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Bildung und Forschung: Reform

Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität, über den Wert von Reformen in Bildung und Wissenschaft.

2008 wird wieder reichlich Gelegenheit bestehen, darüber nachzudenken, welchen Wert Reformen in Bildung und Wissenschaft haben. Schließlich werden ja nicht nur die großen Reformprojekte der deutschen Universität und des allgemeinen Schulsystems fortgesetzt, die sich mit den Stichworten Bologna-Prozess, Exzellenzinitiative und den Abkürzungen Pisa oder Timss verbinden. Vielmehr wird in vielfältiger Weise der Reformprozesse gedacht werden, die sich mit dem Schicksalsjahr 1968 verbinden.

An den Berliner Universitäten kann man bis auf den heutigen Tag die heilsamen, aber auch die unglücklichen Wirkungen der damaligen Universitätsreform studieren, die gern in einem schon im November 1967 geprägten Motto zusammengefasst wurde: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“.

Heilsam ist sicher, dass die Geschicke der deutschen Universität heute nicht mehr allein in den Händen von Ordinarien liegen: In der eindrücklichen Nobelpreisträgergalerie der Humboldt-Universität findet sich ein Bild von Werner Forssmann, der 1929 mit einem Selbstversuch die Herzkatheterisierung begründete. Da der zuständige Ordinarius Ferdinand Sauerbruch Forssmanns Selbstversuche für „Zirkuskunststücke“ hielt und dem Assistenzarzt kündigte, verhinderte er die Etablierung einer zukunftsträchtigen Forschungsrichtung an der Charité.

Ob freilich das Reformmodell der 70er- Jahre, alle universitären Entscheidungen in zahllose Gremien zu geben, in denen vor allem auf die möglichst gleichberechtigte Repräsentanz von „Statusgruppen“ geachtet wird, die dann wie im alten Ständestaat die Eigeninteressen ihres Standes pflegen, wirklich glücklicher als das alte Modell ist? Und ganz gewiss kann man eben diese Frage auch angesichts der gegenwärtig verbreiteten Tendenz stellen, nun alles Heil in autokratisch agierenden Universitätspräsidenten zu sehen.

Reformen sind nur dann von Wert, wenn sie nicht in radikaler Einseitigkeit ein kompliziertes System in eine bestimmte Richtung ziehen wollen. Denn sonst provozieren sie einen Gegenschlag und das System versinkt im Chaos eines beständigen Kurswechsels. Vielleicht tut gerade in Bildung und Wissenschaft die Erinnerung daran gut, dass sich der Begriff „Reform“ im späten achtzehnten Jahrhundert als Gegenbegriff zu „Revolution“ durchsetzte: „Reformen, aber keine Revolutionen!“, schreibt Schlözer. Damit gilt aber auch: Ohne sensible Reformen erstarrt ein System soweit, dass es nicht überleben kann.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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