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Nützliche Fassade. Der Photobioreaktor in Schöneberg enthält 1200 Liter Wasser, in dem Algen wachsen. Gefüttert werden sie mit Kohlendioxid und Dünger. Alle zwei Wochen wird geerntet.

© dpa/Sophia Kembowski

Algenzucht: Lebensmittel von der Hauswand

Algen verwerten Kohlendioxid und liefern Rohstoffe. Eine Anlage in Berlin soll die Technik weiter voranbringen. Die Produkte können vor Ort probiert werden.

Algen gelten als „Rohstoff der Zukunft“. Sie wachsen viel schneller als Nutzpflanzen an Land und enthalten viele Proteine und einige andere Substanzen, die in verschiedenen Branchen von der Pharma-Industrie bis zu Aquakulturen für die Fischzucht begehrt sind. Leider schwimmen die winzigen, nur aus einer einzigen Zelle bestehenden Mini-Algen relativ dünn verteilt im Wasser. Sie aus natürlichen Gewässern zu holen, rentiert sich daher kaum. In speziellen Bioreaktoren gelingt die Zucht von Algen schon besser. Eine solche Anlage wurde jetzt am Euref-Campus in Berlin-Schöneberg aufgebaut. Am heutigen Montag soll sie von der Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer offiziell eingeweiht werden.

Nach Angaben des Herstellers Mint Engineering aus Dresden handelt es sich um die weltweit erste „tubuläre Anlage im urbanen Raum“ – auf Deutsch: Röhren, die platzsparend an einer Wand befestigt sind und daher auch keine große und teure Grundstücksfläche erfordern. Die sechs Zentimeter dicken Röhren haben zudem den Vorteil, dass das einfallende Sonnenlicht einen relativ großen Teil der Algenlösung erreicht und es keine „dunklen Ecken“ gibt.

Kohlendioxid aus Verbrennungsanlagen soll verwertet werden

So soll erreicht werden, dass die Einzeller schnell wachsen. Dabei handelt es sich um die Art Chlorella vulgaris, die für die Herstellung von Lebensmitteln zugelassen ist. Auch wenn die Anlage erst einmal nur zeigen soll, wie Algenzucht mitten in einer Siedlung funktionieren kann, sollen die winzigen, kaum einen Hundertstel Millimeter kleinen Pflanzen nach der Ernte in einem Restaurant verspeist werden. „In Europa mag ein solches Lebensmittel noch ungewohnt klingen, in Ländern wie Japan werden Algen schon lange gegessen“, sagt die Biologin Marcella Langer von der Firma Mint Engineering.

Neben Sonnenlicht als Energiequelle benötigen die Algen wie jede andere Pflanze auch Kohlendioxid als wichtigsten Baustoff. Dazu wird mit Kohlendioxid angereicherte Luft in die Rohre gepumpt, die an einer Wand auf der Sonnenseite eines Hauses installiert sind. „Wir setzen hier herkömmlich produziertes Kohlendioxid ein, für spätere Konstruktionen wollen wir Kohlendioxid aus Verbrennungsanlagen einleiten“, sagt Pit Elstermann, der bei Mint für Technologie zuständig ist. Damit würde das Treibhausgas aus Kohle- und Gaskraftwerken oder aus Blockheizkraftwerken in Gebäuden gar nicht erst in die Luft gelangen und könnte dort auch nicht das Klima beeinflussen.

In einer halben Stunde durch die 700 Meter lange Leitung

Die eingepumpte Luft treibt auch den Wasserkreislauf mit an – neben einer herkömmlichen Pumpe. Bei einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 Zentimetern in der Sekunde brauchen die 1200 Liter eine knappe halbe Stunde für eine Runde durch die 700-Meter-Leitung. Die Algen haben also viel Zeit zum Tanken von Sonne und zum Wachsen. Gleichzeitig ist das Tempo hoch genug, um die Winzlinge in der Schwebe zu halten, damit sie nicht auf den Boden sinken.

Neben Kohlendioxid und Sonnenlicht brauchen die Algen wie alle Pflanzen auch noch Dünger, der Stickstoff und Phosphor enthält, sowie Spurenelemente wie zum Beispiel Magnesium. Ist all das vorhanden, können sie kräftig an Masse zulegen – insgesamt gut ein Kilogramm pro Tag. Im Sommer sollen sie alle zwei Wochen geerntet werden.

In einer Zentrifuge werden die Minipflanzen dann zu einer Algenpaste konzentriert, die zu Lebensmitteln verarbeitet werden kann. „Weil bestimmte Algen reichlich Omega-3-Fettsäuren und Proteine produzieren, eignen sie sich auch als Futter für Aquafarmen“, nennt die Biologin Marcella Langer ein weiteres Einsatzgebiet. Statt wie bisher Fischmehl oder Fischöl, fressen die Tiere dort dann Algen und erhalten so die wichtigen Omega-3-Fettsäuren, die gleichzeitig Fische zu einem gesunden Nahrungsmittel machen. Aus Algen können noch weitere Rohstoffe gewonnen werden, die zum Beispiel als Bindemittel in Joghurt oder zum Stabilisieren von Zahnpasta oder Margarine eingesetzt werden.

Ein "Molch" kratzt die Wände sauber

„Nach der Ernte entkalken wir die Anlage mit Zitronensäure“, erklärt Langer weiter. Hartnäckige Verkrustungen an den Rohrwänden können mit einem ,Molch’ genannten Gerät entfernt werden. Das ist ein Reinigungsgerät, das genau in das Rohr passt und von der Wasserpumpe getrieben auf der gesamten Länge der Leitungen den Schmutz von den Wänden kratzt.

Algentechnikum bei München
Algentechnikum bei München

© picture alliance / dpa

Sollen die gleichen Algen anschließend weitergezüchtet werden, wird der Kreislauf mit einem kleinen Teil der Lösung aus der vorherigen Runde neu gestartet. Alternativ kann – nach einer gründlichen Desinfektion – auch die Alge Haematococcus pluvialis eingesetzt werden. Daraus wird der Farbstoff Astaxanthin gewonnen, der zum Beispiel Krabben beim Kochen ihre rote Farbe verleiht, aber von Algen und Tieren auch als Sonnenschutz verwendet wird.

Algen passend zur Jahreszeit

Haematococcus pluvialis wächst auch bei niedrigen Temperaturen und ist daher für die kalte Jahreszeit interessant. „Chlorella vulgaris wollen wir dagegen in der wärmeren Zeit bis Oktober oder November züchten“, sagt Langer. „Diese Algen haben auch Wassertemperaturen von 44 Grad Celsius ausgehalten, die wir bei einer kurzen Hitzeperiode Ende Juni erreicht haben“, ergänzt Elstermann. Für den Klimawandel scheint die Anlage also ebenfalls gerüstet zu sein.

„Und sie könnte durchaus am Markt erfolgreich sein“, sagt Andreas Müller, der am Forschungszentrum Jülich mehrere Projekte managt, die zum Beispiel die Herstellung von Flugzeugkerosin aus Algen bewerten. Zumindest für diesen Einsatz rechnet sich der Aufwand meist noch nicht. „Trotzdem haben Algen auch hierzulande ein großes Potential“, ist Müller überzeugt.

Er denkt dabei an ihre wertvollen Inhaltsstoffe oder eine Verwendung als Nahrungsmittel, die bisher aus Nutzpflanzen gewonnen werden. Letztere wurden in vielen Jahrhunderten gezüchtet, bei Algen fehlt diese lange Erfahrung noch.

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