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Waben-Gewebe. Graphen besteht aus sechseckigen Kohlenstoff-Untereinheiten, in diesem Beispiel zur Nanoröhre geformt.

© picture alliance / Science Photo

Das Material der Zukunft: Graphen, ein Wunderstoff mit Tücken

Durchsichtig, biegsam, leitfähig, reißfest: Das Maschendrahtmolekül Graphen gilt als Material der Zukunft. Die EU fördert jetzt ein Großprojekt zu dem "Wunderstoff". Doch noch ist unklar, ob er im Großen hält, was er theoretisch verspricht.

Es ist eines der großen Forschungsvorhaben in Europa. „Graphene-CA“ hat zum Ziel, den Stoff Graphen in anwendungsreife Produkte umzusetzen. Bis zu einer Milliarde Euro Fördergeld will die Europäische Kommission dafür bereitstellen. Eine durchaus mutige Entscheidung, denn noch ist nicht klar, ob sich die theoretischen Möglichkeiten des „Wunderstoffs“ großtechnisch realisieren lassen. Das Geld fließt im Rahmen der „Future and Emerging Technologies Flagship Initiative“.

Forschergruppen und Unternehmen in mehreren europäischen Ländern beteiligen sich an dem Vorhaben. Koordiniert wird es von dem Physiker Jari Kinaret, der an der Chalmers-Universität Göteborg arbeitet. Graphen hat viele Eigenschaften, die aufhorchen lassen. Es leitet elektrischen Strom weit besser als herkömmliche Halbleiter. Es ist durchsichtig und eignet sich daher für Bildschirme und Solarzellen. Und es hat eine hervorragende Wärmeleitfähigkeit. Obendrein ist der Wunderstoff enorm fest und weckt damit Hoffnungen auf stabile Verbundwerkstoffe in Autos und Flugzeugen.

Graphen ist eine besondere Form von Kohlenstoff. Sein Aufbau ähnelt einem Maschendrahtzaun. Die Kohlenstoffatome liegen in einer Ebene und sind untereinander verbunden, wobei sie ein Netz aus sechseckigen Waben bilden, eine Art Folie aus nur einer Atomlage. Das Material ist biegsam und zugleich reißfester als Stahl. Elektrische Ladungen bewegen sich in Graphen theoretisch 100-mal schneller als in Silizium, dem Grundmaterial integrierter Schaltungen in heutigen Computern. Vor allem diese Eigenschaft macht das Graphen zum Gegenstand kühner Visionen.

Die wichtigsten Bauelemente des Computers sind Transistoren. Sie schalten und verstärken die elektrischen Signale in der Maschine. Meist bestehen sie aus einem Stück Halbleiter mit drei elektrischen Anschlüssen. Zwischen zweien davon fließt ein Strom. Wie stark er ist, hängt von der elektrischen Spannung am dritten Anschluss ab. Indem man sie verändert, kann man den Transistor schwach oder stark leitend machen, also zwischen „Null“ und „Eins“ umschalten.

Die Rechenleistung eines Computers hängt davon ab, wie schnell sich die elektrischen Ladungen durch seine Transistoren bewegen. Um dieses Tempo zu erhöhen, macht man die Transistoren immer kleiner, so dass die Ladungen kürzere Strecken zurückzulegen haben. Mittlerweile ist es aber kaum noch möglich, die Bauelemente weiter zu schrumpfen. Die Grenze ist anscheinend bald erreicht. Hier kommt das Graphen ins Spiel. Weil es elektrische Signale viel schneller leitet als Silizium, lassen sich aus ihm schnellere Schaltelemente konstruieren.

Allerdings lässt sich das extrem dünne Graphen nur schwer handhaben. Und um es überhaupt in industrielle Prozesse einzubinden, muss man es in großen Mengen fertigen. „Es gibt viele Methoden, um Graphen herzustellen“, sagt Klaus Müllen, Direktor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. „Man kann es aus der Kohlenstoff-Form Graphit gewinnen, indem man Schicht um Schicht davon abpellt; jedoch sind Ergebnisse nicht besonders gut reproduzierbar.“

Verfahren zur Verarbeitung bringen Qualitätsverluste mit sich

Ein anderes Verfahren sei die chemische Dampfabscheidung, die Zersetzung eines kohlenstoffhaltigen Gases an einer Oberfläche, wobei sich Graphen als Festkörperfilm abscheidet. Das gelingt bisher aber nur auf Metallflächen. Um den Wunderstoff zu elektronischen Bauelementen weiterzuverarbeiten, muss man ihn vom Metall auf einen Isolator übertragen, wobei er deutlich an Qualität einbüßt.

„Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Graphen aus einzelnen Bausteinen zusammenwachsen zu lassen“, sagt Müllen. Dazu kann man beispielsweise viele Benzolringe aneinanderfügen und so den molekularen Maschendrahtzaun Wabe um Wabe erweitern. Das Verfahren ist allerdings aufwendig und teuer. Auch lassen sich damit nicht beliebig große Graphenstücke herstellen, denn mit wachsender Ausdehnung gehen sie immer schlechter in Lösungsmittel über. Das erschwert es, die entstandenen Graphenstücke als dünne Filme abzuscheiden, wie man sie für elektronische Schaltungen braucht. Zwar haben Chemiker mittlerweile Wege gefunden, maßgeschneiderte Graphenmoleküle mit genau definierter Form, Größe und Zusammensetzung herzustellen. Doch größere Mengen lassen sich damit noch nicht synthetisieren.

Indem man Siliziumkarbid, eine Verbindung aus Silizium und Kohlenstoff, auf mehr als 1000 Grad erhitzt und kohlenstoffhaltige Gase darüberleitet, kann man Graphen auf einen Kristall aufwachsen lassen. Das Verfahren erlaubt es, Graphenfilme mit einigen Zentimetern Ausdehnung herzustellen. Leider binden sie jedoch an den Kristallträger und büßen dabei ihre Elektronenbeweglichkeit ein.

Zusätzliche Schwierigkeiten tun sich auf. In Graphen müssen die Elektronen nur eine kleine Energiedifferenz überwinden, um ihre Atome zu verlassen und frei durchs Material zu wandern. Infolgedessen lässt sich der Strom, der durch einen Transistor aus Graphen fließt, nicht vollständig abschalten. Das macht ihn für digitale Schaltkreise nur bedingt geeignet.

„Man kann die Eigenschaften des Materials diesbezüglich verbessern, indem man lange Streifen daraus herstellt oder Fremdatome darin einbringt“, sagt Müllen. Trotzdem sehen manche Forscher das Graphen eher als Material für die Analogtechnik, etwa für analoge Hochfrequenzschaltkreise, die Signalstärken verändern, statt Signale an- und auszuschalten. Ohnehin rücken noch andere Bereiche als die digitale Elektronik in den Blick, wenn es um neue Möglichkeiten des Graphens geht. So eigne sich die Kohlenstoff-Folie auch als Material für Energiespeicher, betont Müllen.

Heutige Notebooks, Mobiltelefone und Digitalkameras beziehen ihren Strom oft aus Lithiumionenbatterien. Ein solcher Akku enthält typischerweise eine Elektrode aus Graphit, das aber nur in begrenztem Umfang elektrische Ladung speichern kann. Deutlich mehr Ladung speichern Metalloxide, jedoch werden sie beim Auf- und Entladen der Batterie zerstört. Umhüllt man die Metalloxid-Elektrode mit Graphen, bleibt sie über viele Lade-Entladezyklen hinweg intakt, wie Experimente gezeigt haben.

Für andere Energiespeicher, die Superkondensatoren, kann man aus Graphen Elektroden herstellen, die eine viel größere Fläche haben als bisher erreichbar. Das verleiht den Kondensatoren ein größeres Speichervermögen und kürzere Ladezeiten. Forscher der Universität von Kalifornien berichteten 2012, einen Superkondensator auf Basis von Graphen entwickelt zu haben. Er hält den Wissenschaftlern zufolge ebenso viel Ladung wie herkömmliche Batterien, lässt sich aber hundert- bis tausendmal so schnell auf- und entladen.

Auch als Reaktionsbeschleuniger (Katalysator) könnte sich Graphen bewähren. In einer Brennstoffzelle etwa ist die zentrale Reaktion das Übertragen von Elektronen auf Sauerstoff unter Spaltung des Sauerstoffmoleküles, wobei Wasser entsteht. Um diese Reaktion kontrolliert ablaufen zu lassen, braucht man Katalysatoren. Graphen ist dafür geeignet, wenn in seinem Kohlenstoffgitter einzelne Atome durch Stickstoff ersetzt sind. Ob es gelingt, solche Verbindungen preiswert herzustellen, wird sich zeigen.

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