zum Hauptinhalt
Maria Therese, genannt Esi, von Hammerstein in den 1930er Jahren auf ihrem Motorrad auf einer Allee bei Berlin.

© Foto: Privat; Repro: Gottfried Paasche

Adliger Widerstand in der NS-Zeit: Der Mut der revolutionären Schwestern

Gottfried Paasche beschreibt seine Mutter und zwei Tanten, die Berliner Hammerstein-Töchter, als in der Nazizeit unangepasste Adelstöchter im Widerstand gegen Hitler.

Hans Magnus Enzensberger hat den deutschen Heeresoffizier und Hitler-Gegner Kurt von Hammerstein-Equord 2008 in einem auf historischen Recherchen basierender Romanessay als zaghaften Widerständler porträtiert. „Hammerstein oder der Eigensinn“ zeigte die politischen Widersprüche der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich in dem schillernden Reichswehr-General und dessen ambivalentem Verhältnis zu Weimar personifizieren.

Weit eigensinniger, ja widerständiger als der letzte Chef der obersten Heeresleitung waren jedoch seine drei ältesten Töchter Marie Louise, Maria Therese und Helga Eleanore. Zwei dieser Militäradelstöchter waren als kommunistische Agentinnen tätig, die dritte engagierte sich für den Zionismus. Alle verkehrten zu Weimarer Zeiten und noch während der NS-Diktatur in jüdischen und revolutionären Milieus, setzten dabei nicht nur den gewichtigen Namen, sondern auch häufig ihr Leben aufs Spiel.

Über diese bemerkenswerten Frauen hat Gottfried Paasche, emeritierter Professor für Soziologie an der York University in Toronto, nun ein ebenfalls bemerkenswertes Buch geschrieben. Gottfried Pasche ist nicht nur der Enkel des Antikolonialisten Hans Paasche, der 1920 im Rahmen der Fememorde von Mitgliedern der rechtsextremen Brigade Ehrhardt erschossen wurde.

Sein Urgroßvater mütterlicherseits war der diese Brigade im Kapp-Putsch kommandierende General Walther von Lüttwitz. Dessen Schwiegersohn wiederum war Hammerstein-Equord, der ihm beim Putsch die Gefolgschaft versagte. Und später selbst erwog, gegen Hitler zu putschen. Die mittlere der Töchter ist Gottfried Paasches Mutter, die anderen sind folglich seine Tanten.  

Im Verlauf einer Jahrzehnte währenden Recherche hat Paasche die Chronik der Familie geschrieben und die von ihm akribisch gesammelten Quellen mit der mündlichen Familienüberlieferung verzahnt. Der Autor suggeriert keine falsche Distanz, die er als Verwandter wohl nicht durchhalten könnte. Nicht historiographisch im orthodoxen Sinn ist „Hammersteins Töchter“ doch ungleich mehr als ein historischer Familienroman. Paasches dramaturgisch verdichtetes Zeitbild, sein Einblick in persönliche Korrespondenzen adliger Akteure der jungen Republik sowie des diktatorischen Systems, das ihr folgt, erweisen sich als große Bereicherung für die Widerstandsforschung.

Wie man heute weiß, waren sich der preußische Adel und die Nazi-Bewegung keineswegs feindlich gesinnt. Hammerstein wurde in der Forschung mitunter als eine der beachtenswerten Ausnahmen beschrieben.

Paasche macht nun unumwunden klar, dass die ältesten drei von Hammerstein-Equords sieben Kindern die eigentlich nennenswerten Ausnahmen waren, indem sie nicht nur den Faschismus verachteten, sondern auch den familiären Konservatismus und die Klassengesellschaft, von der sie profitierten.

