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Bisphenol A: Krankmacher Konserve?

Studien deuten auf Risiken durch die Chemikalie Bisphenol A hin. In Babyfläschchen ist sie inzwischen verboten, doch sie findet sich nach wie vor in anderen Gefäßen für Nahrungsmittel.

„Es sind eben die Hormone.“ Das ist eine der Erklärungen, wenn es mit dem Abnehmen nicht klappt oder man sogar weiter zunimmt. Eine Studie aus den USA könnte ihr nun zu neuer Überzeugungskraft verhelfen: Kinder, bei denen hohe Spiegel des chemischen Stoffs Bisphenol A im Urin gefunden werden, sind doppelt so oft fettsüchtig wie Altersgenossen mit niedrigeren Spiegeln. Das ergab eine repräsentative Untersuchung von 2838 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Heranwachsenden zwischen sechs und 19 Jahren aus den USA, deren Ergebnisse im Ärztejournal „Jama“ veröffentlicht wurden.

Bisphenol A (BPA) findet als Ausgangsprodukt für die Synthese von Kunststoffen Verwendung und kann sich aus Innenbeschichtungen von Konservendosen oder Plastikflaschen und -schüsseln herauslösen. Es kann in den Hormonhaushalt des Menschen eingreifen. Ob es gesundheitsschädliche Wirkungen hat, ist strittig. Vorsichtshalber hat die EU den Verkauf von Babyfläschchen verboten, in denen die Substanz verarbeitet wurde. BPA wird im Fettgewebe gespeichert und zählt wie die ebenfalls stark diskutierte Substanzklasse der Phthalate (sprich: Ftalate), die als Weichmacher in Plastikprodukten Verwendung finden, zu den endokrinen Disruptoren, auf das Hormonsystem einwirkende Stoffe.

Die Phthalate begünstigen anscheinend Fehlbildungen der Geschlechtsorgane und männliche Unfruchtbarkeit, wenn Schwangere ihnen in höherer Dosierung ausgesetzt sind. Eine im Frühjahr erschienene Studie aus Schweden zeigt zudem einen Zusammenhang mit Diabetes vom Typ 2 (Alterszucker): Bei Menschen über 70, die an der Stoffwechselerkrankung litten, fanden die Forscher mehr Abbauprodukte von Phthalaten.

Einige von ihnen könnten möglicherweise die Insulinbildung drosseln, andere dagegen die Empfindlichkeit für dieses Hormon hemmen, erläutert der Bochumer Hormonexperte Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Die Fachgesellschaft kritisiert, dass die Phthalate zwar inzwischen für Kinderspielzeug verboten sind, aber in Medizinprodukten wie Infusionsschläuchen nach wie vor vorkommen, obwohl es Alternativen gibt. Denn die Stoffe lösen sich leicht aus dem Kunststoff und gelangen dann in den Körper.

Auch was das BPA betrifft, gebe es „ausreichendes Besorgnispotenzial“, so das Bundesumweltamt in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2010. „Die Gesamtschau der bisher vorliegenden Studien über die Wirkungen und die Exposition von Bisphenol A offenbart Hinweise auf mögliche Risiken für die menschliche Gesundheit.“ Klar sei, dass der Stoff über die Nahrung oder auch wie beim Thermopapier des Kassenbons vom Supermarkt über die Haut in den Organismus gelangen und dort wie das Sexualhormon Östrogen wirken könne.

Seit Jahren beschäftigt sich die Biologin Patricia Hunt von der Washington State University mit der Wirkung von BPA auf weibliche Versuchstiere. Im Fachblatt „PNAS“ (online) berichtete sie kürzlich über Schäden an den Eizellen der Nachkommen von Rhesusaffen, die die Chemikalie in Früchten oder mit in die Haut implantierten Depots zugeführt bekamen, während sie trächtig waren. Ob Hunts Ergebnisse auf Menschen übertragbar sind, wird allerdings ebenfalls seit Jahren kontrovers diskutiert.

Auch ob der Stoff, der zwar inzwischen in Babyfläschchen verboten ist, aber nach wie vor für Plastikflaschen oder Innenbeschichtungen von Konservendosen verwendet wird, wirklich „dick macht“, bleibt die Frage. Um in einer exakten Studie eine kausale Beziehung zwischen der Substanz und kindlichem Übergewicht herzustellen, müsste man streng genommen zwei Gruppen von Heranwachsenden genau dieselbe Nahrung in derselben Menge anbieten, allerdings aus unterschiedlich beschichteten Gefäßen, und nach einiger Zeit BPA-Spiegel und Gewicht messen, gibt Schatz zu bedenken. Schatz ist überzeugt: „Die endokrinen Disruptoren sind ein ernstes Problem, und wir brauchen dringend weitere Studien.“

Es ist bislang jedoch nicht auszuschließen, dass Jugendliche, die Softdrinks und Konserven bevorzugen und deshalb höhere BPA-Spiegel im Urin haben, mit dem Essen und Trinken nicht allein mehr von dieser chemischen Substanz, sondern auch mehr Kalorien aufnehmen. Auch das könnte den Zusammenhang mit der Fettsucht erklären.

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