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Dank E-Books bräuchte niemand mehr lange Wege in und durch die Bibliotheken nehmen. Doch bislang können nur Uniangehörige E-Books unbegrenzt ausleihen. In Stadtbibliotheken gibt es - ganz wie beim Papierbuch - nur eine begrenzte Zahl von Dateien auszuleihen.

© picture alliance / dpa

Beschränkte E-Books in Bibliotheken: Die Datei ist leider verliehen

Dürfen Bibliotheken unbeschränkt E-Books anbieten? Viele Verlage sperren sich dagegen. Das hat für die Leser teilweise absurd anmutende Folgen.

Früher war die Sache einfacher. Als Bücher noch ausschließlich auf Papier gedruckt wurden, wusste jeder, was man alles mit ihnen anstellen darf. Man konnte sie kaufen, knicken, bekritzeln, zerfleddern oder behutsam in den Schrank stellen. Papierbücher durften verschenkt, verliehen oder auf dem Flohmarkt verscherbelt werden. Doch was für die Leser im analogen Zeitalter selbstverständlich war, gilt in der digitalen Welt nicht mehr. Das meiste, was mit gedruckten Büchern möglich ist, bleibt bei E-Books bis auf Weiteres verboten.

Verlage sträuben sich

Der Widerstand gegen diese Beschränkungen wächst. Der E-Book-Markt in Deutschland ist in den letzten Jahren rapide gewachsen, mittlerweile machen die großen Publikumsverlage zwischen 10 und 20 Prozent ihres Umsatzes mit den digitalen Ausgaben ihrer Bücher. Der Boom wirft Unmengen an Fragen auf. Eine davon wurde jetzt auf einem Symposium der Deutschen Literaturkonferenz im Grimm-Zentrum der Berliner Humboldt-Universität heiß diskutiert: Sollen E-Books – genau wie Papierbücher – von öffentlichen Bibliotheken angeschafft und anschließend kostenlos verliehen werden dürfen?
Noch sträuben sich viele der großen Verlage, darunter S. Fischer, Rowohlt, Piper und Ullstein. Von 20 Büchern auf der Spiegel-Bestsellerliste hätte sie 2013 nur sieben Titel zur Ausleihe zur Verfügung stellen können, klagt Barbara Lison, Leiterin der Stadtbibliothek Bremen und Vorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbandes. „Öffentliche Bibliotheken haben kein Kauf- und kein Besitzrecht an E-Books.“ So könnten sie ihren Bildungsauftrag in Zukunft nicht mehr erfüllen. Doch wer ist schuld? Die bösen Verlage, die sich mal wieder dem digitalen Fortschritt verweigern?
Juristisch ist der Sachverhalt hochkompliziert. Ein E-Book ist nämlich kein Buch. Eher eine Dienstleistung, genauer gesagt: eine Nutzungslizenz an einem digitalen Inhalt. Ein Papierbuch geht beim Kauf in den Besitz des Käufers über; Verlag und Autor erhalten ihren Anteil des Kaufpreises. Der Besitzer kann jetzt mit dem Buch (nicht mit dem Inhalt!) machen, was er will. Die Rechte des Urhebers an dem einzelnen Exemplar sind „erschöpft“. Ganz anders bei E-Books: Hier schließt der vermeintliche Käufer lediglich einen Nutzungsvertrag mit einer E-Book-Plattform ab, etwa Amazon, das kann libreka sein oder Amazon oder i-Books. Der Vertrag regelt, was der Nutzer mit der Buchdatei machen darf. In der Regel kann er sie auf bis zu fünf Geräten öffnen und lesen. Aber er darf das E-Book weder verschenken noch weiterverkaufen.

