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Wucherung. Im Darm der Versuchtiere entstanden Geschwülste aus Stammzellen.

© Nature/CNIO

Biologie: Neuartige Stammzellen in Mäusen gezüchtet

Forscher erzeugen in genetisch veränderten Tieren Zellen mit umfassenden Eigenschaften.

Matroschkas heißen die russischen Puppen, in denen eine in der anderen steckt und jede neue eine weitere offenbart. In der Natur gibt es eine ähnliche Erscheinung. Als Teratome werden jene tumorartigen Gebilde bezeichnet, die sich an unterschiedlichen Stellen im Körper finden und die Gewebe wie Haut, Haare, Zähne und Muskeln enthalten können, in extrem seltenen Fällen sogar einen vollständigen Organismus, genannt fetus in fetu. Spanische Wissenschaftler haben diese bizarre Laune der Natur jetzt nachgeahmt und Teratome in Mäusen erzeugt.
Teratome sind das Produkt von pluripotenten Stammzellen, also von urtümlichen Zellen, die sich in vielen verschiedenen Arten von Gewebe entwickeln können. Eine Hauptrolle spielen diese Zellen beim Heranreifen des Embryos, wenn sich Organe und Gewebe herausbilden. Danach verschwinden sie weitgehend. In einem „fertigen“ Organismus haben größere Ansammlungen pluripotenter Stammzellen nichts verloren. Sie sind dann Überbleibsel der Embryonalentwicklung und eine potenzielle Gefahr, wie das Beispiel der Teratom-Wucherungen zeigt.
Maria Abad vom Spanischen Nationalen Krebsforschungszentrum in Madrid und ihr Team wandten ein neuartiges Verfahren an, wie sie im Fachblatt „Nature“ berichten. Die Forscher arbeiteten mit induzierten pluripotenten Stammzellen, iPS-Zellen. Das sind durch genetische Eingriffe verjüngte Körperzellen, die durch die Rückprogrammierung des Erbguts wieder die Eigenschaften ursprünglicher pluripotenter Stammzellen haben.

Vier Gene drehen die Lebensuhr zurück

Normalerweise werden iPS-Zellen außerhalb des Körpers in der Petrischale hergestellt. Abad und ihre Kollegen erzeugten sie dagegen im lebenden Organismus selbst. Die Wissenschaftler züchteten genetisch veränderte Mäuse, in deren Erbgut die für die Rückprogrammierung nötigen vier Gene eingeschleust worden waren. Nahmen die Tiere das Antibiotikum Doxycyclin zu sich, wurden die vier Rückprogrammierungsgene über einen weiteren Schalter im Erbgut aktiviert.
Die Mäuse bekamen das Mittel mit dem Trinkwasser. Eine hohe Dosis ließ sie in einer Woche an Auszehrung sterben. Überall in ihrem Körper hatte ein explosives Wachstum von Stammzellen begonnen und rasch zum Tod geführt. Eine geringe Dosis Doxycyclin ließ die Tiere länger überleben. In vielen Organen wucherten aus iPS-Zellen entstandene Teratome, denen die Mäuse schließlich erlagen. In manchen Fällen ähnelten diese Gebilde Embryonen, erinnerten also an das fetus in fetu-Phänomen.
Es gelang den Forschern, iPS-Zellen aus dem Blut der Tiere zu gewinnen. Als sie diese in frühe Mausembryonen spritzten, stellten sie fest, dass die iPS-Zellen sich überall integrierten, auch in den nicht zum eigentlichen Embryo gehörenden Hüllzellen, aus denen etwa die Placenta entsteht. Damit erfüllen diese iPS-Zellen ein wichtiges Merkmal der Totipotenz und sind womöglich fähig, einen kompletten Organismus zu erzeugen.
Wenn man es richtig anstellt, könnte man also aus einer genetisch veränderten Körperzelle einen Embryo samt Hülle erzeugen. Zumindest theoretisch. Aus vielen Gründen ist an eine medizinische Verwirklichung dieser philosophisch reizvollen Idee nicht im Entferntesten zu denken. Allerdings hoffen Stammzellforscher auf neue Impulse für die regenerative Medizin. Vielleicht kann es eines Tages gelingen, durch genetische Rückprogrammierung verlorene Gliedmaßen nachwachsen zu lassen, schreiben Alejandro De Los Angeles und George Daley von der Harvard-Universität in Boston in einem Kommentar in „Nature“. Amphibien haben diese Fähigkeit schon lange.

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