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Ironie bei Berliner Bildungsdemo.

© ddp

Bildung und Forschung: Bildungsgipfel in Gefahr

Konkrete Beschlüsse erst im Dezember erwartet. Neue Demonstrationen von Schülern und Studierenden gab es bereits am Mittwoch.

Der Bildungsgipfel droht zu scheitern. Bei dem Treffen, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am heutigen Donnerstag ins Kanzleramt eingeladen hat, wollen die Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder offenbar eine Verschiebung des Zehn-Prozent-Ziels bis 2018 erreichen. Beim ersten Gipfel im Oktober 2008 hatten sie mit Merkel vereinbart, die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015 auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. In einer Beschlussvorlage der Unionsländer wird laut „dpa“ ein Zeitrahmen „bis spätestens 2018“ in Aussicht gestellt. Konkrete Beschlüsse sollten erst beim nächsten Treffen im Dezember erfolgen – nach erneuten Beratungen der Finanzminister.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (beide SPD) forderten am Mittwoch mehr Geld vom Bund. Die Länder bräuchten eine dauerhafte Finanzspritze und feste Zusagen vom Bund, sagte Beck der „Passauer Neuen Presse“. Sie wollten nicht nur Bundesprogramme gegenfinanzieren.

Gegen die von Ministerpräsidenten und Finanzministern geforderte Erhöhung des Mehrwertsteueranteils für die Länder sprach sich Priska Hinz aus, bildungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Diese Mittel würden nicht automatisch mehr Geld für die Bildung bedeuten, weil sie nicht zweckgebunden sind, sondern in die allgemeinen Länderhaushalte fließen. Damit etwa der notwendige flächendeckende Ausbau der Ganztagsschulen und die Förderung von Migrantenkindern finanziert werden kann, müsse das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufgehoben werden, forderten Hinz sowie der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir.

Der Paritätische Gesamtverband machte auf die bedrückende Bildungssituation von Migranten aufmerksam. Während fast jeder dritte deutsche Schüler Abitur mache, sei es unter Migranten nur jeder zehnte; ohne Abschluss verließen sechs Prozent der deutschen, aber 15 Prozent der migrantischen Jugendlichen die Schule. Der Sozialverband forderte eine Bildungsgarantie. Nach zehn Schuljahren müsse gewährleistet sein, dass die Schülern so gut lesen und rechnen können, dass sie ausbildungsfähig sind, sagte Vorstandsmitglied Barbara John, die frühere Berliner Ausländerbeauftragte.

Die Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, Ulla Burchardt (SPD), sieht Merkel und Bundesbildungsministerin Schavan „vor dem Scheitern ihrer politischen Kunst“. Merkels Bildungsrepublik stehe vor dem Aus, Schavan habe ihr Ziel verfehlt, zwischen Bund und Ländern stets einvernehmliche Lösungen herbeizuführen. Burchardt erneuerte die SPD-Forderung nach einem Bildungssoli auf Spitzeneinkommen.

Forderungen an den Bildungsgipfel richteten auch Studierende und Schüler, die am Mittwoch bundesweit in 40 Städten auf die Straße gingen. In Berlin zogen mehrere tausend Demonstranten vom Roten Rathaus über den Rosenthaler Platz und die Friedrichstraße zur Humboldt-Uni. „Wir wollen den Politikern vor Augen führen, wie bescheuert ihre Entscheidungen sind“, sagte Politikstudent Peter Rau von der Uni Potsdam, der gemeinsam mit Kommilitonen in Abendgarderobe mitlief. „Studiengebühren jetzt“ und „FDP olé olé“ lauteten die ironischen Plakatsprüche.

Mit den Demos geht der bundesweite Bildungsstreik, der 2009 Hunderttausende mobilisierte, in eine neue Runde. „Wir wollen den Druck auf die Politik aufrechterhalten“, sagte Jonas Rediske vom Berliner Bildungsstreikbündnis. Die Demonstranten fordern unter anderem die Abschaffung des Numerus clausus sowie einen Masterstudienplatz für alle Bachelorabsolventen. Rediske kritisierte, dass kein Bildungsstreikaktivist zum Bildungsgipfel eingeladen sei.

Mit den Demonstranten solidarisierte sich die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Politiker, die im Augenblick Kürzungen bei der Bildung durchsetzen oder betreiben, handelten „kurzsichtig und letztlich unverantwortlich“, erklärte HRK-Chefin Margret Wintermantel gemeinsam mit Studentenverbänden wie dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten, den Juso-Hochschulgruppen und dem Bildungsstreikbündnis. Cem Özdemir sagte, angesichts des „Geschachers von Bund und Ländern“ seien die Bildungsstreiks „nie berechtigter als heute“. Merkel und Schavan hangelten sich von Bildungsgipfel zu Bildungsgipfel, während Kindergärten, Schulen und Hochschulen auf der Strecke blieben.

Ein Scheitern des morgigen Gipfels wäre nicht nur „ein Desaster für die Bildungschancen der Jugendlichen und die Zukunft unseres Landes, sondern auch ein Armutszeugnis für den Gestaltungsanspruch der Politik“, erklärte Özdemir. -ry/ade/nez

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