zum Hauptinhalt

WERT sachen: Bibliothek

Während Heinrich Hoffmann von Fallersleben, immerhin der Dichter der Nationalhymne, Bibliotheken für Orte hielt, an denen Bücher „ungesucht, ungelesen dem Jüngsten Tag entgegenharren“, stammt von Jorge Luis Borges das ziemlich bekannte Diktum, dass er sich das Paradies immer als eine Art von Bibliothek vorgestellt habe.Auf den ersten Blick ist die Differenz der Wertungen nicht sehr verwunderlich: Vom Direktor einer Nationalbibliothek – Borges leitete seit 1955 die argentinische in Buenos Aires – erwartet man ja auch eher nicht, dass er seinen Arbeitsplatz mit einem überdimensionierten Friedhof mit Millionen Toten vergleicht.

Während Heinrich Hoffmann von Fallersleben, immerhin der Dichter der Nationalhymne, Bibliotheken für Orte hielt, an denen Bücher „ungesucht, ungelesen dem Jüngsten Tag entgegenharren“, stammt von Jorge Luis Borges das ziemlich bekannte Diktum, dass er sich das Paradies immer als eine Art von Bibliothek vorgestellt habe.

Auf den ersten Blick ist die Differenz der Wertungen nicht sehr verwunderlich: Vom Direktor einer Nationalbibliothek – Borges leitete seit 1955 die argentinische in Buenos Aires – erwartet man ja auch eher nicht, dass er seinen Arbeitsplatz mit einem überdimensionierten Friedhof mit Millionen Toten vergleicht. Allerdings war auch Hoffmann von Fallersleben Bibliothekar, zunächst beim Freiherrn von Meusebach, einem Freund der Brüder Grimm und weithin bekannten Sammler wertvoller Drucke, und dann an der Universitätsbibliothek von Breslau.

Die literarische Apostrophierung der Bibliothek oszilliert zwischen Friedhof und Tempel, zwischen Massengrab und Heiligtum. Und das nicht erst, seitdem im Computerzeitalter das Medium Buch ins Gerede gekommen ist und von manchem für schrecklich altmodisch gehalten wird. Das tun vor allem jene, die eine Alternative zwischen dem gründlichen Lesen in wunderschönen alten Lederbänden und dem kurzen Überprüfen von Zitaten in Digitalisaten im Internet konstruieren.

Zu den literarisch mal mehr oder weniger gekonnt inszenierten Klischees gehört auch, dass leicht zerstreute Professoren (männlich) ihre Wohnungen mit Büchern überschwemmen und so in Mausoleen verwandeln, und ihre lebensklugen Ehefrauen (weiblich) dann gelegentlich den Antiquar rufen und wenigstens ein paar Stapel verkaufen, damit der Göttergatte nicht in totem Wissen erstickt. Dabei kenne ich allerlei kluge Kolleginnen, die ziemlich feine Bibliotheken besitzen.

Dass Bibliotheken – wie übrigens die Museen und die Konzertsäle – seit dem neunzehnten Jahrhundert als „Tempel des Wissens“ an die Seite der Kirchen traten, ist sicher zutreffend und kann in Berlin gut studiert werden: Die beiden Häuser der Staatsbibliothek, die neue geisteswissenschaftliche Bibliothek der Humboldt-Universität und der Norman-Foster-Bau der Freien Universität machen die Stadt zu einem Mekka moderner Bibliotheksarchitektur.

Beim Metaphernfeld „Friedhof“ muss ich jedoch immer an die unheilvolle Tendenz deutscher Geisteswissenschaftler zur Selbstmarginalisierung denken. Denn in allen diesen genannten Bibliotheken ist es tagsüber mitunter schwierig, Leseplätze zu finden. Als „literarischen Gottesacker“ (Jean Paul) habe ich eigentlich noch keine davon empfunden.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden dritten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false