Keine der Töchter tut, was sie soll

Die Handlung des Buches „Hammersteins Töchter“ liest sich dabei manchmal wie ein Serien-Skript mit emanzipatorisch-feministischem Anspruch und die True-Crime-Antwort auf „Babylon Berlin“. Nicht eindeutig ist, ob die Hammerstein-Töchter nun wegen der Enge ihrer Herkunft rebellieren oder aufgrund der relativen Freiheit, die der Vater ihnen innerhalb des Käfigs gestattet.

Jedenfalls tut keine der Töchter, was sie soll: Sie kleiden sich wie Männer, fahren mit dem Motorrad, sind im Sozialistischen Schülerbund aktiv, verkehren mit jüdisch-kommunistischen Freunden in den Arbeiterpinten Neuköllns.

Die Älteste, Marie Louise, Spitzname „Butzi“, ist mit dem KPD-Mann Werner Scholem liiert, der von der Partei bald als Abweichler geziehen und schließlich in Buchenwald umgebracht wird. Für den Geheimdienst der kommunistischen Partei bespitzelt Butzi Hammerstein Vater und Kollegen, übermittelt die Aufrüstungspläne der Reichswehr an die Genossen in Moskau.

Kundgebung des Kyffhäuser-Bundes im 1931 Berliner Sportpalast, rechts sitzt General Kurt von Hammerstein.

© ullstein bild via Getty Images

Ihr kleiner Bruder Kunrat, später Stauffenberg-Gefährte, verpfeift sie an den Vater, der sie aber schützt. Trotzdem wird eine Akte angefertigt, die später der Gestapo in die Hände fallen soll. Maria Therese, auch Esi genannt, wendet sich vom orthodoxen Kommunismus ab, hat als Nicht-Jüdin hauptsächlich jüdische Freunde, das jüdische Berliner Bildungsbürgertum wird ihre geistige Heimat.

Erhellend ist hier auch, wie Gottfried Paasche die diversen Soziotope Berlins in den Blick nimmt. In der frühen Nazi-Zeit geht Esi in einen Kibbuz in Palästina, bevor sie sich mit ihrem Mann länger in Japan und anschließend in den USA niederlässt. 

Die 20-Jährige Helga setzt Butzis Spitzelarbeit unerschrocken fort. Mit ihrem Freund, dem kommunistischen Agenten Leo Roth, der im Zuge des stalinistischen Terrors schließlich in Moskau ermordet wird, schafft sie Aktivisten außer Landes. Als Hitler in den Wohnräumen der Hammersteins vor ranghohen Militärs seine Germanisierungspläne für den Osten verkündet, fertigt Helga eine Abschrift des Gesprächs an, die sie an die Sowjets übermittelt.

Welche Rolle diese Tat in der Folge gespielt hat, ist nicht endgültig geklärt. Doch dass die Frauen historische Persönlichkeiten sind, ist spätestens mit Paasches Werk deutlich geworden.

In der Nachkriegszeit tauschen die Hammerstein-Schwestern, die schon bei Gestapoverhören verwechselt wurden, Teilelemente ihrer Biografien. Die in der DDR lebende Butzi heftet sich Helgas antifaschistische Erfolge ans Revers. Die in West-Berlin lebende Helga hingegen entledigt sich im Kommunismus-aversiven Westen ihrer nachrichtendienstlichen Vergangenheit.

Gerade heute, da die liberale Demokratie von vielen nicht mehr wirklich wertgeschätzt wird, wie etwa der Triumpf einer Postfaschistin bei der Parlamentswahl in Italien oder auch der neue „Deutschland-Monitor“ zeigen, erscheinen nicht zuletzt die Reflexionen der Schwestern im Hinblick auf Weimar bedeutsam.

So meint Esi, dass die Republik glanzlos daherkam, nichts Mitreißendes hatte, was aus damaliger Sicht wirklich lohnte, verteidigt zu werden. Dass dem doch so war, wurde ihr deutlich, als Deutschland – wie ihr Vater Kurt von Hammerstein zitiert wird – einen „Kopfsprung in den Faschismus“ gemacht hatte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false