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Nichts geht mehr. Eine Migräneattacke macht jegliche Pläne für den Rest des Tages zunichte. Menschen, bei denen die Krankheit bereits chronisch ist, könnten geringe Dosen des Nervengifts Botulinumtoxin – besser bekannt als Botox – helfen. Foto: picture-alliance/gms

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Wissen: Botox gegen Migräne

In Großbritannien ist die Therapie bereits erlaubt. Für Deutschland soll die Entscheidung demnächst fallen

Unter Migräne leiden nach Schätzungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft in der Bundesrepublik etwa acht Millionen Menschen, darunter weit mehr Frauen als Männer. Das Leiden ist keineswegs nur „zivilisationsbedingt“: Schon auf Papyrusrollen der alten Ägypter findet sich der verzweifelte Wunsch von Schmerzgeplagten nach einem „neuen Kopf“. Den dürften vor allem die ein bis zwei Prozent der Bevölkerung teilen, die an chronischer Migräne leiden und an mehr als der Hälfte aller Tage von Kopfschmerzen geplagt werden. Viele von ihnen können deshalb nicht mehr arbeiten, noch mehr nehmen regelmäßig hohe Dosen an Schmerzmitteln ein.

Es sieht so aus, als könnte ihr Arzt ihnen bald eine Behandlung zukommen lassen, die bisher eher zur Faltenglättung eingesetzt wurde: Spritzen mit geringen Dosen des Nervengifts Botulinumtoxin, besser bekannt als „Botox“, haben nämlich in zwei Studien zumindest kleine Erfolge im Kampf gegen die chronische Migräne gezeigt.

In Großbritannien wurde der Stoff, der Muskeln zeitweise erschlaffen lassen kann, bereits im Juli für die Behandlung zugelassen. Gegenwärtig prüfen die Zulassungsbehörden das auch in Deutschland. „Fällt das für die nächsten Wochen erwartete Urteil positiv aus, sollte auch hierzulande einer Übernahme der Behandlungskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen nichts mehr im Weg stehen“, sagt Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie an der Universität Essen. Er ist zugleich Erstautor der einen von zwei Studien, die im Juli in „Cephalgia“, der offiziellen Zeitschrift der amerikanischen Kopfschmerzgesellschaft, veröffentlicht wurden.

Für die beiden Untersuchungen – die eine aus den USA, die andere aus Europa und den USA – haben sich insgesamt fast 1400 Patienten mit chronischer Migräne im Verlauf von 24 Wochen mehrmals sieben Spritzen in Muskeln von Gesicht und Nacken geben lassen. Darunter auch der Muskel, der von Hautärzten und Plastischen Chirurgen angesteuert wird, weil er für die „Zornesfalten“ zwischen den Augenbrauen zuständig ist.

Die Hälfte der Patienten bekam, ohne das zu wissen, allerdings nicht Botox, sondern eine Spritze ohne Wirkstoff. Meist litten die Teilnehmer an 20 Tagen im Monat unter Migräne, viele der im Schnitt 40-Jährigen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Zwei Drittel von ihnen nahmen dauerhaft zu viele Schmerzmittel. Sie werden ganz sicher in Zukunft nicht darauf verzichten können. Immerhin berichteten die Migränepatienten, in deren Spritze der Wirkstoff gewesen war, im täglichen Telefon-Tagebuch über deutlich weniger Tage, die mehr oder weniger durch das Leiden verdorben waren, sogenannte „Migräne-Tage“.

Ein Erfolg, der überrascht – hatten führende Neurologen doch vor vier Jahren die Forschung zu Botulinumtoxin bei Migräne als Sackgasse bezeichnet. Während schlechtere Studien Hoffnungen schürten, hatten gut gemachte Untersuchungen, in denen Patienten mit Spannungskopfschmerz oder ab und zu auftretenden Migräneattacken zum Vergleich ein Placebo gespritzt wurde, enttäuschende Ergebnisse gebracht. Das passte zum bekannten Bild, dass gerade bei Schmerzen auch Scheinmedikamente Wirkung zeigen. Besonders, wenn sie gespritzt werden. Kopfschmerz-Spezialisten wie der Belgier Jean Schönen von der Uni Lüttich rieten trotzdem zu weiteren Studien – mit den Patientengruppen, für die man bei genauer Analyse der insgesamt ernüchternden Ergebnisse ein wenig Hoffnung schöpfen konnte.

Eine gute Strategie, wie sich nun zeigt. Bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, zu der sich diese Woche 6000 Neuromediziner in Mannheim treffen, ist Botox jedenfalls eines der wichtigen Themen. Die Neurologen setzen es seit Jahren gegen verschiedene Arten von Bewegungsstörungen und Krämpfen ein. Die Spritzen-Behandlung gegen chronische Migräne wird nach der Zulassung nach Dieners Einschätzung auf wenige Zentren beschränkt bleiben. „Die Patienten müssen sorgfältig ausgewählt werden, die Therapie ist zudem teuer und aufwendig“, sagt der Wissenschaftler.

Wie genau das Nervengift die Migränebeschwerden lindert, ist aber noch unklar. Das ist für Kopfschmerz-Experten allerdings nichts ganz Ungewohntes. Diener: „Es weiß auch noch keiner so genau, auf welche Art und Weise die Medikamente wirken, die wir bisher schon zur Vorbeugung gegen Migräneattacken einsetzen.“

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