zum Hauptinhalt
Ferdinand von Richthofen hat die Seidenstraße zwar nicht erfunden, aber populär gemacht.

© imago images/Imaginechina-Tuchong

Chinesisch-preußische Handelsgeschichte: Von der Suche nach Kohle zur Seidenstraße

Die Strecke vom Mittelmeer bis nach Ostasien ist reich an Ressourcen, entdeckte der preußische Geograph Ferdinand von Richthofen. Den Forschungsreisenden und Kolonialisten porträtiert jetzt ein neues Buch.

Man stelle sich einen Moment lang vor, Ferdinand von Richthofen (1833-1905) wäre nie geboren worden. Der Geologe und Geograph, Präsident der Berliner Gesellschaft für Erdkunde, hätte nicht in China nach Kohlevorkommen gesucht und ein bedeutendes Werk über das Reich der Mitte veröffentlicht. Gäbe es dann auch die Seidenstraße und womöglich Xi Jinpings „Belt and Road“-Initiative nicht?

Der Titel von Marcus Hernigs Buch scheint das zu suggerieren, er lautet: „Ferdinand von Richthofen – Der Erfinder der Seidenstraße“. Hernig, studierter Sinologe und als Autor und Redner Grenzgänger zwischen Deutschland und China, würdigt darin einen preußischen Wissenschaftler, der vielen unbekannt sein dürfte.

Ferdinand Freiherr von Richthofen erforschte in den Jahren 1868 bis 1872 das Innere Chinas, das Europäern damals noch weitgehend unbekannt und kaum kartographiert war. Die Fertigkeiten dazu hatte der Spross eines schlesischen Adelsgeschlechts bei Forschungen in Südtirol und den Karpaten, als Teilnehmer einer preußischen Ostasien-Expedition ab 1860 und in mehrjähriger Tätigkeit als Geologe in Kalifornien erworben.

Zwischen Hongkong und Peking, Hangzhou und Chengdu war Richthofen auf schlammigen Straßen und trägen Flüssen unterwegs, in der Umhängetasche stets einen Hammer, um Gestein abzuschlagen, einen Kompass, mehrere mobile Barometer (Aneroide) und ein Horizontglas, um Gebirgshöhen zu bestimmen. Mal reiste er in einem eigenen Hausboot, mal auf Maultieren, in einem „Shen-Tze“, einer Sänfte, oder in Schubkarren, die von Einheimischen geschoben wurden.

Der Treibstoff der Moderne

Zusammen mit seinem Reisebegleiter Paul Splingaerd, einem Belgier, untersuchte Richthofen den Boden und seine Schätze, und er zeichnete die Karten, die zur Ausbeutung der Bodenschätze notwendig waren. Denn vor allem darum ging es: den Treibstoff der Moderne, Kohle, zu finden. Richthofen agierte nicht als frei schwebender Gelehrter oder Abenteurer, sondern im Auftrag der europäisch-amerikanischen Handelskammer in Shanghai.  

Seine Motivation beschreibt Hernig so: „Kohle bedeutete fast grenzenlose Mobilität, Kohle war Energie für die gewaltigen Fabriken des Industriezeitalters. Dieser Stoff, dachte Ferdinand, wird uns in eine neue Zeit des Wohlstands und des Fortschritts katapultieren, von dem alle Völker profitieren.“

Zunächst jedoch sollten Europäer und Amerikaner davon profitieren. Richthofen war Kolonialist. Mehrfach schrieb er später an Otto von Bismarck und forderte ihn auf, das deutsche Kolonialreich nach China auszudehnen, dort Häfen und Eisenbahnen anzulegen. Rudolf Virchow betrachtete ihn deshalb, so Hernig, als „Handlanger der Herrschenden“. Der Reichskanzler antwortete Richthofen nicht, aber nach seinem Rücktritt mischte das Deutsche Reich ab 1897 als eine von mehreren Kolonialmächten in China mit und schlug den „Boxeraufstand“ blutig nieder.

Er machte die Route bekannt

Nach seiner Rückkehr aus Asien 1872 war Richthofen als Professor für Geographie zunächst in Bonn, Leipzig und ab 1886 in Berlin tätig und schrieb ein fünfbändiges, mit vielen Karten versehenes Werk „China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien“. Darin verwendet er den Begriff der „Seidenstraße“, um das weitverzweigte Handelsnetz zwischen China und Europa zu bezeichnen, auf dem seit der Antike Seide, Tee, Waffen und andere Güter gehandelt wurden.