Vormerklisten für E-Books

Damit sind viele Nutzer nicht einverstanden. Die Verbraucherzentrale hat deshalb in den letzten Jahren mehrere Musterprozesse gegen Buchhandelsplattformen angestrengt, um für die Verbraucher mehr Rechte am E-Book einzufordern. Nicht nur die Online-Buchhändler, sondern auch die Verlage wehren sich. Sie argumentieren, dass sich der junge E-Book-Markt selbst kannibalisieren würde. Anders als bei gedruckten Büchern unterscheiden sich „gebrauchte“ E-Books nicht von den Neuwerken. Dateien können nicht vergilben. Man würde in ein „ruinöses Wettbewerbsverhältnis“ rutschen, mahnt Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Das Problem mit den E-Books ist, dass sich alle bewährten Distributionsmodelle aus der analogen Welt entweder überhaupt nicht oder nur mit viel Biegen und Brechen ins Digitale übertragen lassen. Und dass die künstlich verknappten Zugänge zu Dateien, die sich im Netz technisch eigentlich mühelos übertragen und vervielfältigen ließen, aus Lesersicht oft geradezu absurd anmuten. Am Beispiel der öffentlichen Bibliotheken wird das besonders deutlich. Wer im Online-Katalog seiner Stadtbibliothek ein E-Book entdeckt, kann das keineswegs immer sofort ausleihen und auf den E-Reader herunterladen. Oft ist das E-Book „ausgeliehen“, und es gibt bereits lange Vormerklisten. Erst wenn eine Datei nach einigen Wochen auf dem Gerät eines anderen Nutzer „erlischt“, steht sie wieder für die Online-Ausleihe zur Verfügung. Der Vorgang selbst wird über externe Plattformen abgewickelt. Die öffentlichen Bibliotheken können keine E-Books vor Ort speichern. Sie arbeiten mit Content-Dienstleistern zusammen, mit sogenannten Aggregatoren. Die Aggregatoren sind es, die mit den Verlagen die Nutzungsbedingungen für deren E-Books aushandeln. Die Bibliotheken erwerben Lizenzen für die auf den Aggregatoren-Servern gespeicherten E-Books. Die Lizenzen gelten nur für bestimmte Zeiträume oder eine bestimmte Anzahl von Ausleihen.

Harter Kampf um freien Zugang

Die Universitätsbibliotheken handhaben das anders. Die UB der Berliner Humboldt-Universität hat neben ihren insgesamt sechs Millionen gedruckten Büchern mittlerweile über 200000 E-Books. Die digitalen Bücher sind permanent und parallel verfügbar. „Die wissenschaftlichen Bibliotheken lizenzieren einen dauerhaften Zugriff für den gesamten Campus“, erklärt Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der HU. „So gesehen gibt es bei uns keine Ausleihe von E-Books.“ Vertragspartner der Uni-Bibliotheken sind vor allem die Wissenschaftsverlage wie Springer oder Elsevier. Ganz unbeschränkt ist der Zugang zu lizenzierten Büchern allerdings auch hier nicht: Er ist nur möglich, wenn man als Student oder Mitarbeiter eingeloggt ist. Dass das digitale Zeitalter auch zwischen Wissenschaftsverlagen und Bibliotheken zu großen Verwerfungen führt, zeigt der Kampf um den freien Zugang (Open Access) zu teuren Fachjournalen, die manche Bibliotheken bereits gekündigt haben.

Lichtblick im Koalitionsvertrag

Die Publikumsverlage leben indes vom massenhaften Einzelverkauf ihrer Bücher. Sie fürchten, dass sich E-Books deutlich schlechter verkaufen lassen, wenn man die Bücher auch mit wenigen Klicks im ortsansässigen Bibliotheksverbund bekommen kann. Bei gedruckten Werken wird deshalb –zusätzlich zu den Anschaffungskosten, die die Bibliotheken aufbringen müssen – noch eine pauschale Bibliothekstantieme fällig, die den Verlag und den Autor für eventuell entgangene Einnahmen entschädigen soll. Die Bibliotheken würden diese Regelung gerne ins digitale Zeitalter verlängern. Robert Staats, Geschäftsführer der VG Wort, widerspricht: „Die Vergütung muss nutzungsabhängig sein.“ Wenn überhaupt E-Book-Verleih, dann sollte jede einzelne Ausleihe gezählt und abgerechnet werden. Technisch wäre das kein Problem. Doch eine flächendeckende Einigung ist nicht in Sicht. Mittlerweile hat es sich bis in die Politik herumgesprochen, dass das kein akzeptabler Zustand für den Wissensstandort Deutschland ist. Und dass die Querelen um das E-Book möglicherweise nur gesetzlich zu lösen sind. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung heißt es: „Wir werden prüfen, ob den öffentlichen Bibliotheken gesetzlich das Recht eingeräumt werden sollte, elektronische Bücher zu lizenzieren.“ Die Formulierung sei zwar ziemlich ungenau, meint Bibliotheksleiterin Lison, aber doch ein kleiner Lichtblick.

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