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„Für die schönste Frau der Welt“. Die Geschlechterrollen sind flexibler geworden. Umso mehr versichern sich Männer und Frauen im Konsum ihrer Männlichkeit und ihrer Weiblichkeit. Zum rosa Hut passt ein Frauenbier.

© vario-images

Soziologie: Das Prinzip Rosa

Nicht nur Menschen haben ein Geschlecht, auch Konsumgegenstände sind männlich oder weiblich. Das Verhältnis von Werbung und Konsumenten funktioniert wie ein Zirkel, bei dem man schwer bestimmen kann, was Henne ist und was Ei.

Der Name „Bipa“ bedeutet „Billig-Parfümerie“. Mit 147 Filialen ist sie eine omnipräsente Drogeriemarktkette in Wien. Das Auffälligste an „Bipa“ ist, dass der Laden komplett in Weiß und penetrantem Rosa gehalten ist. Rosa schimmern sämtliche Schilder und das Licht im Laden, rosa sind die Griffe der Einkaufswagen, rosa die Kühltaschen und Luftmatratzen, die „Bipa“ in diesem Sommer zum Verkauf anbietet, und rosa sind auch die Badetücher mit der Aufschrift: „Reserviert für die schönste Frau der Welt“. Eine Diplomarbeit zum „Image von Drogeriemärkten bei männlichen Konsumenten“, eingereicht an der Universität Wien, kommt zu dem Schluss, dass „Bipa“ zwar im Vergleich zu „Schlecker“ und „dm“ die meisten Männerprodukte anbietet, aber – wen wundert’s – Männer am wenigsten anspricht. Es wird wohl an der Farbe liegen.

Warum hält sich Rosa so hartnäckig als Zeichen für Weiblichkeit? Soziologen beschreiben unsere moderne und postmoderne Lebenswelt oft mit den Schlagworten „Enttraditionalisierung“ und „Individualisierung“. Meist ist auch davon die Rede, dass sich die herkömmlichen Geschlechterarrangements immer weiter auflösen, die Rollenerwartungen flexibler und die Geschlechtsbilder wesentlich vielfältiger geworden sind. Doch ist das nur die eine Hälfte der Wahrheit. Denn wenn man sich in den gegenwärtigen Konsumwelten umsieht, kann man zwar durchaus eine „Enttraditionalisierung“ der Geschlechterrollen finden, keinesfalls aber eine Auflösung der Geschlechtsstereotypien. Anders ausgedrückt: Mittlerweile benutzen zwar (manche) Männer Anti-Aging Cremes, aber eine solches Produkt wird sich niemals in einer rosafarbenen Tube verkaufen können.

Dass Geschlecht zu einem großen Teil eine Phantasieangelegenheit ist, wird nirgends deutlicher als in der Werbung, die jedes beliebige Produkt als „männlich“, (das heißt „für Männer“) oder „weiblich“ (also „für Frauen“) oder „unisex“ qualifiziert. Ein gutes Beispiel ist Diät-Cola. Die Flasche mit dem weichen schwarzen Schriftzug „light“ auf silbernem Etikett wendet sich an Frauen, „Coke zero“ in schnörkelloser weißer Schrift auf schwarzem Grund ist, klar, für Männer. Geschlechtliche Markierungen von Produkten sind wie Etiketten auf Flaschen, sie sind nur willkürliche Zeichen. Jedes Kind weiß, dass es keinen zwingenden Grund gibt, silber mit „weiblich“ und schwarz mit „männlich“ zu verbinden. Doch warum funktioniert das Prinzip, was macht es so wirksam?

Werber gehen relativ simpel davon aus, dass Konsumenten natürlicherweise Frauen und Männer mit geschlechtsspezifisch verschiedenen Wünschen sind, die man erkennen, verstärken und an ein jeweiliges Produkt binden muss. Diese Zuschreibungen finden allerdings nicht im luftleeren Raum statt, sie beziehen sich auf gesellschaftlich verankerte Metaphern, Selbstbilder und die gängige Praxis geschlechtlicher Aufgabenteilung. So lange Männer sich über Technik und Sachlichkeit definieren, werden die digitalen Codeschlösser, Bewegungsmelder und Energiesparregler, die „Elektro Conrad“ anbietet, grau-silbern schimmern. Und so lange Frauen für die Behaglichkeit im Haus verantwortlich sind, werden die Duftkerzen bei „Rossmann“ fröhlich bunte Farben haben. Konsumgüter sind vergeschlechtlicht, weil sie sich auf Tätigkeitsbereiche und Eigenschaften beziehen, die klassischerweise dem einen oder anderen Geschlecht zugesprochen werden.

Die Zuweisung von Geschlecht zu Produkten ist also nicht einfach ein „Diktat“, sondern eine Verführung in dem Sinn, dass sie an herkömmliche Rollen, Interessen, Wünsche und Begehren anschließt. Ein Badetuchspruch „reserviert für den schönsten Mann der Welt“ würde – zumindest heute noch – komisch wirken.