Der preußische Geograph, Kartograph und Forschungsreisende Ferdinand von Richthofen.

© imago/United Archives

Der „Erfinder“ dieses Begriffs ist Richthofen nicht, wie Hernig zugibt. Vor ihm hatten bereits der in Berlin lehrende Geograph Carl Ritter und andere das Wort verwendet. Durch Richthofens Werk wurde es popularisiert und setzte sich schließlich in vielen Sprachen und auch in China durch.

Worin besteht dann die eigentliche „Erfindung“ des Ferdinand von Richthofen? Er rückte Zentralasien in den Mittelpunkt seiner Überlegungen: Die Landverbindungen, Zeugnisse des jahrtausendealten Austauschs zwischen Ost und West, waren weitgehend vergessen worden, seitdem der europäisch-asiatische Handel über die Meere lief. Richthofen begründete die Bedeutung dieser Landverbindungen auch geologisch: Entlang der Seidenstraßen ziehe sich ein Gürtel von fruchtbarem Boden, Lössboden, von China bis nach Westfalen, und unter und neben diesem Boden liegen gewaltige Kohle- und Erzvorkommen.

Mehrfach schrieb er später an Otto von Bismarck und forderte ihn auf, das deutsche Kolonialreich nach China auszudehnen, dort Häfen und Eisenbahnen anzulegen.

Dorothee Nolte

Diese alten Verbindungslinien konnten in Richthofens Sicht die Grundlage für neue Handelswege mit den Mitteln der Moderne, vor allem der Eisenbahn, sein. Laut Hernig sah der Forscher in Ansätzen voraus, was Xi Jinping mit seiner Belt-and-Road-Initiative heute betreibt: „Wenn die Chinesen sich selbst wiedergefunden haben, dann werden sie diese alten Handelsstraßen neu beleben“, so Richthofens Vision. „Sie werden Städte bauen, neue Straßen und sogar Eisenbahnen. Die Kohle und die Rohstoffe, die weder Russen noch andere Menschen aus dem Westen zu Tage gefördert haben, werden die Chinesen zu Tage fördern.“

Richthofen ist selbst nicht bis nach Zentralasien vorgestoßen. Politische Wirren hielten ihn davon ab, über Chengdu hinaus weiter gen Westen zu reisen. Erst sein Schüler, der Schwede Sven Hedin, sollte dies nachholen.

Schwächen der Biografie

Es ist ein Verdienst Marcus Hernigs, anhand der Lebensgeschichte Richthofens den Blick auf die uralten Wechselbeziehungen zwischen Ost und West zu richten. Allerdings hat sein Buch auch Schwächen. Der Autor möchte erkennbar „spannend“ schreiben, so wie man es von Entdecker-Heldengeschichten gewöhnt ist. Aber zum einen taugt Richthofen, der als Mensch eher blass bleibt, nur bedingt zum Helden. Und zum anderen fragt sich der Leser, die Leserin häufig: Woher weiß der Autor, was Richthofen angeblich „gedacht“, „sich gefragt“ oder zu seiner Ehefrau gesagt hat? Wörtliche Zitate werden nur vereinzelt belegt - wann sind sie authentisch, wann Paraphrasen des Erzählers?

Gerade bei den heiklen Themen – wie sah Richthofen die Chinesen, wie genau stand er zum Imperialismus? – hätte man sich Belege gewünscht und lieber Zitate aus Richthofens Tagebüchern und Reiseberichten gelesen als angebliche „Gedanken“, konstruierte Dialogpassagen oder Formulierungen wie „Richthofen nickte und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Rotweinglas“.

Wer die Geographie Chinas nicht vor dem inneren Auge hat, wird zudem Mühe haben, dem Erzählung zu folgen, denn die (einzige) Karte im Einband ist unübersichtlich. Verständnishilfen in Form zusätzlicher Karten und Bilder wären wünschenswert gewesen.

Richthofen starb 1905, In der Kurfürstenstraße 117 erinnert eine Gedenktafel an ihn. Chinesische Wissenschaftler und Politiker haben sich, so Hernig, seiner Erkenntnisse bedient, um die eigene industrielle Entwicklung voranzutreiben. Ob Xi Jinping den Namen Richthofen kennt, verrät er uns nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false