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© Keystone

Alkohol: Gehirn ohne Bremse

Wie Alkohol den Süchtigen gefügig macht. Beim Trinken werden zahlreiche verschiedene Hirnzentren "verschmutzt".

Alkohol ist eine „schmutzige“ Droge. Er beschränkt sich nicht fein säuberlich auf einen bestimmten Bereich des Gehirns, sondern „verschmutzt“ zahlreiche verschiedene Hirnzentren. Dementsprechend „vielseitig“ sind die Effekte: Alkohol berauscht, macht euphorisch, depressiv, friedfertig, aggressiv, putscht auf, betäubt. Wie es dem Alkohol gelingt, das Gehirn gefügig zu machen, darüber sprach der Suchtexperte Andreas Heinz von der Charité im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kosmos und Mensch“ am Sonntag im Berliner Gorki-Theater.

„Warum werden Menschen alkoholabhängig?“ fragte Heinz zunächst das Auditorium und stellte drei Antworten zur Wahl: Genusssucht, Willensschwäche oder Trinkfestigkeit. Zur Überraschung der meisten ist es die Trinkfestigkeit, die offenbar den Weg in die Sucht ebnet. Es gibt Menschen, die Alkohol von Natur aus gut vertragen – jedenfalls scheinbar. Weil Nebenwirkungen wie Lallen, Übelkeit oder Katersymptome bei ihnen geringer ausgeprägt sind, trinken sie mehr und werden leichter abhängig.

Ironischerweise sind also gerade jene Menschen in Gefahr, die verwundert feststellen, dass sie vom Alkoholkonsum keinen dicken Kopf bekommen. Damit fällt ein Warnsignal weg. „Beim Komatrinken werden genau jene Jugendliche sozial belohnt, die besonders gefährdet sind, Alkoholiker zu werden“, erläuterte Heinz – eben die, die „viel vertragen“. Wer andere unter den Tisch trinkt, gilt als cool.

Das Risiko, alkoholabhängig zu werden, ist uns zur Hälfte in die Wiege gelegt. Einer der genetischen Risikofaktoren ist offenbar ein gestörter Stoffwechsel des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Menschen, die anlagebedingt besonders viele Serotonin-Transporter herstellen – ein spezielles Eiweiß, das Serotonin aus dem Stoffwechsel entfernt – sind bedrohter. Kreist weniger Serotonin im Gehirn, schlägt auch der dämpfende Botenstoff Gaba nicht mehr so richtig an. Die Folge: Das Gehirn ist ohne die Gaba-Bremse buchstäblich enthemmt. Wie ein Auto, das Vollgas fährt. Als Ersatzbremse dient dann das Beruhigungsmittel Alkohol.

Mit leider oft dauerhaften Folgen für den Körper. Trinken lässt die Hirnrinde schrumpfen. Aber es verändert auch das biochemische Gleichgewicht zwischen Dämpfung (durch den Botenstoff Gaba vermittelt) und Erregung (durch den Botenstoff Glutamat übertragen) in unserer Denkzentrale. Durch den chronischen Alkoholmissbrauch wird das Botenstoffsystem des Gehirns noch mehr in Richtung „überwach“ verschoben. Damit gleicht das Gehirn die betäubende Wirkung des Alkohols aus.

Beim Alkoholentzug kann dieses Gegensteuern zur Gefahr werden. Denn fällt die Alkoholbremse weg, rutscht das Gehirn in den Zustand der Übererregung. Hyperaktivität, Schweißausbrüche, Kreislaufprobleme bis hin zu Krampfanfällen sind häufig die Folge – und ein Anlass, um sich mit Alkohol erneut zu betäuben.

Etwa ein Drittel der Alkoholkranken leidet stark unter diesen Entzugszeichen, berichtete Heinz. In solchen Situationen können sie auch nach dem eigentlichen Entzug noch rückfällig werden. Dieser Gruppe von Abhängigen kann unter Umständen mit dem Wirkstoff Acamprosat („Campral“) geholfen werden – er bremst das übererregte Gehirn ebenfalls und senkt so die Gefahr eines Rückfalls.

Auch der Stoffwechsel des Dopamins, des „Hormons der Vorfreude“ (Heinz), ist bei Alkoholikern nicht mehr im Gleichgewicht. Das Überfluten des Gehirns mit dem Suchtstoff lässt die Vorfreude auf andere Dinge als den Alkohol schwinden. Ebenso wie die Lust darauf, Neues zu lernen. „Der Alkoholabhängige klebt am Alten“, sagte Heinz. Er muss also ermuntert werden, etwas Neues wie eine Selbsthilfegruppe auszuprobieren. Wenn er das aber erst einmal tut, kann den meisten geholfen werden.

„Organtransplantation im Wandel der Zeit“ lautet das nächste Thema in der Reihe „Kosmos und Mensch“ im Gorki-Theater. Es spricht der Transplantationsexperte Ulrich Frei von der Charité. Termin: 2.12. um 11 Uhr. Eintritt frei.

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