Burghardt von der Universität von Tennessee mehrere zweiköpfige Schlangen untersucht. Fazit seiner Studien: Das Verblüffendste ist, dass die Doppelköpfigen überhaupt überleben.

Beim Essen etwa können zwei Köpfe regelrecht gefährlich werden. „Oft streiten sich die Köpfe darüber, wer die Beute runterschlucken darf“, so Burghardt. Der eine Kopf riecht nämlich sofort, wenn der andere Kopf etwas zu fressen bekommen hat und schnappt instinktiv nach der Beute – mit der Folge, dass der Kopf gleich mit im Maul landet. „Die Tiere haben auch große Schwierigkeiten zu entscheiden, in welche Richtung sie sich bewegen sollen.“ Manche sind auf einem chronischen Zick-Zack-Kurs unterwegs: zwei Köpfe, zwei Ziele.

Neben zweiköpfigen Schlangen – in den USA gibt es auch eine doppelköpfige Klapperschlange: „Double Trouble“ – tauchen hin und wieder zweiköpfige Schildkröten oder zweiköpfige Kälber auf.

Beispielsweise entdeckte ein südafrikanischer Amateur-Schildkrötenzüchter namens Noël Daniels vor einigen Jahren in seiner Brut eine ungewöhnliche Schildkröte. Deren zwei Köpfe bewegten sich, wenn sie verängstigt waren, in unterschiedliche Richtungen.

„Zum Glück ist sie ziemlich langsam“, sagt Daniels. „So scheint sie genug Zeit zu haben, herauszufinden, welche Richtung sie einschlagen sollte.“ Bei einer anderen Schildkröte mit Doppelhaupt war es so, dass beide Köpfe öfters das gleiche Stück Futter zu essen begannen, um sich dann irgendwann in der Mitte zu treffen.

Zu einiger Berühmtheit brachte es auch ein amerikanisches zweiköpfiges Kalb, das im Laufe seines Lebens so bewundert wurde, dass sein Besitzer ihm den Namen „Star“ gab. Star starb im Februar.

Die allermeisten zweiköpfigen Geschöpfe sterben weitaus früher: schon im Mutterleib während der Embryonalentwicklung. Zur Doppelköpfigkeit kommt es, wenn die befruchtete Eizelle beginnt, sich wie bei eineiigen Zwillingen in zwei Organismen zu teilen und dies nicht ganz vollzogen wird. Je nachdem, wie weit die Teilung vorankommt, ist das Resultat entweder nur ein doppeltes Gesicht oder ein doppelter Kopf oder ganze zusammengewachsene Körper, wie bei siamesischen Zwillingen.

Vermutlich waren es die mehrköpfigen Geschöpfe der Natur, die den Menschen zu sagenhaften Gestalten wie vielköpfigen Drachen inspiriert haben. Die griechische Mythologie kannte zahlreiche mehrköpfige Kreaturen, Typhon zum Beispiel, ein grässliches Ungeheuer mit hundert Häuptern.

Die alten Ägypter dagegen bewunderten Nehebkau, einen dämonischen Begleiter des Sonnengottes Re, Wächter am Eingang des Jenseits, schlangengestaltig, zweiköpfig. Ein bisschen wie We. Nur unsterblich. Bas Kast

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