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Pro-Palästinensischer Protest vor der UdK vor einer Woche. Natürlich werden Räume gebraucht, in denen Empathie für unterschiedliche Gruppen möglich ist, schreibt Marlene Schönberger. Doch an der UdK wurde zuvor auch schon ein antisemitisches Massaker glorifiziert

© picture alliance / PIC ONE/Christian Ender

Antisemitismus und Hochschulen: Ein progressives Selbstverständnis allein reicht nicht

Zu lange haben auch deutsche Unis nicht angemessen reagiert, wenn es zu Antisemitismus kam. Sie müssen nun sicherstellen, dass alle Menschen in Sicherheit studieren und forschen können.

Ein Gastbeitrag von Marlene Schönberger

Universitäten gelten als Orte, die von Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit geprägt sind. Groß ist dann die Verwunderung, wenn es an Universitäten zu antisemitischen Vorfällen kommt – und sie wird noch größer, wenn es sich um progressive Einrichtungen handelt. So, wie es besonders Kunsthochschulen ihrem eigenen Verständnis nach in der Regel sind. Dort wird die künstlerische Avantgarde der Zukunft ausgebildet. Menschen, die unsere Kunst- und Kulturlandschaft prägen werden. 

Am 13. November zeigte eine Performance an der Universität der Künste in Berlin, wie weit dieser Anspruch und die Realität auseinanderklaffen können: Rund 100 Studierende der Universität fanden sich zusammen, um den im Gaza-Streifen sterbenden Palästinenser*innen zu gedenken.

Das ist natürlich im Grunde vollkommen legitim. Wir brauchen Räume, in denen Empathie für unterschiedliche Gruppen möglich ist – auch wenn ich mir solch eine Empathie für die 1.200 Ermordeten und über 200 Geiseln des Angriffs der Terrororganisation Hamas gegen Israel ebenfalls gewünscht hätte.

Doch plötzlich hielten die Studierenden blutrot bemalte Hände in die Luft. Das mutmaßliche Vorbild der Performance? Der sogenannte Lynchmord von Ramallah, bei dem sich die israelischen Reservisten Vadim Nurzhitz und Yossi Avrahami während der Zweiten Intifada in Ramallah verirrt hatten, erst von der Polizei aufgegriffen und später durch einen Mob bestialisch misshandelt und ermordet wurden. Und da waren sie: die roten Hände. Einer der Mörder streckte sie in die Luft.  

Antisemitische Äußerungen in Studierendenparlamenten

Was sagt es über unseren akademisch-künstlerischen Nachwuchs aus, wenn das die Vorbilder sind, die man für eine Performance wählt? Sicherlich beteiligte sich nur ein Bruchteil der Studierenden an der Aktion. Sicherlich kannten nicht alle den Ursprung der Symbolik. Und doch wurde relativ widerstandslos ein antisemitisches Massaker glorifiziert. Dabei wäre offener Widerspruch so wichtig – auch um zu zeigen, wo die Grenze zwischen legitimem Protest auf der einen, und antisemitischer Agitation und Glorifizierung der Hamas auf der anderen Seite verläuft.  

Nun gab es Wissenschaftler*innen, die auf X (ehemals Twitter) andeuteten, es wäre bezüglich Antisemitismus an Hochschulen eine übertriebene Panikmache zu beobachten. Dabei handele es sich doch angeblich um Einzelfälle.

Ist das so? Tatsächlich meldeten sich bundesweit jüdische Studierende zu Wort. Sie sprachen über israelfeindliche Kundgebungen, über antisemitische Äußerungen in Studierendenparlamenten und judenfeindliche Kommentare in WhatsApp-Gruppen. In München wurde ausgerechnet der Geschwister-Scholl-Platz vor der Universität zum Ort einer antisemitischen Demonstration.  

