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Privilegiert. Das hohe Prestige der US-Wissenschaft hilft.

© Imago/Imagebroker

Auswahl von Gastwissenschaftlern: Hauptsache aus den USA

Deutsche Professoren richten sich bei der Auswahl von Gastdoktoranden stark nach deren Herkunft. Wer von einer US-Uni kommt, hat viel größere Chancen als etwas Anfragen aus Asien, zeigt eine Studie.

Gastdoktorand in Deutschland werden? Die Chancen, eine Betreuerin oder einen Betreuer zu finden, hängen maßgeblich davon ab, aus welchem Herkunftsland der Doktorand stammt. Doktoranden, die an einer US-amerikanischen Universität studieren, stoßen mit ihrer Anfrage nach einem Gastaufenthalt in Deutschland auf weit größere Offenheit als solche, die aus Singapur oder Vietnam anfragen. Das haben Soziologinnen und Soziologen der Freien Universität in einer experimentellen Studie herausgefunden. Auf der Basis ihrer Ergebnisse stellen sie eine „statistische Diskriminierung auf der Grundlage der wissenschaftlichen Reputation eines ganzen Landes“ fest. Das Herkunftsland bestimme die „Mobilitätschancen“ eines Doktoranden.

Jürgen Gerhards, Silke Hans und Daniel Drewski, die ihre Ergebnisse soeben in der „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ veröffentlicht haben, verschickten fingierte Bewerbungsmails an alle 399 Soziologie-Professorinnen und -Professoren in Deutschland. Um den Einfluss des Geschlechts und der ethnischen Herkunft zu kontrollieren, simulierten sie nur männliche Bewerber und wählten jeweils einen singapurisch-chinesischen Nachnamen, den sie mit einem verbreiteten US-amerikanischen Vornamen kombinierten. So bekamen die deutschen Soziologie-Professorinnen und -Professoren im Sommer 2015 eine inhaltlich identische Mail von fiktiven Doktoranden: entweder von Jacob Chan (Yale) oder von Michael Chia (National University of Singapore) oder von Christopher Tan (Penn State) oder von Justin Chua (National University of Vietnam, Hanoi).

Yale, Penn State, Singapur oder Hanoi?

Diese vier Universitäten hatten die Forscher nach verschiedenen Rankings so ausgesucht, dass sich bei der Analyse der Antworten zeigen würde, ob die Reputation des Herkunftslandes des Doktoranden für die Reaktion der Professoren bedeutsamer ist als die Reputation der Universität. So liegt Yale als ganze Einrichtung zwar im Reputationsranking vor Penn State. Aber im Reputationsranking der soziologischen Institute liegt Penn State deutlich vor Yale. Und die Uni Singapur liegt im Ranking ganzer Unis deutlich vor Penn State.

54 Prozent der Professorinnen und Professoren ignorierten die Mail, 7,5 Prozent lehnten die Betreuung ab. 0,5 Prozent sagten einer Betreuung zu. Die meisten, fast 38 Prozent, bekundeten ihr grundsätzliches Interesse und baten um weitere Informationen. Unter diesen waren eher jüngere Professoren, vor allem aber deutlich mehr Professoren, die selbst im Ausland geboren wurden oder ihr Studium im Ausland abgeschlossen haben.

Deutlich mehr positive Antworten entfielen dabei auf die beiden fiktiven Bewerber aus den USA (47 Prozent). Der Yale-Doktorand erhielt dabei noch mehr zustimmende Antworten (51 Prozent) als der Doktorand von Penn State (44 Prozent). Die Anfragen der Doktoranden aus Hanoi und Singapur wurden meist abgelehnt (70 beziehungsweise 71 Prozent).

Das Herkunftsland entscheidet

Das Herkunftsland entscheidet also maßgeblich über die Chancen eines Bewerbers. Hilfreich ist für die Rangordnung innerhalb der USA aber das Prestige der Herkunftsuni: „Das Prädikat ,Ivy League‘ scheint international eine höhere Ausstrahlungskraft zu besitzen als die tatsächliche Forschungsleistung des entsprechenden Instituts, selbst innerhalb von Fachkreisen“, schreiben die Forscher. Dass die Uni Singapur im Ranking weit vor der Penn State University liegt, ist für die deutschen Professoren kein Grund, dem Doktoranden von Singapur bei der Betreuung den Vorzug zu geben.

Besonders Frauen, im Ausland Geborene, Forschungstärkere, Ältere und Professoren in der höchsten Besoldungsstufe favorisierten den Bewerber aus Yale, stellten die Forscher zu ihrer eigenen Überraschung fest. „Offenbar geht mehr Erfahrung nicht mit einer höheren Wertschätzung der fachlichen Qualität der Herkunftsinstitute einher, wie wir ursprünglich angenommen hatten.“

Wie von den Forschern erwartet, antworteten die Soziologie-Professoren den Bewerbern der beiden US-Unis auch verbindlicher als denen aus Asien. Die US-Doktoranden erhielten Antworten, aus denen stärkeres persönliches Interesse und mehr emotionale Begeisterung sprach, etwa: „This sounds very interesting, please tell me more“, auch fallen verstärkt Adjektive wie „open“, „happy“ oder „great“. Offenbar würden die Hochschullehrer aufgrund der hierarchischen Gliederung der internationalen Hochschullandschaft, in der das deutsche Hochschulsystem hinter dem amerikanischen, aber vor den verschiedenen asiatischen rangiert, mit Bewerbern aus den USA gleichsam auf Augenhöhe und mit asiatischen Bewerbern „nach unten“ kommunizieren.

"Eine Promotion an einer prestigeträchtigen Uni lohnt sich"

Aus allem folgern Gerhards, Hans und Drewski: „Eine Promotion an einer prestigereichen Universität wie Yale lohnt sich.“ Unabhängig von der individuellen Leistung eines Doktoranden würde das Prestige einer solchen Universität abfärben und könne in Vorteile konvertiert werden, etwa in einen Forschungsaufenthalt in Deutschland. Dies gelte auch dann, wenn die soziologischen Institute dieser Unis in Rankings schlechter abschneiden als die Institute an weniger prestigereichen Hochschulen. Vor allem gilt: „Man muss im ,richtigen‘ Land promovieren.“ Selbst wenn die Uni Singapur in Rankings inzwischen weit vorne stehe, werde sie von deutschen Hochschullehrern weiter in einen Topf mit der wissenschaftlich weit unbedeutenderen Uni Hanoi geworfen.

Die festgestellte Diskriminierung der Bewerber könne dann noch die höchste Legitimität für sich beanspruchen, wenn die Bewerber anhand ihres Herkunftsinstituts beurteilt werden. Schließlich könne man davon ausgehen, dass die Forschungsleistung eines soziologischen Instituts die fachliche Qualität ihrer Doktoranden mitbestimmt. Die Auswahl der Doktoranden nach der wissenschaftlichen Reputation eines ganzen Landes könne hingegen den geringsten Grad an Legitimität für sich beanspruchen – sie habe schließlich am wenigsten mit dem individuellen Forschungsprofil eines Doktoranden zu tun.

In der Wissenschaft soll alleine Leistung darüber entscheiden, wer vorankommt. Dass für deutsche Hochschullehrer die Herkunft dennoch das entscheidende Merkmal ist, um einem Gastdoktoranden freundliches Interesse zu signalisieren, nennen die Forscher „problematisch“.

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