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Wissen: Akademische Weihen für islamische Religion

Wie der Koran an die deutschen Unis kommt

Koran und Koranlesung, Koran-Exegese, islamisches Recht, Überlieferung und prophetische Tradition. Die Fachrichtungen, die künftig an der Universität Tübingen gelehrt werden sollen, umreißen das akademische Neuland, das die Hochschule betreten will. Mindestens sechs Professuren will die Universität mittelfristig an einem neuen Zentrum für islamische Studien einrichten. Sie werden künftig Imame und Religionslehrer ausbilden – wie auch die Unis in Münster und Osnabrück, die gemeinsam ein Zentrum aufbauen sollen.

Vom Bundesforschungsministerium (BMBF) erhalten die Hochschulen dafür bis zu vier Millionen Euro, um in den nächsten fünf Jahren Forschungsprofessuren, Mitarbeiterstellen und Nachwuchsgruppen zu schaffen. Zum Wintersemester 2011/12 soll der Studienbetrieb aufgenommen werden, kündigte der Tübinger Rektor Bernd Engler an. Die Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben bereits zugesagt, die Gründung der Zentren ebenfalls finanziell zu unterstützen – das war Voraussetzung für die Bewerbung der Universitäten beim BMBF. Im März 2011 erfolgt eine zweite Auswahlrunde, sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) am Donnerstag in Berlin. Dann solle sich die Universität Erlangen-Nürnberg erneut bewerben, deren jetzt eingereichtes Konzept überarbeitet werden müsse. Beim BMBF durchgefallen ist der Antrag der hessischen Universitäten Marburg und Gießen, die aber ankündigten, ihr Zentrum gleichwohl mit Landesmitteln gründen zu wollen.

Den Zuschlag bekam Tübingen für seine „hervorragenden strukturellen Voraussetzungen“, sagte Schavan. Die Uni verfüge über starke evangelische und katholische Fakultäten sowie über eine lange Tradition in der nichtkonfessionellen Islamwissenschaft. Diese solle als „starkes Pendant zur glaubensgebundenen islamischen Theologie“ weiter ausgebaut werden, sagte Rektor Engler.

Die Universitäten in Münster und Osnabrück haben im Gegensatz zu Tübingen bereits Erfahrung mit der Ausbildung von Islamlehrern. In Münster gibt es seit 2004 einen Studiengang, in diesem Jahr machen die ersten drei bis vier Studierenden ihren Abschluss, sagte ein Sprecher. Die Uni Osnabrück bietet seit 2007 einen Masterstudiengang Islamische Religionspädagogik an. Und vor wenigen Tagen startete dort die bundesweit erste universitäre Weiterbildung für Imame – mit einem Programm für 30 muslimische Geistliche und Seelsorgerinnen. Den endgültigen Zuschlag sollen die beiden Unis offenbar erst erhalten, wenn sie ein neues gemeinsames Konzept vorlegen.

Angestoßen wurde die Etablierung islamisch-theologischer Fachbereiche an den Universitäten vom Wissenschaftsrat. Wie auch bei den christlichen Religionen sei es notwendig, die islamische Religion universitär anzubinden, erklärte das Gremium im Januar. Die Integration stärke die kritische Selbstreflexion und fördere einen rationalen Umgang mit überlieferten Texten. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider, leitete auch die Jury, die jetzt die ersten Standorte der Zentren für islamische Studien auswählte.

Ein wichtiges Auswahlkriterium war die Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden, die die Absolventen als Imame oder Religionslehrer akzeptieren sollen. Die Bewerber mussten sich im Vorfeld Partner suchen, um an den Universitäten gemeinsame Beiräte mit den Verbänden zu gründen. In Tübingen habe es bereits intensive Gespräche unter anderem mit der Türkisch-Islamischen Union Ditib, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde, und mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg gegeben, sagte Rektor Engler. Osnabrück kooperiert mit dem „Runden Tisch Niedersachsen“, an dem die sechs großen islamischen Verbände des Landes vertreten sind.

Wie konfliktreich die Verständigung mit den Glaubensgemeinschaften sein kann, zeigte der Fall von Sven Kalisch, der seit 2004 die Religionslehrerausbildung in Münster leitete. Nachdem er öffentlich Zweifel an der historischen Existenz des Propheten Mohammed geäußert hatte, kündigte der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland 2008 seine Mitarbeit im Beirat des Centrums für Religiöse Studien auf. Im Juli dieses Jahres wurde ein Nachfolger berufen, Kalisch bekam eine andere, nicht-theologische Professur. Amory Burchard

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