Dass Antisemitismus – und insbesondere seine israelbezogene Ausdrucksform – unter akademisch gebildeten Menschen äußerst verbreitet ist, wissen wir unter anderem aus der Forschung der Linguistin Monika Schwarz-Friesel. Sie weist regelmäßig darauf hin, dass der Antisemitismus historisch schon immer ein Reservoir in den „Schreibstuben der Theologen, Philosophen, Juristen“ hatte, „bevor er sich flächendeckend ausbreitete“. Die Gewalt wurde erst erdacht und verbal vorbereitet, ehe sie sich in den Lynchmob auf der Straße übersetzte.

Schwarz-Friesel kommt zu dem Schluss, dass es die „überdurchschnittlich Gebildeten und Vertreter der kulturellen Eliten sind“, welche auch mittels Umwegkommunikation den „größten Einfluss auf die Akzeptanz, Verbreitung und Artikulation von Alltagsantisemitismus haben“. Erklärt wurde dieses Phänomen bereits vor über 70 Jahren von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die feststellten, dass der Antisemitismus die Kraft habe, selbst fortschrittliche Menschen „in den Bann eines jeglichen Despotismus“ zu ziehen. 

Viel zu lange wurden die Erfahrungen jüdischer Studierender ignoriert.

Marlene Schönberger

Viel zu lange wurden die Erfahrungen jüdischer Studierender ignoriert. Viel zu lange haben auch Hochschulen nicht angemessen reagiert, wenn es zu Antisemitismus kam. Dabei hatten Studierendenverbände bereits 2019 ein klares Zeichen gesetzt: Auf der Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz unterzeichneten etwa das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zusammen mit den großen demokratischen Hochschulgruppen die Resolution „Gegen BDS und jeden Antisemitismus“.

In dieser erklärten sie, gemeinsam für das Existenzrecht Israels einzutreten und Antisemitismus in all seinen Formen als Bedrohung für jüdisches Leben anzuerkennen. Auch die Hochschulrektorenkonferenz zog 2019 nach: Sie verabschiedete eine Entschließung, in der man sich für die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) stark machte und deren Umsetzung an „allen Hochschulstandorten“ forderte. In dem Beschluss wird klar gefordert, dass „jüdisches Leben auf dem Campus […] nicht gefährdet sein“ dürfe und „jüdische Forscherinnen und Forscher, Lehrende und Studierende […] sich an allen Hochschulen sicher fühlen können“ müssten. 

Der Aktionsplan der KMK ist ein wichtiges Signal

Angesichts der fatalen Lage an deutschen Hochschulen hat auch die Kultusministerkonferenz in ihrer Sitzung am 12. Oktober erneut nachgelegt. Sie drückte nicht nur Solidarität mit den Betroffenen des Hamas-Terrors vom 7. Oktober aus, sie zeigte sich auch besorgt über die deutliche Zunahme antisemitischer und israelfeindlicher Vorfälle sowie die teils skrupellos vorgetragenen öffentlichen Sympathiebekundungen für die Hamas.

Der daraufhin von den Minister*innen verabschiedete Aktionsplan gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit ist in dieser angespannten Bedrohungslage ein wichtiges Signal. Am Ende wird es auf seine Umsetzung ankommen. 

Die dramatischen Zustände an unseren Universitäten sind dabei noch nichts im Vergleich zu der antisemitischen Hetze, die wir an US-amerikanischen Hochschulen beobachten müssen. Uns muss aber bewusst sein: Die Bestrebungen antizionistischer Akteur*innen, diese auch hier zu befeuern, sind bereits im Gange.

Diese Entwicklung muss uns eine Warnung sein, frühzeitig zu handeln. Die Hochschulen sind gefordert, die Empfehlungen des Aktionsplanes gemeinsam mit den Ministerien der Länder und des Bundes umgehend umzusetzen und sicherzustellen, dass alle Menschen an Universitäten in Sicherheit studieren und forschen können. Ein progressives Selbstverständnis allein reicht nicht.  

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