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Mücke

© picture alliance / dpa

Das große Kribbeln: Jucken kommt aus dem Rückenmark

Wenn ein Insekt auf der Haut landet, juckt es. Kratzen verschafft Erleichterung. Amerikanische Forscher haben nun entdeckt, welche Nervenzellen verantwortlich sind - ein Hoffnungsschimmer für Patienten mit chronischem Juckreiz.

Wer sich diesen Sommer an einem See in Brandenburg gesonnt hat, wird das lästige Jucken in leidvoller Erinnerung haben, das sich einstellt, wenn wieder einmal irgendein sechs- oder gar achtbeiniges Tier übers Dekolleté krabbelt. Sinneszellen in der Haut melden schon vor einem Biss oder Stich die drohende Gefahr ans Rückenmark und ein impertinentes Jucken zwingt den dösenden Urlauber, die träge Hand zum Kratzen und Verscheuchen des Angreifers zu heben. Und mit dem Kratzen verschwindet auch der Juckreiz wieder. Wie Säugetiere diese Reaktion zustande bringen, haben jetzt Forscher der Universität Harvard in Cambridge und des Salk-Institutes im kalifornischen La Jolla entdeckt.

Das Forscherteam um Martyn Goulding hatte bei Mäusen bestimmte Nervenzellen im Rückenmark abgeschaltet, NPY-Interneurone genannt, weil sie einen Botenstoff ausschütten, das Neuropeptid Y (NPY). Im Gehirn haben NPY-Zellen viele Funktionen, im Rückenmark übernehmen sie offenbar eine Vermittlerrolle zwischen den Sinneshaarzellen in der Haut, die auf leichte Berührungen wie von einem Insektenbein reagieren, und ranghöheren Nervenzellen, die bei Säugetieren den Juckreiz simulieren oder die kratzende Reaktion darauf auslösen. Denn fallen die NPY-Zellen wie im Experiment der Forscher aus, dann reagieren die Mäuse auf jede leichte Berührung mit exzessivem Kratzen.

Leichte Berührung oder chemischer Stoff?

Das deutet darauf hin, dass die NPY-Interneurone entscheiden, ob die Signale der Sinneszellen stark genug sind, um Juckreiz auszulösen. Dafür stehen die NPY-Interneurone mit den Sinneszellen in engem Kontakt. Um zu verhindern, dass jede harmlose Berührung ein quälendes Jucken auslöst, geben die NPY-Zellen das Signal erst weiter, wenn eine gewissen Reizschwelle überschritten ist.

Die Forscher fanden außerdem heraus, dass ein Juckreiz nach einer sehr leichten Berührung unabhängig ist vom Jucken, das durch chemische Stoffe, etwa in der Spucke einer Mücke nach deren Stich, ausgelöst wird. Denn reizten die Forscher auf diese Weise die Mäuse, denen die NPY-Interneurone fehlten, war keine Verhaltensänderung im Vergleich zu normalen Mäusen zu erkennen.

Nicht allen Patienten helfen Antihistamine

„Wir hoffen, die Aktivität dieser Nervenzellen zukünftig so verändern zu können, dass wir Menschen mit chronischem Juckreiz helfen können“, sagt Steeve Bourane, Erstautor der im Fachblatt „Science“ veröffentlichten Studie. Als chronisch gilt Juckreiz, wenn er länger als sechs Wochen andauert. Oft ist es ein Symptom schwerer Erkrankungen wie Multipler Sklerose, bestimmter Krebsarten, Leber- und Nierenerkrankungen oder Diabetes.

Allein in Deutschland bekommen 16,8 Prozent der Bevölkerung zwischen 16 und 70 Jahren diese Diagnose. Zwar gibt es Medikamente, wie Antihistamine, mit denen der Juckreiz bei einigen Patienten reduziert werden kann. Die Entdeckung der NPY-Zellen könne helfen zu erklären, warum diese Wirkstoffe bei einigen Patienten nicht funktionieren, schreiben die Forscher.

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