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Albert O. Hirschman (1915 - 2012)

© Fotograf unbek.; Shelby White and Leon Levy Archives Center, Institute for Advanced Study, Princeton, NJ, USA

Albert O. Hirschman: Grenzgänger der Ökonomie

Albert O. Hirschman wurde 1915 in Berlin geboren, ging hier zur Schule und nahm ein Studium auf. 1933 floh er vor dem Naziterror. In den USA wurde er zu einem renommierten Soziologen und Ökonomen - und kehrte als Gast nach Berlin zurück. Jetzt starb Hirschman 97-jährig bei Princeton.

Kaum eine Stadt dürfte so viel Anlass haben wie Berlin, an ihn zu erinnern. Denn Albert O. Hirschman, der jetzt in der Nähe von Princeton im Alter von 97 Jahren gestorben ist, war in Berlin geboren, in der Nähe des Potsdamer Platzes. Und hier, im Wissenschaftskolleg, vollzog der Emigrant als Fellow des Jahrgangs 1990 seinen, wie er schrieb, „Wiedereintritt in deutsche Politik und Geschichte“. Und zwar anhand eines Buches, das der Ökonom und Soziologe bereits 1970 geschrieben hatte, welches in der Zeit der Wende aber eine erstaunliche Aktualität als Beitrag zur Erklärung des Zusammenbruchs der DDR bekam. Denn „Exit, Voice and Loyalty“ („Abwanderung und Widerspruch“) öffnete den Blick dafür, dass es das Zusammenwirken von Massenabwanderung und Widerstand war, das 1989 Geschichte schrieb.

Hirschman hat sich immer wieder im Wissenschaftskolleg aufgehalten. Unvergessen sind vielen die Begegnungen mit einer herausragenden Persönlichkeit, mit einem Sozialwissenschaftler, den Wolf Lepenies, der damalige Rektor, einen „Klassiker zu Lebzeiten“ nannte. Und mit einer Biografie, in der sich die dramatischen Brüche der Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegelten. Denn Hirschmans Leben für die Wissenschaft verband sich stets mit politischem Interesse und mutigem Engagement.

Der Absolvent des Berliner Französischen Gymnasiums musste 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen. In „acht langen, schwierigen und abenteuerlichen Jahren“ – wie sich Hirschman einst erinnerte – studierte er in Paris, London und Triest, mischte sich aber auch in die realen Konflikte der Epoche ein: Er nahm auf republikanischer Seite am spanischen Bürgerkrieg teil, beteiligte sich im Italien Mussolinis am Untergrund und schloss sich nach Kriegsausbruch der französischen Armee an. Vor allem aber trug er die wagemutigen Aktionen mit, mit denen der amerikanische Journalist Varian Fry vom unbesetzten Marseille aus deutschen Emigranten in letzter Minute die Flucht aus Europa ermöglichte. Die Zusammenarbeit mit dieser legendären Gestalt, an die inzwischen ein Straßenname am Potsdamer Platz erinnert, empfand Hirschman als so etwas wie einen Höhepunkt seines Lebens.

1941 erreichte er das rettende Ufer Amerikas, und aus dem Deutschen Otto Albert Hirschmann wurde der Amerikaner Albert O. Hirschman. Nach dem Krieg arbeitete er zeitweise als Übersetzer für die amerikanische Armee, war an der Erarbeitung des Marschallplanes beteiligt und ging für den Federal Reserve Board nach Lateinamerika. Aber berühmt wurde er als eine der großen Gestalten der Sozialwissenschaften mit Lehrstühlen an den bedeutendsten amerikanischen Universitäten – Columbia, Harvard und Yale. 1974 wurde er schließlich Mitglied des Instituts for Advanced Study in Princeton.

Hirschman faszinierte als Grenzgänger zwischen Ökonomie und Sozialwissenschaften. In seinem Werk nähern sich die von Empirie und Theorie überwältigten Sozialwissenschaften wieder den „moral sciences“ an, den Wissenschaften von den Sitten und Einstellungen der Menschen in ihren Gesellschaften, die sie in ihren Anfängen waren. Dem entsprach die offene, skeptische und experimentelle Denkweise, die ihm nachgerühmt wurde. Eine Schule hat Hirschman nicht gegründet. Aber er bleibt als Person und Wissenschaftler eine denkwürdige Erscheinung, die Zeugnis abgelegt hat für den Weg eines Intellektuellen durch das vergangene Jahrhundert.

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