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Wissen: Aufklärung online

Eine Großfakultät der Harvard-Universität will alle Arbeiten ihrer Forscher kostenlos ins Netz stellen

Die Harvard-Universität geht einen weiteren Schritt als Online-Pionierin der Wissenschaft. Vor zwei Jahren machte die Bostoner Eliteuni mit der Entscheidung Furore, weite Teile ihrer umfangreichen Bibliotheksbestände ins Netz zu stellen. Jetzt beschloss die Großfakultät für Arts and Sciences, dass künftig alle wissenschaftlichen Aufsätze von Fakultätsmitgliedern auf einer universitätseigenen Internetplattform kostenfrei zugänglich sein sollen.

Viele US-Universitäten haben in den letzten Jahren verschiedene solcher Open-Access-Verfahren auf den Weg gebracht. Harvard aber will die hausinterne Onlinepublikation fortan zur Regel machen. Das Urheberrecht der Verfasser bleibt davon unangetastet, wie die New York Times berichtet. Veröffentlichungen in akademischen Zeitschriften, Sammelwerken und anderen Medien seien nicht nur nach wie vor möglich, sondern ausdrücklich erwünscht.

Man wolle das Potenzial des Internets, Wissenschaft zu kommunizieren, besser nutzen, den Informationsaustausch zwischen Wissenschaftlern fördern und der nichtakademischen Öffentlichkeit den Zugang zu Wissenschaft und Forschung erleichtern, heißt es in einer Pressemitteilung der Fakultät, in der Geistes- und Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften und Informatik vereint sind. Das sei aber auch eine Reaktion auf das Geschäftsgebaren kommerzieller Wissenschaftsverlage. Weil diese astronomische Preise für Zeitschriftenabonnements verlangen und Autoren häufig mit weit gehenden Einschränkungen ihrer Rechte konfrontieren würden, stünden sie dem Fortschritt der Wissenschaft zunehmend im Wege, wird der Harvard-Informatikprofessor Stuart M. Shieber zitiert.

Ähnlich äußert sich Robert Darnton, der Direktor der Harvard-Bibliotheken in einem Gastkommentar in der Hochschulzeitung „Harvard Crimson“. In der Vergangenheit habe man wegen der Preispolitik der marktdominierenden Zeitschriftenverlage auf die Anschaffung von Monografien zunehmend verzichten müssen – mit folgenschweren Auswirkungen auf die gesamte Wissenschaftslandschaft. Zwar sei es naiv zu glauben, dass der Beschluss der Fakultät unmittelbare Auswirkungen auf die Geschäftspolitik kommerzieller Verlage haben könnte, schreibt Darnton. Als Signal, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft zukünftig wieder mehr Kontrolle über ihre Arbeit und deren Verwendung ausüben wolle, sei das neue Verfahren aber ein bedeutsamer Schritt zur dringend erforderlichen Reform des wissenschaftlichen Publikationswesens.

Markiert die Entscheidung der Harvard-Universität also den Durchbruch der von vielen Experten schon seit Jahren prognostizierten Verringerung der Marktabhängigkeit wissenschaftlichen Publizierens? Stehen die USA vor einer Wiederaneignung des Publikationswesens durch die Wissenschaft? Das Online-Fachportal Inside Higher Ed warnt vor voreiligen Schlüssen. Die Verlagerung von Teilen des Publikationsprozesses weg von kommerziellen Verlagen, hin zu Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Institutionen, berge erhebliche Risiken.

Kommerzielle Verlage spielen im gewachsenen System der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle als „Türsteher“ eine entscheidende Rolle. Es sei unklar, wie Harvards Arts-and-Sciences-Fakultät zukünftig ein bestimmtes Maß an Qualitätssicherung, sowie die Verlässlichkeit von publizierten Informationen gewährleisten wolle.

Darüber hinaus wenden Leser des Webportals ein, dass die Harvard-Fakultät sicherlich nicht nur aus selbstlosen Motiven gehandelt hätte. Die Entscheidung, sich den Erstzugriff auf die wissenschaftlichen Publikationen ihrer Mitarbeiter zu sichern, sei nicht zuletzt ein weiterer Schritt der renommierten Universität, sich im globalen Wissenschaftsmarkt zu positionieren, schreibt ein Leser und prophezeit, dass Harvards Online-Veröffentlichungsoffensive schon aus diesem Grund innerhalb kürzester Zeit Schule machen dürfte. Johannes Novy

Johannes Novy

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