Das Verhältnis von Werbung und Konsumenten funktioniert wie ein Zirkel, bei dem man schwer bestimmen kann, was Henne ist und was Ei. Das Marketing versucht herauszufinden, was Frauen/Männer „wollen“ könnten. Umgekehrt lesen die Kunden ihrerseits an den Waren ab, was Frauen/Männer offenbar wünschen. So schließt sich der ewige Kreis. Denn nun können Konsumenten, indem sie die Geschlechtsbilder der Werbung imitieren, für die sie selbst die Vorlage lieferten, sich durch den Kauf der angeblich männlich/weiblichen Produkte wiederum als Frauen und Männer definieren.

Konsumgüter sind bekanntlich „soziale Signale“, nicht nur als Statussymbole zur Unterscheidung der Schichtzugehörigkeit, sondern auch hinsichtlich geschlechtlicher Distinktion. Die Waren haben die Funktion, das eigene Geschlecht auszudrücken: „Seht her, ich schminke mich, und mein Wollpulli hat Glitzerperlchen: Ich bin eine Frau.“ Sie haben aber auch die Funktion, sich des eigenen Geschlechts zu versichern, denn man kann sich mehr oder weniger männlich oder weiblich fühlen, je nach dem, was man kauft. So kann man durch Kombination von „männlichen“ und „weiblichen“ Attributen eine eigene Gender-Note aufbauen.

Dabei ist dann auch eine Flexibilität und Verschiebung der Stereotypen möglich, ohne dass das Gesamtsystem infrage gestellt werden müsste. Das „Frauenbier“ Beck’s Gold zum Beispiel funktioniert nach diesem Prinzip: Traditionellerweise trinken Frauen, wenn überhaupt, Bier aus dem Glas. Beck’s Gold ist in eine durchsichtige Flasche gefüllt, imitiert also die Qualität des Glases, gibt dann noch ein goldenes Etikett hinzu – genügend beruhigende weibliche Merkmale, die erlauben, dass Frauen auch Bier aus der Flasche trinken können, ohne etwas von ihrer Weiblichkeit einzubüßen.

Neuere Analysen der Konsumkultur betonen immer wieder, dass sich im sogenannten „Kulturkapitalismus“ nicht mehr das Produkt selbst verkauft, sondern die Marke und das mit ihr verbundene Gefühl. Das stimmt bezüglich der geschlechtlichen Markierung der Waren nur allzu gut. Der Kauf macht umso mehr Spaß, wenn in ihm ein Geschlechtserlebnis enthalten ist, und sei es nur die Bestätigung der eigenen sexuellen Orientierung übers passende Duschgel. „Sex sells“ im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist erstaunlich, warum man bislang noch nicht grobes Männer-Mehl oder leichter drehbare Frauen-Schrauben erfunden hat.

Tatsächlich lösen sich die Rollenmodelle auf, und tatsächlich haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten Konsumartikel und Einkaufsgewohnheiten sehr in Richtung einer Durchmischung traditioneller Geschlechterräume entwickelt. Im Wellnessboom verbinden sich sanfte, weiche Formen auch mit Virilität, umgekehrt haben sich vormals männlich dominierte Segmente für Frauen geöffnet, wie beispielsweise der gesamte Sportgeräte- und Sportbekleidungsmarkt. Eine solche Durchmischung ist gut, denn sie erhöht die Ausdrucksmöglichkeiten für beide Geschlechter.

Andererseits bleibt der Geschlechtsbezug von Produkten strikt auf zwei Optionen begrenzt: männlich oder weiblich, beziehungsweise eine Kombination aus diesen Elementen. Diese Strukturierung fügt sich um so fester, je bunter die Mischung an der Oberfläche tobt: Je mehr Freiheit und Kombination auf der einen Seite, desto mehr wird auf der anderen Seite die Versicherung in traditionellen Bildern gesucht.

Fast unbemerkt vollzieht sich eine durchgreifende Normierung unserer Wahrnehmung. Die Zweigeschlechtlichkeit der Produkte wirkt mittlerweile so natürlich und unhinterfragt, dass wir fest daran glauben, die Feuchtigkeitscreme „Florena-Men“ würde tatsächlich nur auf Männerhaut wirken.

Es scheint eine tiefe Lust zu sein, die Welt in Männer und Frauen aufzuteilen, eine Lust auch, die einen unmerklichen Mehrwert beim Kaufen schafft. Unisexuelle Gleichmacherei käme dem Erzfeind Sozialismus gleich. Oh nein, ohne Geschlecht wären die Waren einfach weniger sexy.

Die Autorin ist Philosophin und lebt in Wien. Eine Langversion ihres Artikels ist kürzlich erschienen in dem Buch „Kapitalistischer Realismus. Von der Kunstaktion zur Gesellschaftskritik“, Hrsg. Sighard Neckel, Campus Verlag, 308 Seiten, 29,90 Euro.

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