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Afghanische Absolventen feiern in der TU Berlin.

© Peter Himsel/TU

Afghanische Informatik-Master aus Berlin: Den Aufbau programmieren

Zwei Dutzend Informatiker aus Afghanistan, darunter vier Frauen, haben ihren Master an der TU Berlin in der Tasche. Jetzt kehren sie in ihre Heimat zurück, um an dortigen Hochschulen zu unterrichten.

Sie sind nicht gekommen, um zu bleiben. Noch bevor die 24 afghanischen Studierenden, die gerade an der Technischen Universität Berlin (TU) ihren Master gemacht haben, vor drei Jahren nach Deutschland aufbrachen, stand ihre Rückkehr bereits fest. Sie würden an der TU Informatik studieren, eine Abschlussarbeit schreiben und dann in ihrer Heimat als gut ausgebildete Dozenten arbeiten. So stand es im Vertrag, und sie haben ihn alle akzeptiert. „Hier in Deutschland können wir unserem Land nicht helfen. Sie brauchen uns in Afghanistan“, sagt Foawziah Naseri, eine der vier Frauen unter den 24 Absolventen, die in diesen Tagen den Rückflug antreten.

Die TU Berlin hat moderne Rechenzentren aufgebaut

In Afghanistan ist der Zustand der Universitäten 12 Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes noch immer verheerend. Bis 2001 war Bildung für Frauen verboten, gerade einmal 9000 Studenten gab es im ganzen Land, Gebäude und Ausstattung waren verfallen. Mittlerweile studieren 200 000 Afghanen an 29 Universitäten und elf Privathochschulen, darunter 20 Prozent Frauen. Auch vier moderne Rechenzentren existieren, aufgebaut von Mitarbeitern der TU. Doch die Hälfte aller Dozenten hat gerade einmal einen Bachelorabschluss. Ohne ausgebildete Menschen, die die Technik zu bedienen wissen, ist der Aufbau des Landes kaum möglich. Deutschland fördert darum seit 2007 die afghanische Wissenschaft mit einem besonderen Masterprogramm. In sechs Fachbereichen, darunter öffentliche Verwaltung und Informatik, werden afghanische Hochschuldozenten in Deutschland ausgebildet. Die Mittel kommen aus dem „Stabilitätspakt Afghanistan“ des Auswärtigen Amtes, die Organisation übernimmt der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD).

Auch wenn afghanische Hochschulen auf internationale Expertise angewiesen sind, fürchten dortige Politiker, dass Studierende nach einem Auslandsaufenthalt nicht zurückkehren oder das mitgebrachte Wissen nicht anwenden können. Die technische Ausstattung einer deutschen Uni ist nicht vergleichbar mit der eines Landes, in dem regelmäßig der Strom ausfällt. Deshalb war das Studium der 24 Informatiker in Deutschland an den Bedürfnissen afghanischer Hochschulen ausgerichtet. Für die Vorbereitung ihrer Masterarbeiten – alle befassen sich mit dem akademischen Betrieb in Afghanistan – verbrachten sie ein halbes Jahr zu Hause.

Thema ihrer Masterarbeit: Eine Software für die Verwaltung von Wohnheimen

Foawziah Naseri hat eine Wohnheim-Software entwickelt. Anders als in Deutschland wohnen afghanische Studierende fast immer in einer Studentenunterkunft, die genau wie Essen und Unterricht umsonst ist. Studentinnen bekommen außerdem ein Taschengeld, weil sie im Gegensatz zu Männern neben dem Studium nicht arbeiten können. Die Verwaltung der für Männer und Frauen getrennten Wohnheime scheitert jedoch oft schon bei der Einschreibung: Alles wird noch immer auf dem Papierweg erledigt, dabei gehen Dokumente verloren oder werden falsch zugeordnet. Als Naseri das Programm schrieb, musste sie unter anderem berücksichtigen, dass die Sachbearbeiter kaum mit Computern umgehen können. „Zumindest weiß ich, womit ich arbeiten kann und womit nicht“, sagt sie.

Im ersten Jahr holten sie den Bachelor-Stoff nach

Die 27-Jährige kommt aus einer liberalen Familie, wie viele der jungen Frauen, die in Afghanistan Informatik studieren. 40 Prozent der Studierenden des Fachs sind heute weiblich. Nach ihrem Bachelorabschluss wurde Naseri Informatik-Dozentin an der Universität Herat. Ihr Präsident schlug sie für den Master in Deutschland vor, sie bestand die Auswahlprüfung und startete im Wintersemester 2010/11 an der TU. Das Programm dort war straff: Sechs Semester hatte die Gruppe für den Master Zeit, davon musste im ersten Jahr der Bachelor-Stoff nachgeholt werden. Danach nahmen die 24 an regulären Masterkursen teil, später folgten die sechs Monate Empirie in Afghanistan und schließlich die Masterarbeit. Alle 24 haben bestanden.

Deutschland will den Aufbau in Afghanistan weiter unterstützen

Dass die TU die jungen Dozenten aufnahm, ist kein Zufall. Seit 2002 reisen Mitarbeiter des Zentrums für internationale und interkulturelle Kommunikation unter Leitung des gebürtigen Afghanen Nazir Peroz regelmäßig nach Afghanistan. 2003 haben sie in Kabul das erste Rechenzentrum eröffnet, 2007 in Herat die erste Informatik-Fakultät. Nun liegt der Schwerpunkt auf der Ausbildung von IT-Experten. Die jetzigen Rückkehrer sind bereits die zweite Master-Generation. Die ersten Absolventen, die 2010 fertig wurden, arbeiten heute an ihren Heimatunis als Dekane oder Leiter von IT-Abteilungen.

Das afghanische Ministerium für höhere Bildung will die Qualität der Lehre weiter verbessern. Bislang gibt es nur 16 Master- und zwei Promotionsprogramme im Land. Philipp Ackermann vom Auswärtigen Amt versichert, dass Deutschland das afghanische Hochschulsystem weiter unterstützen werde, Afghanistan müsse aber zunehmend auf eigenen Füßen stehen.

Für die Doktorarbeit zurück nach Berlin?

Hans-Ulrich Heiß, Informatiker und TU-Vizepräsident für Studium und Lehre, macht zum Abschied ein Rückkehrangebot: „Wir hoffen, dass an afghanischen Universitäten eines Tages nicht nur unterrichtet, sondern auch eigenständig geforscht wird“, sagt er. „Vielleicht kommen Sie dann zurück an die TU, um Ihren Doktor zu machen.“

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