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Ausstellung: Von Diphtherie bis Duell

Sonderausstellung im Medizinhistorischen Museum der Charité erlaubt eine „Visite im Depot“.

Eine Kette aus aufgefädelten Zähnen, die einst einem Barbier gehörte; ein rostiger Käfig, in dem einmal Ratten als Versuchstiere gehalten wurden; diverse Zangen und Scheren. In den Regalen liegen auch halb geöffnete Kartons, in die die Kuratorinnen bisher nur einen ersten Blick werfen konnten. Möglicherweise bergen sie Schätze, die noch zu heben sind. So präsentiert sich die Sonderausstellung „Visite im Depot“ im Medizinhistorischen Museum der Berliner Charité.

Alle Exponate stammen aus den Depots des Museums, alle haben sie mit Medizin in Berlin und mit der Charité zu tun. Nun sind sie dort in einem Ambiente zu besichtigen, das dank der lockeren Anordnung der Gegenstände, zu denen auch Fahrradergometer oder Röntgengeräte vergangener Jahrzehnte gehören, selbst an ein Museumsdepot erinnert. Eine beiläufig wirkende, kunstvolle Inszenierung. Sie lädt Besucher ein, die Gedanken schweifen zu lassen – weit über die Geschichte der Heilkunst hinaus.

Derzeit besinnen sich viele Museen auf ihren reichen Fundus. „Bei universitären Sammlungen wie der unseren kommt hinzu, dass sie einen Teil der Forschungsinfrastruktur bilden und auch der Lehre dienen“, sagt der Museumsdirektor Thomas Schnalke. Das gilt etwa für Präparate mit Gehirnschnitten. Sie können heute, Jahrzehnte nach dem Tod der Menschen, zu deren Körper die Gehirne gehörten, für exakte Diagnosen genutzt werden, die damals noch nicht möglich waren.

Der wissenschaftliche Fortschritt machte auch das Gerät entbehrlich, das der Amerikaner Joseph O’Dwyer 1890 entwickelte, um vom Ersticken bedrohten Diphtheriekranken einen Luftröhrenschnitt zu ersparen. Die Wachs-Moulage eines Kinderkopfes mit geöffnetem Mund lässt erkennen, welche Verheerungen die Entzündung im Rachen der Opfer einst anrichtete. Medizinstudenten lernen das heute zum Glück vorwiegend am Modell, längst schützt eine Impfung vor der gefährlichen Krankheit.

Das Präparat einer stark verkrümmten Wirbelsäule dürften einige Besucher schon aus der Dauerausstellung des Museums kennen. Diagnose: Skoliose. Nun wird aber auch gezeigt, was in den Archiven der Charité über die Patientin selbst herauszufinden war, eine Berlinerin, die im Jahr 1894 mit 70 Jahren starb. Ein Studierender hat sich im Rahmen einer Hausarbeit detektivisch dem Fall gewidmet, der im alten Laborbuch unter der laufenden Nummer 10641a auftaucht.

Eine Kostbarkeit sind die Lederbände mit Sektionsprotokollen. Der Band zum Jahrgang 1875 konnte vor einiger Zeit dank Sponsoren restauriert werden. Ein Projekt zu einem weiteren Band läuft derzeit. Die Bände zeugen nicht zuletzt vom Wirken Rudolf Virchows, dessen umfassende Sammlung pathologisch-anatomischer Präparate den Grundstock des Museums bildet. In der Ausstellung ist jetzt erstmals ein Dokument aus Virchows Leben zu sehen, über dessen Entdeckung Kuratorin Petra Lennig vor zwei Jahren im Buch „Der zweite Blick“ berichtete: Auf vergilbtem Papier finden sich die Namen von über 700 Berliner Bürgern, mit Berufsbezeichnung und Adresse.

Das Werk, in grünes Leder gebunden, wurde Virchow am 9. Juni 1865 von einer Delegation der Unterzeichner überreicht – zum Dank dafür, dass der Abgeordnete der Fortschrittspartei als „freier und unerschrockener Mann“ einer Aufforderung des damaligen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck zum Duell nicht nachgekommen war. Virchow hatte in einer Rede im Parlament Bismarcks Wahrhaftigkeit in Zweifel gezogen, was der als persönliche Ehrverletzung empfand. Nicht allein in der Medizin, auch in der Politik haben sich die Gepflogenheiten geändert.

Die Ausstellung „Visite im Depot“ ist bis zum 22. September 2013 dienstags, donnerstags, freitags und sonntags von 10 bis 17 Uhr sowie mittwochs und samstags von 10 bis 19 Uhr geöffnet.

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